Checkpoints in den besetzten Gebieten:
Die Kontrollpunkte kontrollieren
von Linda Grant, Guardian
Es sind alles Frauen und Israelinnen, die jeden Tag zu
den Checkpoints in den besetzten Gebieten gehen und die versuchen, die
Soldaten dahin zu bringen, die Palästinenser nicht zu schikanieren. Linda
Grant begleitete sie.
Als ich im letzten Juni (2003) nach Tel Aviv kam und dort
für ein paar Monate eine Wohnung suchte, machte mich der Wohnungsmakler mit
Yael Boss bekannt. Inzwischen kam ich zu der Überzeugung, dass sie wie eine
alte Vertreterin des Zionismus ist, eine der strengen, furchtlosen Frauen,
die Israel in den 50er Jahren in Mengen „produzierte“ und die mich als
Teenager 1967 bei meinem 1.Besuch im Lande erschreckten. Inzwischen ist sie
65. Sie hatte einen nicht-jüdischen Franzosen geheiratet und lebte mit ihm
elf Jahre in Paris. Sie hatte aber solch großes Heimweh nach Israel, dass
sie zuweilen nur zu den El-Al-Büros ging, um Hebräisch zu hören. Als einer
ihrer Söhne seinen Militärdienst im Libanon machte und dort verschwand,
schickte sie ihrem anderen Sohn den Befehl: „Geh in den Libanon und such
deinen Bruder und bring ihn heim – und wenn es sein muss auf deinem Rücken.“
Er brachte ihn heim. Ich denke, er hat es nicht gewagt, ihn nicht zu
bringen. In unsern vielen Gesprächen über das Land, sprach sie in scharfem
Ton über jene, die in Europa versuchen, Israel zu verletzen. „Im Ausland
werde ich Israel nicht kritisieren“, sagte sie, „ich habe genug solche
Arbeit vor meiner eigenen Haustüre zu erledigen, ohne dass ich die Leute im
Ausland das lesen lasse, was sie gern hören wollen.“ Hier ist ein wenig von
dem, was Yael tut, um die Politik ihrer Regierung außerhalb der Wahlurne zu
ändern. Im Herbst war sie zu den Palästinensern gegangen, um ihnen bei der
Olivenernte dort zu helfen, wo sie wegen der Straßenblockaden nicht zu ihrem
Land gelangen konnten. Drum fragte ich sie, ob sie mit mir kommen würde, um
die Frauen von Machsom Watch zu treffen. Machsom ist das Hebräische Wort für
Checkpoint. Die Organisation war im Januar 2001 als Reaktion auf wiederholte
Berichte über Menschenrechtsverletzungen an den Kontrollpunkten gegründet
worden. Diese Kontrollpunkte verbieten nicht nur die Bewegung der
Palästinenser nach Israel, sondern auch zwischen den israelischen Städten
und Orten. Die Gründerinnen waren drei israelische Frauen, die sich drei
Ziele gesetzt hatten: 1.das Verhalten der Soldaten und Polizisten zu
überwachen, 2.abzusichern, dass die Menschenrechte der Palästinenser bewahrt
wurden und 3. ihre Beobachtungen aufzuzeichnen und sie einem möglichst
großen Publikum bekannt zu machen. Nicht wie ISM-Freiwillige sind seine
Mitglieder alles Frauen und Israelis mit sehr unterschiedlichem persönlichen
Hintergrund und politischer Einstellungen.
Yael und ich trafen uns im Jerusalemer Haus von Hanna Barag, 68, zusammen
mit der 74 jährigen Ora Ardon. Mit Hannas Wagen fuhren wir nach Abu Dis, wo
der schon mit vielen politischen Graffiti bemalte „Trennungszaun“ sich als
massive Mauer mitten durch den Ort schnitt. Während meiner Zeit in Israel
war der ausschlaggebende Eindruck der augenblicklichen Regierung der der
Inkompetenz und Korruption, die sich in fast jedem Aspekt des zivilen wie
auch militärischen Lebens äußerte. Hanna und Ora zeigten uns eine Stelle, wo
man die Mauer leicht überqueren konnte, wenn man einigermaßen beweglich war,
wo es aber für Alte, Blinde, Behinderte, oder eine Baby tragende Mutter
