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Meinung, Kritik & Diskussion |
Apartheid / Besatzung?
All the same?
Aus einem Artikel von Uri Avnery: Die Friedensfahrt bzw.
Ein Eskimo in Bantustan
...WENN wir den Terminus „Apartheid“ benützen, um eine
Situation in den besetzten Gebieten zu beschreiben, müssen wir uns der
Tatsache bewusst sein, dass die Ähnlichkeit zwischen der israelischen
Besatzung und dem Regime der Weißen nur Methoden betrifft, nicht die
Substanz. Dies muss ganz klar gemacht werden, um große Irrtümer in der
Analyse der Situation und den daraus resultierenden Schlüssen zu verhindern.
Es ist immer riskant, Vergleiche mit anderen Ländern und Zeiten zu ziehen.
Keine zwei Länder und keine zwei Situationen sind genau gleich. Jeder
Konflikt hat seine besonderen historischen Wurzeln. Selbst wenn die Symptome
gleich sind, kann es eine vollkommen andere Krankheit sein.
Diese Vorbehalte gelten besonders bei dem Vergleich zwischen dem
israelisch-palästinensischen Konflikt und dem historischen Konflikt zwischen
den Weißen und den Schwarzen in Südafrika. Es genügt, auf ein paar
grundlegende Unterschiede hinzuweisen:
- In Südafrika war es ein Konflikt zwischen Schwarzen
und Weißen, die beide darin übereinstimmten, dass der Staat selbst
intakt bleiben solle. Es gab nur die Frage, wer ihn regieren solle. Fast
keiner schlug eine Teilung des Landes zwischen Schwarzen und Weißen vor.
- Unser Konflikt ist einer zwischen zwei verschiedenen
Nationen mit verschiedenen nationalen Identitäten. Für beide ist es von
höchstem Wert, einen eigenen Staat zu haben.
- In Südafrika war die Idee der „Trennung“ ein
Instrument der weißen Minderheit, um die schwarze Mehrheit zu
unterdrücken. Die schwarze Bevölkerung wies dies einmütig zurück. Hier
aber will die große Mehrheit der Palästinenser von Israel getrennt
werden, um einen eigenen Staat zu gründen. Die große Mehrheit der
Israelis will auch von den Palästinensern getrennt werden. Trennung ist
also das Bestreben der Mehrheit auf beiden Seiten. Die Frage ist nur: wo
soll die Grenze zwischen beiden verlaufen? Nur die Siedler und ihre
Verbündeten verlangen, dass das ganze historische Gebiet vereinigt
bleibt, und sind gegen die Trennung, um den Palästinensern weiter Land
rauben und ihre Siedlungen vergrößern zu können. Auf der
palästinensischen Seite sind es die islamischen Fundamentalisten, die
glauben, das ganze Land sei ein WAQF (ein religiöses Treuhandgut), und
gehöre Allah und dürfe deshalb nicht geteilt werden.
- In Südafrika herrschte eine weiße Minderheit (etwa
10%) über eine große Mehrheit von Schwarzen (78 %), Menschen gemischter
Herkunft (7 %) und Asiaten (3 %). Hier zwischen dem Mittelmeer und dem
Jordan leben 5,5 Millionen jüdische Israelis und etwa die gleiche Zahl
palästinensischer Araber (einschließlich der 1,4 Millionen
Palästinenser, die Bürger Israels sind).
- Die südafrikanische Wirtschaft gründete sich auf die
Arbeit der Schwarzen und hätte gar nicht ohne sie existieren können.
Hier ist es der israelischen Regierung gelungen, alle Palästinenser
vollständig aus dem israelischen Arbeitsmarkt zu verdrängen und sie
durch Fremdarbeiter zu ersetzen.
ES IST bedeutsam, auf diese grundlegenden Unterschiede
hinzuweisen, um ernste Fehler beim Kampf gegen die Besatzung zu vermeiden.
In Israel und im Ausland gibt es Leute, die diese Analogie nennen, ohne
entsprechende Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Unterschiede zwischen den
beiden Konflikten zu lenken. Ihre Schlussfolgerung: die Methoden, die gegen
Südafrika erfolgreich waren, könnten auch im Kampf gegen die Besatzung
erfolgreich sein – die Mobilisierung der öffentlichen Weltmeinung, einen
internationalen Boykott und Isolierung.
Das erinnert an einen klassischen Irrtum, der gerne in Logikkursen gelehrt
wird: ein Innuit (Eskimo) kennt Eis, das durchsichtig ist. Eis kann gekaut
werden. Als er zum ersten Mal ein Glas Wasser bekommt, das auch durchsichtig
ist, denkt er, er könne es kauen.
