Trennung –
wovon und von wem?
Dem
Entwurf der „Genfer Initiative“, der am 1. Dezember 2003 unterschrieben
wurde, ist zu entnehmen, dass auf nähere Ausführungen in Artikel 12 „Wasser“
verzichtet worden ist. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung dieses
Thema und die Komplexität seiner Klärung. Insofern ist der Beitrag des seit
sechs Jahren in Ramallah arbeitenden Hydrogeologen Clemens Messerschmid von
Bedeutung, der in einem Münchner Vortrag im September 2003 auf die
Wechselbeziehung zwischen dem Bau des „Sicherheitszauns“ und der Verteilung
des Wassers zwischen Israelis und Palästinensern hingewiesen hat. (Dr.
Reiner Bernstein)
Entwicklungsperspektiven:
Sicherheitszaun und Wasserressourcen
Von Clemens Messerschmid (Ramallah)
Clemens Messerschmid lebt und arbeitet seit sechs
Jahren als Hydrogeologe in Ramallah. Seit zwei Jahren ist er bei der
„Palestinian Water Authority“ als Berater für Forschung und Koordination im
Projekt „Die nachhaltige Bewirtschaftung der West Bank und Gaza Aquifere
(SUSMAQ)“ tätig.
[Als
pdf unter http://www.genfer-initiative.de]
Seit gut einem halben Jahr baut Israel seine sogenannte
Trennmauer. Ende Juli sollen die ersten beiden Teile der Mauer
fertiggestellt sein. Sie bestehen aus einem nördlichen Abschnitt von Salem
im Norden der West Bank bis Elkana, 10 km südöstlich von Qalqilya (128 km
Länge) und dem ‚Jerusalem-Envelope’ zwischen Ramallah und Betlehem
(22 km). In der zweiten, bereits im Januar 2003 beschlossenen Phase soll der
nördliche Abschnitt bis nach Tayasir erweitert werden (siehe Abb.2). Zwei
weitere Abschnitte sind in Planung, in der
zentralen West Bank von Elkana bis zum Militärcamp Ofer nahe Ramallahs und
in der südlichen West Bank von Bethlehem, um Hebron herum bis Mount Amasa.
Der Wall besteht aus einem 35 bis 50 Meter breiten
Streifen mit zwei Drahtverhauen außen und einer Serie von Gräben und
Beobachtungsstreifen sowie einer Patroullierstraße dazwischen (siehe Abb.
1). In der Mitte befindet sich entweder eine bis zu acht Meter hohe Mauer
oder ein elektronisch gesicherter Zaun, der auf Berührung, Durchschneiden,
Übersteigen und Schütteln reagieren soll. Zusätzlich werden
Beobachtungsmittel wie Kameras, Nachtsichtgeräte und Radar eingesetzt. Die
Gesamtlänge der Mauer soll 600 km betragen. Pro Kilometer werden etwa 2 Mio.
Euro verbaut (Haaretz, 9.5.03). Der endgültige Verlauf der Mauer steht noch
nicht fest. Daher wird dieser Artikel sich auf den nördlichen, bereits im
Bau befindlichen Teil konzentrieren.
Abb 1.: Schematischer Schnitt durch
die “Trennbarriere”
16 Dörfer mit 13 386 Einwohnern
werden westlich der Mauer liegen. 238 km2 Agrarland werden
isoliert. Die Agrarflächen von 53 Dörfern mit einer Fläche von fast 142 km2
werden zusätzlich von der Mauer betroffen sein.
Geographisch-hydrologischer
Hintergrund
Der Nordabschnitt der Mauer
zwischen Salem und Elkana (Abb.1) verläuft im Grenzgebiet zwischen der West
Bank und Israel, wo die Ausläufer des Hügellandes des großen West
Bank-Sattels in die westliche Küstenebene übergehen. Mehr als 15
palästinensische Dörfer werden dadurch von der West Bank abgeschnitten. Über
30 Dörfer und die beiden Städte Tulkarem und Qalqiliya sind von
Landenteignung betroffen.