schwierig war. „Was ist der Sinn der Mauer,“ fragte Ora, „wenn er die am
wenigsten eines Attentats Verdächtigen abhält und für die Gesunden und
Entschlossenen keine Schwierigkeiten bereitet?“
Wir fuhren weiter nach Qalandia, wo der Checkpoint die Stadt in zwei Hälften
teilt. Es war ein klarer, sehr kalter Tag. Die Palästinenser warteten in
einer langen Schlange mit ihren Papieren, um von ein paar Teenager-Soldaten
kontrolliert zu werden. Jeder Typ war dort vertreten: gut gekleidete
Geschäftsleute, modisch gekleidete junge Frauen, kräftige junge Männer,
Teenagers, eine Menge Frauen, die ihre Babys im Arm trugen. Die Straßen rund
um die Checkpoints sind in so erbärmlichen Zustand, dass es sehr schwierig
ist, dort einen Kinderwagen zu fahren. „Es ist ein ruhiger Tag heute,“ sagte
Hanna, obwohl es eine laute Geräuschkulisse gab. Sie zeigte auf einen nur
wenige Meter entfernten Zaun. „Palästinensische Kinder werfen ( von dort)
Steine auf die Soldaten – und die schießen zurück. Eine Reihe Kinder sind
hier schon getötet worden. Jetzt scheint es ruhig zu sein – doch wenn es
dunkler wird, wird es gewalttätiger.“ „Dies hier ist jetzt anders, als ich
es in Erinnerung habe,“ sagte Pierre, der Fotograf. „Seitdem die Frauen
hierher kommen, ist es viel besser geworden.“
Zwei Freiwillige, Phyllis und Tamar, waren schon am Checkpoint. Ich sah, wie
Tamar sich einer Frau mit einem Säugling im Arm und schweren Einkaufstaschen
näherte und sie an den Anfang der Schlange begleitete. Eine Soldatin
kontrollierte ihre Dokumente und winkte sie durch. Sie versuchte, einer
anderen jungen Frau zu helfen, die sich die Identitätskarte ihrer 16
jährigen Cousine ausgeliehen hatte. Trotz der Intervention zu ihren Gunsten,
wurde sie in einen Polizeiwagen gesteckt und weggefahren. Die Haltung der
Soldaten und der Palästinenser gegenüber den Frauen ist verschieden. „Als
ich das 1. Mal in Qalandia war, nannte mich einer der Soldaten eine Hure“,
sagte Hanna. „Ich sagte: Hör zu, mit meinem Aussehen und meinem Alter
glaubst du, hätte ich noch eine Chance in diesem Beruf?“ und dann „Würdest
du so mit deiner Großmutter reden?“ Als ich ihn das nächste Mal sah,
entschuldigte er sich. Andere Soldaten sind empfindlicher gegenüber der
Tatsache, dass die Frauen selbst als Soldaten in der israelischen Armee
gedient haben, und dass sie Söhne und Töchter oder Enkel haben, die im
Augenblick dienen. „Ein Soldat schrie mich an: Ist dein Sohn bei der Armee?“
sagte Tamar, „ Ich sagte zu ihm: Ja, er ist Pilot. Er sagte: Ein Pilot! Und
was denkt er über dich? Ich sagte zu ihm: Er ist stolz auf mich. Manchmal
sagen die Soldaten zu mir: Warum tust du dies? Ich antworte: Weil ich
jüdisch bin und meine Großeltern den Holocaust erlebten.“ Auf
palästinensischer Seite sind die Frauen von Machsom Watch oft die einzigen
nicht uniformierten Israelis, die sie sehen und die einzigen die ihnen
gegenüber Menschlichkeit und Freundlichkeit zeigen. Manchmal ist allein das
schon genug, selbst wenn es ihnen nicht immer gelingt, die Soldaten zu
überzeugen, dass sie ein Tor für die Schulkinder öffnen sollten. Andere
Palästinenser lassen ihnen gegenüber ihren Zorn ’raus, weil sie die einzigen
verfügbaren unbewaffneten Israelis sind. „Dann sage ich ihnen, ihr seid an
der falschen Adresse“, sagte Hanna. „Aber manche sagen, da gibt es keinen
Unterschied; ihr seid ein Teil desselben Spiels.“ Als Ora einer Gruppe von
Palästinensern sagte, dass sie eine Friedensaktivistin sei, schrie einer,
dass er Krieg und nicht Frieden wünsche.
