[haGalil onLine 2004 (Jan./Feb.): Zum
Thema Sicherheitszaun]
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EINE PALÄSTINENSISCHE SICHT
Mr. Sharon,
reißen Sie diese Mauer ab!
von Ghassan
Khatib
Die palästinensischen Aussagen vor dem Internationalen
Gerichtshof in Den Haag sind der erste Zug in einem angespannten
internationalen Schachspiel. Indem die Schlacht gleichzeitig vor Gericht und
vor der öffentlichen Meinung geschlagen wird, ist es unerlässlich, dass wir
einige Dinge nicht aus den Augen verlieren.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen forderte das
Gericht auf, einen Schiedsspruch über die Legalität des Verlaufs von Israels
Mauer zu fällen. Damit machte sie einen deutlichen Anfang für den Beginn der
Rechtfertigung der palästinensischen Meinung, die sich im Gleichklang mit
internationalern Abkommen und Gesetzen befindet. Die Weigerung der Israelis,
die Zuständigkeit dieses Gerichts zu akzeptieren, verstärkt, was die
Palästinenser schon lange gesagt haben. Um die Anhörungen von Den Haag
richtig zu verstehen, müssen wir uns die gesamte Diskussion
vergegenwärtigen.
Aus palästinensischer Sicht ist die Trennungsmauer ganz
klar ein Teil von Israels Ausweitung der Siedlungspolitik. Der Bau der Mauer
wird nicht von Israels Sicherheitsbedürfnis bestimmt, sondern von
Siedlungsbedürfnissen in den besetzten Gebieten. Ihr anderer Zweck ist es,
möglichst viele Palästinenser in überfüllte Territorien und Enklaven zu
pferchen, um ein "Glacis" für die Ausweitung der Siedlungen zu schaffen. Das
heißt, für die Ausweitung von Israel in den besetzten Gebieten.
Zum Zweiten ist die Trennungsmauer ein unverhohlener
Versuch der israelischen Regierung, vollendete Tatsachen für den Ausgang
jeder zukünftigen sinnvollen Verhandlung zwischen Israel und den
Palästinensern zu schaffen. Sie ist dazu geschaffen, um den dringenden
Bedürfnissen nach einem lebensfähigen, zusammenhängenden und demokratischen
palästinensischen Staat in den besetzten Gebieten, der auf internationalem
Recht beruht (den Grenzen vom Juni 1967), zuvorzukommen.
Drittens soll dadurch ebenso die bereits hinkende
palästinensische Wirtschaft zerstört werden. Indem jede Bewegung von
Menschen oder Gütern erstickt wird, würgen die Israelis jeden
wirtschaftlichen Hoffnungsstrahl ab. Wenn man die letzte
Vierteljahresstatistik von 2003 betrachtet (erhältlich beim Palestinian
Bureau of Statistics), wird deutlich, dass sich die wirtschaftliche Lage der
Gebiete von Jenin, Tulkarem und Qalqilia dramatisch verschlechtert hat,
seitdem die Mauer dort beendet wurde. Die Mauer hat große Stücke Landes
verschlungen, die für die Landwirtschaft geschaffen waren und sie hindert
Menschen daran, ihre Äcker zu bebauen und zu pflegen. Sie hatte auch eine
drastisch negative Wirkung auf den Arbeitsmarkt dieser Gebiete, die bereits
während der letzten drei Jahre sehr unter von den Israelis verhängten
Restriktionen gelitten hat. Als wir schon dachten, dass die drakonischen
Maßnahmen der Besatzungsbehörde nicht schlimmer werden könnten, wurde die
Mauer gebaut. Die Armut in diesen Gebieten hat sich in hohem Grad
verschlimmert. Das ist geradezu Futter für die extremistischen Teile der
palästinensischen Gesellschaft.
Die Lobrede, dass die Trennungsmauer Sicherheit für Israel
und die Israelis garantieren werde, ist völlig falsch. Wirkliche Sicherheit
kann nur durch friedliche Beziehungen zwischen Nachbarn erreicht werden.
Indem Israel auf dem Bau der Mauer insistiert, die gravierend zum Leiden der
palästinensischen Zivilbevölkerung beiträgt, erzeugt Israel aktiv
Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung unter den Palästinensern. Israels
Sicherheit wäre besser gedient, wenn es diese hunderte Dollarmillionen in
Brücken der Verständigung statt in Mauern der Trennung investiert hätte.
Wir beobachten besorgt den Prozess von Den Haag und
hoffen, dass ein Schiedsspruch nach internationalem Recht der erste Schritt
sein wird, um diese Monstrosität abzureißen. Wenn die Mitglieder der
internationalen Gemeinschaft zu den Entscheidungen des Gerichts beitragen,
können wir nur hoffen, dass sie die Seite der Legalität wählen und den
Schiedsspruch des Gerichts erfüllen werden. Es wird ein schöner Tag sein,
wenn der US-Präsident oder der Regierungschef eines europäischen Landes das
Beispiel der Berliner Mauer aufnimmt und den Aufschrei des ehemaligen
US-Präsidenten Ronald Reagan erneuert: "Mr. Sharon, reißen Sie diese Mauer
ab!"
Ghassan Khatib ist Arbeitsminister im Kabinett der
Palestinian Authority. Er hat viele Jahre als politischer Analyst und für
Medienkontakte gearbeitet.
Übersetzung: Robert Cohn
Eine israelische Sicht:
Von Zäunen, Boykotten und
Internationalen Gerichtshöfen
von Yossi Alpher
[haGalil onLine 2004 (Jan./Feb.):
Zum Thema Sicherheitszaun]
Published 23/2/2004 © bitterlemons.org |