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Uri Avnery
Einladung: [ENGLISH] / [HEBREW]
Zum
80. Geburtstag
von Uri Avnery
Von Ellen Rohlfs
„Die Tage unserer Jahre sind für sich 70 Jahre, und
war’s in Kräften, sind’s 80 Jahre und ihr Ungestüm ist Mühsal und Harm .....
Wer steht für mich auf vor die Bösgesinnten, wer tritt für mich hin für die
Argwirkenden?“.
Mit diesen Worten, die Moses in den Mund gelegt
werden, die manche zur ältesten Literatur der Menschheit rechnen und die
Martin Buber in den Preisungen (Psalm 90) ins Deutsche übersetzt hat, möchte
ich einen alten Freund grüßen, auch wenn die Freundschaft noch gar nicht so
alt ist.
Aber immerhin ist mir seit 34 Jahren der Name Uri Avnery ein Begriff: 1969
las ich in der FAZ einen Artikel, der mit „Ein Hundertzwanzigstel“
überschrieben war. Es ging um Uri Avnery, der damals einer von 120
Knessetabgeordneten war. Ich fand den Artikel bzw. den Menschen, der in ihm
vorgestellt und beschrieben wurde, so bemerkenswert, dass ich mir den
Artikel aufhob und in meine Israel/Palästina-Mappe legte.
Mein Interesse an der Region wuchs, nachdem ich 1967 im Frühjahr in
Ost-Jerusalem (Jordanien) und 1968 wieder in Jerusalem (Israel / Palästina)
war. Man konnte mir nicht so leicht ein x für ein u vormachen, ich hatte
wahrgenommen, dass es sich hier um ein großes Problem, das nicht von unsrer
Geschichte zu trennen ist, handelt. Und da es damals noch kaum kritische
Literatur auf Deutsch zum Nahost-Konflikt gab, machte mich der Artikel über
Uri Avnery hellhörig: hier ist jemand, der es wagt, gegen den Strom zu
schwimmen, Dinge zu hinterfragen und Wahrheiten auszusprechen, die kaum
jemand hören wollte – nicht in Israel, nicht in Deutschland.
Erst viele Jahre später – 1985 – kam mir Uri Avnerys Buch:
„Mein Freund, der Feind“ in die
Hände. Mit großem Interesse las ich es, und meine Achtung vor Uri Avnery
wuchs; denn anscheinend waren für ihn – wie auch für mich – Palästinenser,
natürlich auch Yassir Arafat, ganz normale Menschen mit Würde. Die in den
Welt-Medien kursierenden negativen Klischeevorstellungen über Palästinenser
– „Terroristen, elende Flüchtlinge, schmutzig, faul, nicht
vertrauendwürdig,“ - haben ihn genau so wenig irritiert wie mich. Diese
Betrachtungsweise eines Israeli war 1982 – von Martin Buber, Prof.
J.Leibowitz und wenigen anderen abgesehen - eine Ausnahme.
Als ich 1992 die Israelisch-Palästinensische Kunstausstellung „ It’s
possible!“ in unsere kleine Stadt holen konnte, durfte ich noch jemanden aus
Israel für die Eröffnungsrede einladen. Für mich kam niemand anders in Frage
als Uri Avnery – und er sagte zu, als ich ihn persönlich bei der Eröffnung
genau dieser Ausstellung in einer anderen Stadt fragte. Dort lernte ich auch
seine Frau Rachel kennen, die wirklich – ohne ihn schmälern zu wollen -
seine „bessere Hälfte“ ist. Bei einer zusätzlichen Abendveranstaltung - und
nun schreibe ich etwas fast Unaussprechliches – schaute ich Rachel in die
Augen. Diesen warmen, fragenden Blick habe ich bis heute nicht vergessen. So
begann eigentlich unsere Freundschaft, kaum dass wir schon Worte gewechselt
hatten.