Über ihre Position gibt es eine Menge Widersprüche. Vor zehn Tagen gelang es
am Erez-Kontrollpunkt einer Selbstmordattentäterin, einen Soldaten davon zu
überzeugen, dass sie behindert ist und dass sie nicht durch einen Detektor
gehen könnte, weil sie eine Metallplatte im Bein hätte. Sie tötete vier
Menschen. Das Telefon beim israelischen Radiosender erhielt eine Menge
wütender Anrufe, die sich darüber beklagten, dass die Palästinenser den
Druck auf Kommandeure, Frauen und Kinder menschlicher zu behandeln,
missbrauchten. „Diese Frau hat ihrem Volk und ihrem eigenen Geschlecht
keinen guten Dienst erwiesen,“ sagte Ora. „Mit dem Waffentransport in
Ambulanzen ist es dasselbe) (Genau dies wurde vor 1967 vom isr. Militär zur
isr. Hadassah-Enklave gemacht; Bemerk. der Übersetzerin) Ich fragte sie, was
sie über die Möglichkeit denkt, falls sie einem Selbstmordattentäter durch
den Kontrollpunkt helfen würde. „Ich kann nicht sagen, dass ich darüber noch
nicht nachgedacht habe,“ erwiderte sie, „ aber wenn man in einer Jury sitzt,
steht man vor demselben Dilemma.“ Sie zeigte auf einen kleinen Hügel
jenseits des Checkpoints. „Wir nennen es Tora Bora, dort kann man leicht
hinüber gehen.“
In Israel gibt es eine sich verändernde Meinung über die Checkpoints: sie
seien nur dazu da , die palästinensische Bevölkerung zu schikanieren und
unwirksam, Selbstmordattentäter aufzuhalten. Auch der frühere
Likud-Bürgermeister von Tel Aviv sei dieser Meinung. Ora ist nicht
grundsätzlich gegen den Zaun. Sie möchte, dass die israelische Regierung die
Besatzung beendet, sich zur Grünen Linie (Grenze von vor 1967) zurückzieht
und eine Grenze baut. „Es wird auch dann noch Terror geben“, sagt sie, „aber
dann haben wir ein Recht zurückzuschlagen.“ Wir fuhren zu Oras Haus in
Jerusalem zurück. Ich fragte sie, warum sie mit 74 noch bei dem kalten
Wetter an den Checkpoints steht. „Meine Großeltern kamen 1905 aus Odessa
hierher. Sie waren Idealisten. Sie wollten einen neuen Juden schaffen, der
moralisch lebt und arbeitet. Mit 13 war ich in der Haganah ( eine jüdische
Miliz, die gegen das britische Mandat kämpfte) Radiomitarbeiterin. Ich
schmuggelte Radioteile, und keiner stoppte mich, weil ich so klein und jung
war. Während des Unabhängigkeitskrieges 1948 war ich Unteroffizier. .... Von
Anfang an war ich bei Peace Now. Ich war bei allen Demonstrationen. Aber
Ariel Sharon beachtet uns nicht. Deshalb ging ich eines Tages auf eine Frau
zu, deren Gesicht ich wieder kannte und sagte: „ich bin so verzweifelt, ich
will noch etwas anderes tun als nur demonstrieren, und dann nahm sie mich
mit zu Machsom Watch.
Ich bin ein ganz gewöhnliches Mitglied der Organisation, keine Sprecherin –
aber ich denke ich bin typisch. Die Siedler nennen sich Zionisten, aber sie
sind keine Zionisten in dem Sinne, wie die Gründer des Staates. Ich bin eine
Zionistin und deshalb sind die Kontrollpunkte für uns wie für die
Palästinenser ein schrecklicher Schlag. Meine Töchter sind ganz unglücklich,
sie denken zwar, dass ich recht habe; aber es sollte die Mutter von anderen
dorthin gehen. Aber ich sage, nur indem wir es tun, können wir eine
humanistische Revolution des Zionismus wiedergewinnen. Wir rufen die Welt
auf, uns zu helfen, unsere humanistischen Werte wieder zu gewinnen..“ Auf
der Heimfahrt nach Tel Aviv fragte ich Yael, was sie über das dachte, was
wir gesehen hatten. „Ich habe schon eine Schicht organisiert“, sagte sie mit
klarem Blick. „Ich will all meine Freunde hierher bringen.“ Ich dachte an
die vervielfachte Yael und fragte mich, ob die harten Männer Israels dem
Druck von Tausenden solcher israelischer Frauen widerstehen könnten, die so
sehr neue Tatbestände schaffen.
ZNet Deutschland 02.02.2004
International Court of Justice - Press Release
Summary of the Advisory Opinion of 090704
Urteil von beispielloser Schärfe:
Sagt
nicht Antisemitismus!
Sind wir doch mal ehrlich: Wir machten aus dem so wichtigen Zaun
eine politische Angelegenheit, und dafür mussten wir jetzt bezahlen. Wir
müssen gar nicht bis nach Haag gehen. Es genügt, den Gazastreifen zu
betrachten, die Grenze zum Libanon und das Oberste Gericht in
Jerusalem...
Confused and disappointed:
The courts and the fence/wall
Two courts ruled on Israel's security
fence project within a period of ten days. The difference between the
two rulings is no less than cosmic, thereby demonstrating just how
relative justice can be...
Gutachten des Internationalen Gerichtshofes:
"Illegaler
Mauerbau"
Der Bau des Zauns ist illegal, sagt der Gerichtshof, da er einen
politischen Präzedenzfall für zukünftige Grenzen zwischen Israel und dem
zukünftigen Staat Palästina schaffe...
Entscheidung zum Trennungszaun:
Es gibt Richter in Den Haag
Haaretz bringt die beiden Begebenheiten auf ihrer Titelseite: den
100. Todestag von Theodor Herzl und das Urteil des Internationalen
Gerichtshofes ( ICJ), der den israelischen Trennungswall für illegal
erklärte...
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat die israelische
Sicherheitsanlage erwartungsgemäß für rechtswidrig erklärt. Er
forderte die israelische Regierung auf, die
Arbeiten östlich der "grünen Linie" einzustellen und
Palästinenser zu entschädigen, die durch den Bau Nachteile erlitten
haben.
Israel verteidigt die Anlage als notwendig zum Schutz gegen
palästinensische Terroristen. Der israelische Justizminister erklärte,
für Israel seien nur die Entscheidungen seines eigenen obersten
Gerichtes maßgeblich. Israel will dem Gutachten aus Den Haag nicht Folge
leisten.
hagalil.com 16-07-2004 |