Anonyme Planer:
Falsche Voraussagen
von Amira Hass, Ha’aretz
“Die Planer des Zauns haben es verabsäumt, seine Auswirkungen auf
unschuldige Palästinenser vorherzusehen”, so der Nationale
Sicherheitsberater Israels, Giora Eiland, gegenüber einem diplomatischen
Highlevel- Sicherheitsforum in Deutschland (siehe Ha’aretz vom 9. Februar).
Eiland sowie weitere Vertreter Israels sind inzwischen bemüht, die
westlichen Staaten, vor allem die USA, zu überzeugen, der Verlauf des
Trennzauns sei ein - menschlicher, örtlich-begrenzter und praktisch
zufälliger - Irrtum, den man nur zu korrigieren brauche, um den Schaden zu
minimieren. Wir haben eine neue Schildwache gefunden, die wir verantwortlich
machen können für das, was schiefgelaufen ist: die relativ anonymen Planer
des Trennzauns. Diese hätten aus einer Art individueller, persönlicher
Unzulänglichkeit heraus versagt und es versäumt vorauszusehen, in welcher
Größenordnung “das Leben unschuldiger Menschen betroffen sein würde” - durch
die Konstruktion einer Verschanzung nämlich, die Brunnen zerstört bzw.
weiter zerstören lässt (Brunnen, die die Landwirtschaft braucht), die zur
Rodung zehntausender Oliven- und anderer Bäume führt sowie zur Vernichtung
hunderter Treibhäuser, in die tausende von Menschen jahrelang ihre
Ersparnisse investiert haben.
Wirklich, man braucht große analytische Fähigkeiten, um vorauszusehen, dass
die Käfighaltung tausender Menschen hinter Eisentoren, vor denen man
19jährige Soldaten postiert - die die Tore zwei- bis dreimal täglich öffnen,
falls sie Lust dazu haben -, zu verheerenden Folgen führt für Leute in
Schul- und Universitätsausbildung, für Krebskranke und Menschen mit kranken
Nieren, deren medizinische Behandlung sabotiert wird sowie für die
getrennten Familien. Und nur äußerst phantasiebegabten Menschen war es
möglich, auf die Idee zu kommen, dass es sehr schwer sein würde für die 260
000 Menschen in den 81 verschiedenen, durch den Zaun geschaffenen Enklaven,
“die Substanz eines normalen Lebens” aufrechtzuerhalten. Einundachtzig
Enklaven - die die Menschen abtrennen von ihren Nachbardörfern, von den
Städten der Provinz, vom Rest der Westbank, die sie einsperren hinter
Stacheldrahtzäunen mit Wachtürmen, Gräben, Doppelzäunen und in ein
militär-bürokratisches Erlaubnis-System, das das Verlassen und die Rückkehr
in die Enklave regelt; betroffen sind Müllmänner, Ärzte, Lehrer,
Familienangehörige.
In Wahrheit war das Einzige, was schwer vorauszusehen war, der
internationale Schock, den der Zaun auslösen würde. Die Nationale
Sicherheitsberaterin der USA, Condoleezza Rice, zeigt sich nicht begeistert
(und somit also nicht nur die Vollversammlung der Vereinten Nationen). Auch
westliche Diplomaten sprechen über die Sache, wenn sie unter sich sind - vor
allem, wenn sich herausstellt, dass Entwicklungsprojekte, die von ihren
Ländern finanziert wurden, unter den Bulldozern des Zaunbaus enden. Die
europäischen Länder sprechen sich zwar dagegen aus, den Internationalen
Gerichtshof in Den Haag miteinzubeziehen, aber auch sie hegen Vorbehalte
gegenüber dem Zaunverlauf und gegen die dadurch entstandene Zerstörung.
Fernsehsender auf der ganzen Welt senden Doku-Filme über den Zaun und dessen
Nachteile. Und man kann einfach nicht immer in das gleiche Horn blasen und
von antisemitischen Motiven sprechen.
