Gedanken über Apartheid:
Ein Eskimo in Bantustan
Uri Avnery
Ein Eskimo kommt in die Stadt und sieht zum ersten Mal in seinem Leben
ein Stück Glas. Das Glas sieht für ihn wie Eis aus. Eis ist durchsichtig und
Glas auch. Eis kann gelutscht werden. Also steckt der Eskimo das Stück Glas
in den Mund und fängt an zu lutschen.
Das ist ein ganz normales logisches Verhalten. Es ist aber auch eine Warnung
vor zu einfachem Gebrauch von Analogien. Analogien sind in vielen Fällen
nützliche Kunstgriffe, aber man muss immer genau kontrollieren, wie weit der
Vergleich geht. Er sollte nicht blind angewandt werden, weil er sonst zu
einem irreführenden Schluss führt.
In diesem Falle ist es die Anwendung des Begriffes „Apartheid“ im
Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in der Hoffnung,
dass die Weltöffentlichkeit Druck auf die israelische Regierung ausübt, so
wie sie es auf das rassistische Regime in Süd-Afrika getan hat.
Auf Afrikaans, der Sprache der holländischen Siedler in Südafrika, bedeutet
„Apartheid“ „Trennung“, „getrennt halten“. Die Apartheidpolitik war
theoretisch davon bestimmt, die Rassen getrennt zu halten, aber in der
Praxis diente sie dazu, die Schwarzen aller ihrer Rechte zu berauben. Bei
der Ausführung dieser Politik hielt das rassistische Regime den größten Teil
der schwarzen Bevölkerung in Reservaten, wo ihnen eine Scheinautonomie
gegeben wurde. Solch eine Enklave wurde offiziell Bantu-Homeland genannt,
nach dem schwarzen Bantuvolk in Südafrika. So entstand der ekelhafte Name
„Bantustan“.
Man kann leicht Ähnlichkeiten zwischen den Bantustans und den Enklaven
feststellen, in die Ariel Sharon die Palästinenser im Laufe seiner
„einseitigen Schritte“ einzusperren beabsichtigt. Die durch die Westbank
laufende Route der „Trennungsbarriere“ schafft einige Dutzend größere und
kleine palästinensische Bantustans. Deshalb mag die Mauer sehr wohl
Apartheid-Mauer genannt werden, da ja Trennung und Apartheid fast dasselbe
bedeuten.
Die Wirklichkeit in den besetzten palästinensischen Gebieten ist in vielen
Hinsichten der Realität des Apartheidregimes ähnlich. Da gibt es (gute)
Autobahnen (nur) für Siedler und Soldaten und andere
(schlechte) Straßen für die Palästinenser; die Kontrollpunkte und
Straßensperren, wo Palästinenser aufgehalten werden, während Israelis frei
passieren können, passen in dieses Bild.
Man sollte aber diesen Vergleich nicht ad absurdum führen und falsche
Schlüsse ziehen, weil die Unterschiede zwischen beiden Konflikten nicht
weniger bedeutsam sind als ihre Ähnlichkeiten
--- Zunächst das Kräfteverhältnis. In Südafrika waren die Weißen nur 10% der
Bevölkerung, während die Schwarzen 77% ausmachten. Der Rest bestand aus
„Mischlingen“, „Farbigen“, Indern und anderen. (Es sollte erinnert werden,
dass Mahatma Gandhi seine Karriere als junger indischer Rechtsanwalt in SA
begonnen hat, wo er seine ersten Schlachten für die Rechte der Inder und
Schwarzen ausfocht).
Im Gebiet von Israel-Palästina, zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan,
stellen die Juden mit 60% die Mehrheit dar. In Israel selbst sind es mehr
als 80%. Selbst wenn sich dieses Verhältnis, in Folge der hohen arabischen
Geburtsrate, in Zukunft ändern wird, wird es nicht an die südafrikanischen
Proportionen heranreichen.
--- Selbst auf der Höhe der rassistischen Übermacht war die südafrikanische
Wirtschaft auf der Arbeitskraft der Schwarzen gegründet und hätte nicht ohne
sie existieren können. Es stimmt, dass die israelische Wirtschaft nach 1967
auch die billige Arbeitskraft ausgenützt hat; aber als dies während der
Intifada problematisch wurde, wurden sogar noch billigere ausländische
Arbeitskräfte importiert.
--- Noch wichtiger ist aber der Unterschied der Wahrnehmung. Weder die
Weißen noch die Schwarzen stellten die territoriale Einheit Südafrikas in
Frage. Der Kampf ging um die Macht im Staate, nicht um seine Unversehrtheit.