Dann bereitete ich die Ausstellung vor und für Uri eine Vortragsreise
zwischen Bremen und Emden. „Wenn ich schon nach Ostfriesland komme, dann
möchte ich auch nach Norderney“, war der einzige persönliche Wunsch, den ich
jemals aus seinem Munde hörte. Diesen Wunsch zu erfüllen, half mir das
Pastorenehepaar in Norderney. Ob es Kindheitserinnerungen waren, die ihn
diesen Wunsch äußern ließen?
Die sechs Veranstaltungen, auch die Ausstellungseröffnung, waren erfolgreich
und stießen auf großes Interesse. Fast acht Tage waren Rachel und Uri meine
persönlichen Gäste, und da es gerade die schönste Blütezeit in meinem Garten
war, und die Vögel rund herum und im nahen Wald um die Wette zwitscherten,
erinnerte sich Uri an die Frühlingslieder seiner Kindheit in Hannover – und
fing im Garten im Liegestuhl liegend auf einmal an, die uns bekannten Lieder
zu singen, die 1992 mehr als 60 Jahre in seinem Gedächtnis geschlummert
hatten – für mich ein Zeichen, dass er sich bei mir wohl fühlte. So kam es
auch zu einem Photo mit einem selten so fröhlich lachenden Uri.
Eine Fahrt mit Rachel und Uri ging natürlich auch nach Holland und dort zu
einer alten, gut renovierten Grenzfestung, die einmal gegen die Deutschen
errichtet worden war – und heute die Touristen anzieht. Uri hatte seinen
Spaß an den alten Kanonen, den Bollwerken, den Wachhäuschen für die
Wachsoldaten – sogar eine Mühle, Kirche und Synagoge gab es in dieser
Festung. „Siehst Du, was heute aus der Festung geworden ist? Was aus dem
Jahrhunderte langen Kampf zwischen Holländern und Deutschen? Deswegen glaube
ich, dass auch wir in Israel-Palästina eines Tages in Frieden mit- und
nebeneinander leben können.“
Noch im Herbst durfte ich einen 1.Gegenbesuch machen, dem noch viele
folgten. Und so lernte ich Uris und Rachels unermüdliche Friedensarbeit in
Israel näher kennen und begleitete sie zu Demonstrationen in Tel Aviv und
Jerusalem, war bei Gush Shalom-Treffen dabei, bei denen die nächsten
Aktionen vorbereitet wurden. Später verfolgte ich die Protest-Aktionen gegen
die neue Siedlung Har-Homa aus der Ferne. Mein Kapitel darüber im 2. Buch:
„Frieden ist möglich - man muss ihn nur
wollen“ schrieb ich, als Uri schwer krank und operiert im Krankenhaus
lag. Als Rachel ihm diesen Bericht im Krankenhaus vorlas, fragte er: „War
Ellen denn dabei?“ Nein, da war ich nur über Telefon mit Rachel verbunden,
und ich wusste alles auch über die Vorbereitungen, aber die Gegend kannte
ich gut. Alles Tun und Reden von Uri und Rachel kreiste immer um das Thema:
was können wir tun, um die israelische Gesellschaft auf eine Politik des
Friedens und der Versöhnung mit dem palästinensischen Volk vorzubereiten,
und wie können wir unsere Regierung in diese Richtung drängen?
Allerdings einmal, an einem Schabbat, luden mich Uri und Rachel zu drei (!)
Konzerten – Musik aus zwei Jahrtausenden - in einer alten Marienkirche in
Abu Gosh ein – ein unvergessliches Erlebnis, über das ich in meinem 1.Buch
schrieb: „Wie auf einem anderen Stern“.
Und als ich dieses mein 1. Buch im Manuskript fertig hatte und noch zögerte,
es drucken zu lassen, gab ich es Uri erst einmal zu lesen und fragte, ob er
mir das Vorwort dazu schreiben würde. Er tat es. Dann konnte es gedruckt
werden.( „Sag, Mutter, wie sieht Frieden
aus? Nachdenkliches und Frag-Würdiges zum Israel-Palästina-Konflikt“).