Ohne das alles wäre es wahrscheinlich nicht dazu gekommen, dass verschiedene
Repräsentanten des Staats (Israels) - etwa das Büro des Staatsanwalts, zuvor
schon ‘militärische Quellen’ - andeuten, es könnte zu einer Korrektur des
Zaunverlaufs kommen, sie gestehen ein, man habe verabsäumt, das ganze Ausmaß
der Schäden “vorauszusehen”, die Unschuldigen zugefügt werden. Aber diese
Schäden waren ihnen schlicht egal. Schließlich stellt diese Art Schäden
nichts Neues dar. Seit 37 Jahren hat das israelische Besatzungsregime sie
erfolgreich getestet - im Namen der Sicherheit bzw. im Namen des
(angeblichen) Rechts des jüdischen Volks auf privilegierte Rechte in diesem
Land. Weder Meridor-Komitee noch Osloer Abkommen setzten der israelischen
Gewohnheit ein Ende, das palästinensische Wasserrecht zu beschneiden, das
Recht der Palästinenser auf Bewegungsfreiheit, auf Land, auf Entwicklung
oder auf Verdienst ihres eigenen Lebensunterhalts.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2002 konnte, wer wollte, sehen, dass der
Zaunverlauf absolut nicht der Grünen Linie (Grenzverlauf vor dem
Sechstagekrieg) entsprach, dass er Enklaven schafft, dass er die
“Gemüsegärten” der palästinensischen Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht. Zu
diesem Zeitpunkt war es schwer, in den israelischen Medien Berichte über das
Ausmaß der Zaun-Schäden im Hinblick auf die zivile (palästinensische)
Bevölkerung unterzubringen. Das Datenmaterial und die Berichte über die
massiven Enteignungen und Baumzerstörungen - veröffentlicht durch
verschiedene palästinensische Organisationen - waren nicht auf Hebräisch zu
lesen. B’Tselem brachte sein erstes Positionspapier im September 2002
heraus. Darin wird vor den Folgen gewarnt, die der Zaunverlauf mit sich
bringt, unter anderem wird davor gewarnt, dass er ein tödlicher Schlag für
das Leben der Palästinenser sei. Wer erinnert sich?
Mitte 2003 hatten die Planer des Zaunverlaufs alle hinter sich - das
politische System, die Printmedien, die elektronischen Medien, die Straße
sowie Schlüsselfiguren des israelischen Friedenslagers. Denn die Zaun-Idee
lieferte den Leuten - eingeschüchtert durch die Selbstmordterrorangriffe -
die Hoffnung, es könnte für sie persönlich Sicherheit geben und zwar
unabhängig von einer politischen Lösung, von den Zaun-Details war nicht die
Rede. Die Idee war eine Ausflucht - auf diese Weise konnte man sich nämlich
dem irritierenden Wissen entziehen, dass Israel dem Angebot einer
nachhaltigen politischen, humanitären und rationalen Lösung, die auch für
Palästinenser akzeptabel ist, aus dem Weg geht. Ein militärischer Plan -
Hochbrücken und tiefergelegte Straßen zwischen den Enklaven -, war nur ein
Knochen für die internationale Öffentlichkeit und eine weitere trügerische
Hoffnung für die Israelis, die man ihnen anbot, um sie vom Wesentlichen
abzulenken. Die Planer eines Zaunverlaufs zum Schaden der Palästinenser
agieren ja im Namen des israelischen Staats. Dieser hatte in Westbank und
Gazastreifen fast ungehindert ein Regime jüdischer Superiorität errichten
können, ein Regime das unvermeidlich die Rechte der Palästinenser verletzt -
die individuellen wie die kollektiven. Wichtige Teile der israelischen
Gesellschaft sind inzwischen blind für den angerichteten Schaden; das
Besatzungsregime wird so selbstverständlich hingenommen wie der
Sonnenaufgang im Osten.
Übersetzt von: Andrea Noll / ZNet 15.02.2004
International Court of Justice - Press Release
Summary of the Advisory Opinion of 090704
Urteil von beispielloser Schärfe:
Sagt
nicht Antisemitismus!
Sind wir doch mal ehrlich: Wir machten aus dem so wichtigen Zaun
eine politische Angelegenheit, und dafür mussten wir jetzt bezahlen. Wir
müssen gar nicht bis nach Haag gehen. Es genügt, den Gazastreifen zu
betrachten, die Grenze zum Libanon und das Oberste Gericht in
Jerusalem...
Confused and disappointed:
The courts and the fence/wall
Two courts ruled on Israel's security
fence project within a period of ten days. The difference between the
two rulings is no less than cosmic, thereby demonstrating just how
relative justice can be...
Gutachten des Internationalen Gerichtshofes:
"Illegaler
Mauerbau"
Der Bau des Zauns ist illegal, sagt der Gerichtshof, da er einen
politischen Präzedenzfall für zukünftige Grenzen zwischen Israel und dem
zukünftigen Staat Palästina schaffe...
Entscheidung zum Trennungszaun:
Es gibt Richter in Den Haag
Haaretz bringt die beiden Begebenheiten auf ihrer Titelseite: den
100. Todestag von Theodor Herzl und das Urteil des Internationalen
Gerichtshofes ( ICJ), der den israelischen Trennungswall für illegal
erklärte...
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat die israelische
Sicherheitsanlage erwartungsgemäß für rechtswidrig erklärt. Er
forderte die israelische Regierung auf, die
Arbeiten östlich der "grünen Linie" einzustellen und
Palästinenser zu entschädigen, die durch den Bau Nachteile erlitten
haben.
Israel verteidigt die Anlage als notwendig zum Schutz gegen
palästinensische Terroristen. Der israelische Justizminister erklärte,
für Israel seien nur die Entscheidungen seines eigenen obersten
Gerichtes maßgeblich. Israel will dem Gutachten aus Den Haag nicht Folge
leisten.
hagalil.com 16-07-2004 |