Neben Jericho mit seinen starken
Oasenquellen ist das Mauergebiet der Schwerpunkt palästinensischer
Bewässerungslandwirtschaft in der West Bank: 37% der Agrarproduktion
entstammen der Bezirken Jenin, Tulkarem und Qalqiliya. Bewässerung ist der
limitierende Faktor in der Landwirtschaft dieser Region. Während hier im
Jahr 2000 im Regenfeldbau nur 319 to pro km2 erwirtschaftet
wurden, warfen bewässerte Flächen 6960 Tonnen und einen Ertrag von 430.000
US$ pro km2 ab.
Seit Beginn der israelischen
Besatzung 1967, herrscht aufgrund des weitgehenden Fehlens von Industrie
eine besondere strukturelle Abhängigkeit der Lohnarbeit von der seinerzeit
geförderten Wanderarbeit in Israel, zumeist auf dem Bau. Etwa seit dem
zweiten Golfkrieg 1991 und verschärft seit den Verträgen von Oslo 1993
brauchen jedoch alle Palästinenser, die in Israel arbeiten wollen, eine
Sondergenehmigung, die so schwer zu bekommen ist, dass die Zahl der in
Israel beschäftigten Arbeiter auf einen Bruchteil ihres früheren Wertes
gesunken ist. Wer seit Beginn der Abriegelung nicht wieder in der
Landwirtschaft sein Auskommen gefunden hat, ist deshalb hier im
Grenzstreifen beinahe mit Sicherheit zu Dauerarbeitslosigkeit seit nunmehr
10 Jahren verdammt: 77,3% sind als arbeitslos oder „disencouraged“
eingestuft. Denn die Beschäftigungsrate in der Landwirtschaft ist hier
überraschend gering, denn nur 6% der Flächen stehen unter Bewässerung.
Deshalb sind auch nur 11% der Beschäftigten im Agrarsektor tätig, während es
in der gesamten West Bank im Schnitt 43% sind. Das wird sich erst ändern,
wenn mehr Wasser zur Bewässerung zur Verfügung steht.
Hydrologisch gesehen verläuft die
Mauer im Gebiet des Westlichen Berg-Aquifers (Westlicher Aquifer), einem
Grundwasserbecken, dessen Nährgebiet in den Höhen der West Bank liegt,
dessen Hauptpumpgebiet jedoch in einem Streifen parallel zur Green Line von
1948 verläuft. Durch die natürlichen Fließverhältnisse des Grundwassers ist
nur ein schmaler Streifen in der Westbank vielversprechend für
Brunnenförderung. In der untenstehenden Abbildung (Abb.2), sind drei Zonen
unterschiedlicher Förderbedingungen eingetragen: Eine östliche Zone, in
denen nur das untere Grundwasserstockwerk bepumpt werden kann, welches zudem
nur teilgesättigt ist. Das obere Grundwasserstockwerk (oberer Aquifer) ist
hier trocken. Diese Zone ist als ›schlecht‹ eingetragen. Eine Zone mittlerer
Güte ist der etwa fünf km breite Streifen nahe der Grenze. Hier können beide
Aquifere benutzt werden, der obere ist jedoch immer noch nicht in seiner
vollen Mächtigkeit mit Grundwasser gesättigt. Erst westlich hiervon, im mit
›gut‹ bezeichneten Streifen herrschen Bedingungen, die hohe Pumpraten in den
beiden voll gesättigten Aquiferen zulassen und Druckwasserspiegel in
geringen Tiefen aufweisen.
Der Westliche Aquifer ist der
größte und wichtigste Aquifer in Israel und Palästina mit Pumpraten um 360
Millionen Kubikmeter pro Jahr. In trockenen Jahren steigt die Förderrate auf
bis zu 572 Mio. m3 pro Jahr (s. Inamo Nr. 27). Er hat somit ein
höheres Wasserdargebot als die beiden anderen Grundwasserbecken, die in der
West Bank entspringen (das östliche und das nordöstliche Becken) zusammen.
Zudem zeigen diese beiden Becken deutlich ungünstigere Bohr- und
Pumpbedingungen. Anders der Westliche Aquifer. In ihm vereinen sich
flachgründige Wasserstände mit hohen Pumpraten. Er wurde in Israel vor allem
in den ersten Jahr-zehnten (50er u. 60er) kräftig entwickelt. In der West
Bank unterband die israelische Besatzung seit 1967 beinahe jegliche
Bohrtätigkeit. Nur 23 Brunnen durften in der gesamten West Bank von den
Palästinensern zwischen 1967 und 1990 gebohrt wer-den, 20 davon
ausschließlich für Trinkwasserzwecke und oftmals unter indirekter
israelischer Besatzungskontrolle (West Bank Water Department). Während
jedoch Israel den Palästinensern in Oslo einige neue Bohrungen im Osten und
Nordosten zugestand, blieb es in bezug auf den Westlichen Aquifer hart.