Da gab es einige Vorschläge, dass die Weißen sich im Süden des Landes
konzentrieren und einen separaten weißen Staat errichten sollten: Aber das
wurde von den Weißen sofort zurückgewiesen. Sie hatten Landbesitz und
Unternehmen übers ganze Land verteilt und dachten nicht daran, dies
aufzugeben.
Solche Ratschläge wurden manchmal von den Israelis gemacht, die vorschlugen,
dass das israelische Experiment Südafrika angepasst werden könnte. In
derselben Weise schlug Ben Gurion Charles de Gaulle eine Politik der
Konzentration französischer Siedler in einem Teil Algeriens vor, um dort
einen französisch-algerischen Staat zu gründen. Auch de Gaulle lehnte
höflich ab.
Die Weißen wie die Schwarzen definierten sich als Südafrikaner. Sogar auf
dem Höhepunkt des erbitterten Kampfes war das erklärte Ziel der schwarzen
Freiheitskämpfer, im Land ein multi- rassistisches Regime zu errichten. Und
tatsächlich wurde diese Lösung von der Mehrheit beider Seiten akzeptiert –
und es scheint bis jetzt zu funktionieren.
Die israelisch-palästinensische Realität ist ganz anders. Keine vernünftige
Person würde leugnen, dass es sich hier um zwei getrennte Völker handelt,
mit verschiedenen, sich widersprechenden nationalen Vorstellungen. Das
südafrikanische Experiment nach hier zu transplantieren, wäre genau so
erfolglos, wie wenn man versuchen wollte, das israelisch-palästinensische
Experiment nach Südafrika zu transplantieren.
---Ein anderer großer Unterschied liegt in der Haltung der Welt gegenüber
den beiden Ländern. Das südafrikanisch rassistische Regime hat sich nie
internationaler Sympathie erfreut. Die Führer der „afrikanischen
Nationalpartei“, die 1948 das Schlagwort „Apartheid“ geprägt hatten, hatten
im 2.Weltkrieg mit den Nazis zusammengearbeitet und zahlten dafür mit
Gefängnisstrafen.
Israel dagegen wurde als der "Staat der Holocaustopfer" gegründet und zog so
die Bewunderung der ganzen Welt auf sich. Allen folgenden israelischen
Regierungen gelang es, dieses Ansehen zu nutzen. Auch heute schrecken viele
gute Leute rund um die Welt davor zurück, unsere Handlungsweise zu
kritisieren, teilweise aus Furcht davor, als Antisemiten betrachtet zu
werden. Und natürlich gibt es keine sechs Millionen Amerikaner, die
südafrikanischen Ursprungs sind.
Die Haltung gegenüber Israel wird langsam negativer. Nicht viel blieb von
dem Image des „tapferen, kleinen Staates, der von Feinden umgeben ist“, und
der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“. Wir werden immer mehr als die
brutalen Besatzer gesehen, als ein Staat, der internationale Gesetze und
moralische Normen verletzt. Die „Trennungsmauer“, die Checkpoints und all
die anderen Elemente der Besatzung sind dabei, unsern guten Namen zu
zerstören, und die Vorladungen zum Internationalen Gerichtshof (in Den Haag)
tun uns auch keinen guten Dienst.
Aber all dies klingt nur wie ein ferner Schrei, verglichen mit der Haltung
der Welt gegenüber dem rassistischen Südafrika. Leute, die glauben, die
öffentliche Weltmeinung könne das israelische Regime wie das südafrikanische
zu Fall bringen, täuschen sich.
Kräfte von außen können und müssen eine wichtige Rolle beim Beenden der
Besatzung und beim Errichten des Friedens spielen, eines Friedens, der auf
der Basis von „Zwei Staaten für zwei Völker“ beruht. Auf die Dauer kann es
sich Israel nicht leisten, die internationale Meinung zu missachten. Thomas
Jefferson sagte einmal, kein Volk könne ohne eine entsprechend annehmbare
Achtung vor der Weltmeinung seine Angelegenheiten erledigen.
Aber der Hauptkampf liegt innerhalb der israelischen Öffentlichkeit, und die
Hauptlast muss von den Friedliebenden und den nach-Gerechtigkeit-Suchenden
innerhalb der israelischen Gesellschaft getragen werden.
(Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
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hagalil.com/forum
Apartheid / Besatzung?
All the same?
Wenn wir den Terminus „Apartheid“ benützen, um eine Situation
in den besetzten Gebieten zu beschreiben, müssen wir uns der Tatsache
bewusst sein, dass die Ähnlichkeit zwischen der israelischen Besatzung und
dem Regime der Weißen nur Methoden betrifft, nicht die Substanz...
hagalil.com 25-01-2004 |