Zweifellos ist es wesentlich, die internationale öffentliche Meinung dazu zu
bringen, etwas gegen die kriminelle Behandlung des palästinensischen Volkes
durch die Besatzung zu tun. Wir tun es täglich – und so jetzt auch Jimmy
Carter. Jedoch muss klar sein, dass dies unendlich viel schwieriger ist als
der Feldzug, der das südafrikanische Regime überwand. Einer der Gründe:
während des 2. Weltkrieges versuchten die späteren Herrscher Südafrikas die
Anstrengungen gegen die Nazis zu sabotieren, und waren deshalb damals im
Gefängnis. Sie waren weltweit verhasst und geächtet. Israel wird von der
Welt als der „Staat der Holocaustüberlebenden“ angesehen und deshalb mit
überwältigender Sympathie betrachtet.
Es ist ein schwerer Irrtum zu denken, dass die internationale öffentliche
Meinung der Besatzung ein Ende setzen kann. Dies wird nur eintreten, wenn
die israelische Öffentlichkeit selbst davon überzeugt ist.
Dann gibt es noch einen anderen bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden
Konflikten, und dieser ist vielleicht der bedenklichere: in Südafrika würde
kein Weißer von einer ethnischen Säuberung geträumt haben. Selbst die
Rassisten verstanden, dass das Land nicht ohne die schwarze Bevölkerung
existieren kann. In Israel wird dieses Ziel aber erwogen. Einer der
Hauptbefürworter, Avigdor Lieberman, ist ein Mitglied der Regierung und
letzte Woche instruierte Präsident Bush Condoleezza Rice, ihn auch offiziell
zu treffen. Die Gefahr der Apartheid ist nicht das Schlimmste, das über den
Köpfen der Palästinenser wie ein Damoklesschwert hängt. Sie sind von
Schlimmerem bedroht, dem Transfer, der Vertreibung.
EINIGE LEUTE in Israel und in der Welt bringt die Apartheid-Analogie zu der
logischen Schlussfolgerung: die Lösung hier wird dieselbe sein wie in
Südafrika. Dort haben die Weißen nachgegeben, und die schwarze Mehrheit kam
zur Macht. Das Land blieb vereinigt. Dank seiner weisen Führer, wie Nelson
Mandela und Frederick Willem de Klerk, geschah dies ohne Blutvergießen.
In Israel ist das ein schöner Traum für das Ende der Zeiten. Weil die darin
verwickelten Menschen mit ihren Ängsten dies zwangsläufig zu einem Alptraum
werden lassen. In diesem Land gibt es zwei Völker mit sehr starkem
nationalem Bewusstsein. Nach 125 Jahren Konflikt gibt es nicht die geringste
Chance, dass sie zusammen in einem Staat leben, die gleiche Regierung
teilen, in der gleichen Armee dienen und die gleichen Steuern zahlen würden.
Wirtschaftlich, technologisch und bildungsmäßig ist die Kluft zwischen den
beiden Bevölkerungen immens. In solch einer Situation würde es tatsächlich
zu Machtverhältnissen wie denen in Südafrikas Apartheidregime kommen.
In Israel lauert der demographische Dämon. Es besteht unter Juden eine
existenzielle Angst, dass das demographische Gleichgewicht selbst innerhalb
der Grünen Linie sich ändere. Jeden Morgen werden gewissermaßen die Babys
gezählt – wie viele jüdische Babys wurden während der Nacht geboren und wie
viele arabische. In einem gemeinsamen Staat würde die Diskriminierung sich
verhundertfachen. Der Hang zum Enteignen und Vertreiben würde keine Grenzen
kennen, die zügellose jüdische Siedlungsaktivität würde blühen, zusammen mit
der Bemühung, die Araber mit allen nur möglichen Mitteln zu benachteiligen.
Kurz gesagt: die Hölle.
MAN KANN hoffen, dass diese Situation sich in 50 Jahren verändern wird. Ich
zweifle nicht daran, dass es am Ende eine Föderation zwischen den beiden
Staaten geben wird, vielleicht einschließlich Jordaniens. Yasser Arafat hat
mehrere Male mit mir darüber gesprochen. Doch weder die Palästinenser noch
die Israelis können sich weitere 50 Jahre Blutvergießen, Besatzung und
schleichende Vertreibung leisten.
Das Ende der Besatzung wird im Rahmen eines Friedensabkommens zwischen
beiden Völkern kommen, die in zwei freien benachbarten Ländern leben werden
- Israel und Palästina – mit der Grenze zwischen ihnen, die etwa der Grünen
Linie entspricht. Ich hoffe, dass dies eine offene Grenze sein wird...
Siehe auch:
"Zwei Staaten" oder "Ein Staat"
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hagalil.com
22-07-2007 |
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