Sämtliche palästinensischen Brunnen stammen deshalb hier noch aus
jordanischer Zeit. Aufgrund dieser politischen Bedingungen ist die Nutzung
des Westlichen Aquifers besonders ungerecht aufgeteilt: Es existieren rund
500 starke Tiefbrunnen in Israel, wohingegen die Palästinenser sich mit
ihren 159 alten, vorwiegend Bewässerungsbrunnen begnügen müssen, die
außerdem weniger tief und produktiv sind.
Abb. 2: Produktivitätszonen im
Westlichen Aquifer
Interessenskonflikt um den Aquifer
Viele der israelischen Brunnen im Westlichen Aquifer sind
mit dem „National Water Carrier“ verbunden: Das Wasser ist mobil und für das
gesamte Land nutzbar. Viele palästinensische Dörfer haben hingegen nur sehr
unzureichende oder gar keine eigene Wasserversorgung. Diese Gebiete werden
meist durch die israelische staat-liche Wasserfirma „Mekorot“ versorgt,
wobei eine zusätzliche Ungleichbehandlung in Umfang, Service und Preis der
Wasserlieferungen zu beobachten ist. Als zukünftige Entwicklungsperspektive
haben die palästinensischen Einwohner dieser Region keinerlei
Ausweichmöglichkeit auf andere Grundwasservorkommen. Deshalb und aufgrund
der o.a. Ungleichverteilung ist dieses Becken das am heißesten umstrittene
in den Wasserverhandlungen.
KASTEN: Wassernutzung
Israel verbraucht für seine
Trinkwasserversorgung, für agrarisches und für gewerbliches Nutzwasser
annähernd zwei Milliarden Kubikmeter (2000 Mio. m3) im Jahr.
Davon stammen je nach Regenfällen und Grundwasser-Dargebot etwa 1100 –
1200 m3 aus Brunnen. Der größte Teil des Rests stammt aus
Oberflächenwasser, vor allem aus dem See Genezareth (400 bis 500 Mio. m3).
Von den vielen intensiv genutzten
Grundwasserbecken haben der Westliche Aquifer und der israelische
Küstenaquifer die größten Wiederauffüllungsraten, mit geschätzten 360
Mio m3 bzw. 370 Mio m3 pro Jahr. Die beiden
anderen West Bank-Aquifere zusammen füllen sich durch Regen jedes Jahr
mit etwa 310 Mio. m3, wovon rund 50% aus Brunnen gefördert
wird (Tabelle 1).
Aus Brunnen und Quellen zusammen verfügen
die Palästinenser in der West Bank über etwa
138
Mio. m3/Jahr (= 20%), während Israel sich jährlich etwa 562
Mio. m3 Süßwasser (= 80%) allein aus den West Bank-Aquiferen
sichert. Die 23 Millionen Palästinenser in der West Bank kontrollieren
138 Mio. m3, die 1,2 Mio. Einwohner Gazas rund 100 Mio. m3
im Jahr. Vergleicht man diese 238 Mio m3 mit den 2000 Mio. m3
Israels, so ergibt sich folgende Verteilung: Die 3,5 Millionen
Palästinenser haben die Verfügungsgewalt über nur 11 % des Wassers, die
6,7 Millionen Israelis hingegen kontrollieren 89% des Wassers (Tabelle
2).