Dass ich die große Friedensdemo kurz vor dem 13.September (Oslo-Abkommen)
1993 in Tel Aviv mit Uri und Rachel erlebte, wo wir alle glaubten, nun sei
der Frieden ausgebrochen und wo großer Jubel herrschte, und dann den
4.November 1995, wo nach der Demo, bei der wir gerade noch mit Rabin
zusammen ein Friedenslied gesungen hatten, die tödlichen Schüsse fielen -
und schließlich 8 Tage später auch die Gedenk-Demo mit den Kerzenkindern
.... das hat uns auch verbunden.
Inzwischen sind 8 schwere Jahre für alle Menschen in Israel und Palästina
vergangen – und Uri und Rachel kämpfen noch immer denselben Kampf. So konnte
ich nicht anders, als Uri und Rachel mit ihrer Friedensgruppe Gush Shalom
nicht nur für den Aachener Friedenspreis (1997) sondern auch für den
Alternativen Friedensnobelpreis vorzuschlagen. 2001 erhielten sie ihn in
Stockholm und ich durfte an diesem für sie großen Tag mit dabei sein. Wenn
schon in Israel Uris Friedensarbeit kaum anerkannt und er in Deutschland
(von selbsternannt "pro-israelischen" Gruppierungen) und in Israel immer
wieder diffamiert wird, so sollte ihm, Rachel und Gush Shalom für die
unermüdliche Friedensarbeit wenigstens internationale Anerkennung zuteil
werden.
In meiner kleinen Laudatio, die ich am nächsten Tag noch im kleineren Kreise
der Preisträger und des Right-Livelihood-Award-Komitees vortragen durfte,
sagte ich zum Schluss etwa Folgendes:
„Manchmal frage ich mich, woher Ihr, Rachel und Uri, für diesen langen,
schwierigen und gewaltlosen Kampf die Kraft und Geduld nehmt? Andere hätten
längst das Handtuch geworfen und wären vielleicht ausgewandert, um einen
ruhigen Lebensabend irgendwo zu verbringen. Nicht Ihr! Ist es Euer
unglaublicher Optimismus, Eure nicht schwindende Hoffnung, ein starkes
Gefühl der Verantwortung für das Volk, dem ihr Euch verbunden fühlt?
Vielleicht aber auch eine verborgene Verzweiflung, gegen die Ihr ankämpft?
Denn der Kampf um Frieden und Versöhnung geht weiter in einer immer
katastrophaler werdenden Situation. Ich hoffe so sehr, dass dieser
Alternative Friedensnobelpreis nicht nur Euch ermutigt, weiter zu kämpfen,
sondern auch die jüngere Generation in Israel und Palästina, dass
europäische Regierungen und die verantwortlichen Leute in Israel die
Bedeutung dieses Preises erkennen und Euch nicht nur immer mehr
unterstützen, sondern endlich den Weg des Friedens zu gehen bereit sind.
Der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho sagte einen Satz, der genau
zu Eurer Lebensarbeit passt: „Die Kraft aus Euren Träumen kommt aus Eurer
Sehnsucht, die momentane Auffassung der Dinge und auch der Welt zu ändern.
Wenn genügend viele Leute denselben Traum haben, dann wird er schließlich
wahr und zur Realität werden.“
Und als letztes der Schlussakkord meines 2.Buches, ein Lied, das durch das
Gespräch und die Verbundenheit mit Euch entstanden ist: „I have a dream, you
have a dream, we all have a dream – and they have a dream too: peace with
security and dignity, peace with justice for all. Me and you, they and we,
we all have a dream: Shalom – Salam! Salam – Shalom!“ Dass ich damit nicht
sagen will, dass Ihr Träumer seid, das wisst Ihr!
(Ich habe einen Traum, Ihr habt einen Traum, wir alle haben einen Traum –
und sie haben auch einen Traum: Frieden mit Sicherheit und Würde, Frieden
mit Gerechtigkeit für alle. Ich und Ihr, sie und wir, wir alle haben einen
Traum: Shalom - Salam! Salam – Shalom!)
Ellen Rohlfs
hagalil.com 09-09-2003 |
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