"Und in Eurer Mitte werde ich wohnen"
[Hebräisch]
Eine Drascha von Yael Nehushtan
Yael Nehushtan ist Rabbinatsstudentin am Schechter Institute
for Jewish Studies und lebt in Jerusalem.
Die Rabbis for Human Rights ("schomrei mischpat, rabbanim lema'an s'chujot
adam", http://www.rhr.israel.net/)
baten Yael anlässlich einer israelisch-palästinensischen Demonstration gegen
den Verlauf der Mauer im Februar 2004 diese Rede zu halten.
Vorweg: Trost den Familien, deren Welt gestern zerstört
wurde. Mögen die Worte Jeremias mit
ihnen sein: "Wäre doch mein Kopf ein
Gewässer und meine Augen ein Tränenquell, dass ich beweinen könnte Tag und
Nacht die Erschlagenen der Tochter meines Volkes" (1).
Ein Gebet trage ich mit mir zur Genesung der Wunden.
Es sei Sein Wille, dass sie bald zu den ihren und zu ihren Familien
zurückkehren werden. Ich kam hierher,
um über den Verlauf der Mauer zu sprechen.
Am vergangenen Schabbat öffneten wir die Tora und lasen aus ihr:
"Und einen Fremden sollst Du nicht herabsetzen und ihn nicht
bedrücken, denn Fremde wart ihr im Lande Ägypten" (2).
Heute morgen, als wir wiederum die Tora öffneten, lasen wir:
"Sie sollen mir ein Heiligtum machen und ich werde in ihrer
Mitte wohnen" (3). Ja, wir müssen
zwischen fortdauernder Spannung leben - zwischen dem Blick nach aussen auf
den Anderen und den Blick nach innen auf uns selbst.
Ob wirklich die Blickwinkel im Widerspruch zueinander stehen?
Ob dies notwendigerweise meint: wir oder sie?
Die Frage ist, was macht der Verlauf des Zaunes mit allen
Menschen.
Was macht er mit uns, was macht er mit ihnen?
Nach jedem Terroranschlag, wenn man von einer Welle aus
Furcht und Schmerz überschwemmt wird, werden wir (die Israelis, die sich für
einen Dialog mit den Palästinensern einsetzen, Anm. d. Übers.) wieder
betrachtet wie jemand, dessen Blick und dessen Herz nur für den Anderen
vorhanden, nur empfindsam für die Menschenrechte der Palästinenser ist und
blind gegenüber unserem Grundrecht auf Leben und Sicherheit.
Nun, ich bin nicht blind. Es schmerzt mich sehr und ich bin
wütend, aber meine Verantwortung steht im Verhältnis zu dem, was ich wähle
oder nicht wähle zu tun.
Und meine Verantwortung ist es, in der stetigen Spannung zwischen meinen und
ihren Rechten zu handeln. Der Verlauf
des Zaunes schafft Enklaven, in ihnen sind die Einwohner, die Gefangene
zwischen der "Grünen Linie" und dem Zaun sind, getrennt von ihren
Arbeitsplätzen, Schulen, den Krankenhäusern und anderen Einrichtungen, die
zu einem intakten Leben benötigt werden.
In anderen Fällen leben die Einwohner ausserhalb der Enklave und ihre
Grundstücke, ihre Arbeitsplätze oder ihre Verwandten sind innerhalb der
Enklave angesiedelt. Um die Enklaven,
die merchav ha'tefer, "Nahtgebiet", genannt werden, jeweils zu erreichen und
zu verlassen, benötigt man besondere Genehmigungen. Momentan gibt es bereits
zwölf Arten von Genehmigungen, jede von ihnen für ein spezifisches Ziel.
Dies erfordert, einen Antrag für eine Erlaubnis zu stellen, welcher dazu
dient, die passenden Unterlagen zu bekommen. Die Erteilung der Erlaubnis
wird selbstverständlich nach Gutdünken durch die Zivilbehörde gegeben. Auch
wer die passende Bestätigung in seiner Hand hat, kann nur durch ein
bestimmtes Tor zurückkehren und nur innerhalb der gegebenen Stunden.
Es gibt offene Tore nur für bestimmte Stunden und für kurze
Zeit.
Und es ist schon viel veröffentlicht worden, was innerhalb dieser Schranken
passiert. Ich eröffnete meine Worte mit
dem Zitat: " Und einen Fremden sollst
Du nicht herabsetzen und ihn nicht bedrücken, denn Fremde wart ihr im Lande
Ägypten " (2). Die Tora spricht (hier)
nicht über denjenigen, der zum Judentum übertreten möchte, sondern über den
Ger, der fremde Einwohner, der mit uns in diesem Land wohnt, so wie wir
Gerim in Mizrajim, Einwohner in Ägypten, gewesen sind.
Wir sind darum dazu verpflichtet (nicht herabzusetzen und zu bedrücken) -
weil wir in Ägypten waren. Dieser Gedanke ist nicht unbedingt biblisch,
sondern entstand, weil wir im Laufe von 2000 Jahren lang in so vielen
Zerstreuungen gelebt haben.
2000 Jahre ist uns dies in Fleisch und Blut übergegangen.
In unserer Generation ist die Zeit gekommen, in der wir
erneut dieser zentralen Mizvah Gültigkeit verleihen können. Aus unserem
Judentum heraus, aus der Tora, steigt der Ruf auf, auch dem Anderen ein
anständiges Leben zu ermöglichen.
Nur so können wir unsere Lebensaufgabe als Menschen in seiner Gänze
verwirklichen
Gebe G'tt - möge es uns dank dem vergönnt sein, dass sich der die Worte des
Verses bewahrheiten:
"Und ich werde in Eurer Mitte wohnen".
(1) Jeremiah, 8:23
(2) Exodus 22:20
(3) Exodus 25: 8 Übersetzung aus dem
Hebräischen: Susanna Ruerup
Dank an Orly B. für die Korrektur.



hagalil.com
01-04-2004 |