Nirgends ist jedoch die Verteilung so
ungerecht wie im Westlichen Aquifer. Denn hier sichert sich Israel 93%
des Wassers. Die Palästinenser haben nur 7% Anteil (25,67 Mio. m³ pro
Jahr aus 159 Brunnen) am gesamten
Dargebot des Westlichen Aquifers. Im nördlichen Mauerabschnitt, vor
allem um Tulkarem und Qalqilya, konzentriert sich die palästinensische
Brunnenförderung mit durchschnittlich 22,19 Mio. m3 pro
Jahr aus 141 Brunnen (Abb. 3). |
Tab.1: Verteilung der Brunnenförderung aus den 3 West
Bank-Aquiferen
(in Mio. m3/Jahr und in
Prozentanteilen)
|
ISRAEL |
PALÄSTINA |
Östlicher Aquifer |
37 |
58% |
27 |
42% |
Nordöstlicher Aquifer |
72 |
79% |
19 |
21% |
Westlicher Aquifer |
330 |
93% |
26 |
7% |
Summe aller Brunnen |
439 |
86% |
72 |
14% |
Süßwasserquellen |
123 |
35% |
66 |
65% |
Alle West Bank-Aquifere
|
562 |
80% |
138 |
20% |
Tab. 2: Gesamtwasserhaushalt im Vergleich
(in Mio. m3/Jahr und in
Prozentzahlen)
|
ISRAEL |
WB & GAZA |
Gesamtmenge |
2000 |
238 |
Anteil |
89% |
11% |
Pro-Kopf Dargebot* |
843 l/tag |
192 l/tag |
* inkl.
Bewässerung
Im internationalen Recht ist Grundwasseraufteilung ein
schwieriges Thema, und es gibt kaum Präzedenzfälle, nach denen ge- und
verhandelt werden kann. Es kann an dieser Stelle nicht tiefer auf diesen
Aspekt eingegangen werden. Nur soviel sei gesagt: Israel wechselt seine
Argumentation häufig, bzw. verschiedene Interessen-gruppen in Israel
argumentieren auf unterschiedliche Weise. Eine häufig benutzte Argumentation
beruft sich auf den „established water use“. Dies übersieht jedoch,
dass die gegenwärtige Nutzung nicht organisch gewachsen, sondern eine Folge
der Besatzung ist. Die Palästinenser hingegen berufen sich oft auf den
internationalen Grundsatz des am Oberlauf liegenden Anrainers (analog zu den
häufigen Streitfällen um Flüsse), denn 90% der Wiederauffüllung des Aquifers
durch Regen findet inner-halb der West Bank statt. Israel lehnt diese
Argumentation im Falle des Westlichen Aquifers ab, beruft sich aber darauf
im Falle des Jordan-Flusses, dessen Oberlauf es kontrolliert. Erfolg in den
Verhandlungen setzt für die Palästinenser nicht nur gute technische
Vorbereitungen voraus. Es ist auch essentiell, dass die Bedeutung der Mauer
international bekannt ist und dadurch internationaler Druck auf Israel in
dieser Frage besteht (z.B. durch die Vermittlermächte, die absehbar eine
zentrale Rolle spielen werden, gleich ob mit oder ohne Road Map).
Deshalb ist der Kampf um die öffentliche Meinung in dieser Frage bereits
heute aktuell – lange bevor wieder verhandelt wird.
Zusätzlich rückt der Westliche Aquifer ins Zentrum der
Auseinandersetzungen, falls Israel sich weigern sollte, die Verantwortung
für die Versorgung Gazas wenigstens teilweise mit zu übernehmen. Dort ist
die Nutzung bereits seit langem am Anschlag, und drastisches Überpumpen hat
jetzt schon katastrophale Auswirkungen, sowohl ökonomisch und ökologisch als
auch gesundheitlich und im Umfang der Grundver-sorgung. Sollte also die West
Bank im Ergebnis kommender Verhand-lungen Gaza mitversorgen müssen, so kommt
hierfür nur der Westliche Aquifer in Frage. Es ist un-möglich bzw.
widersinnig, Wasser von der Ostseite der West Bank nahe dem Toten Meer mehr
als 1000 hoch über die Berge Hebrons zu pumpen und für Abermilliarden
Rohrleitungen zu verlegen, wenn die natürlichen Flussverhältnisse das Wasser
im Westlichen Aquifer Gaza sozusagen vor die Haustür liefern.
Seit langem fordern die Palästinenser mehr Wasser, sowohl
in Form von Trinkwasser als auch für die wirtschaftliche Entwicklung.
Ökonomisch ist Palästina weit von einem Industriestaat enternt. Zumindest
für eine längere Übergangsperiode wird es sich daher stark auf die
Landwirtschaft stützen müssen, vor allem nahe der „Green Line“, wo seit der
Sperrung Israels besonders viele Menschen arbeitslos sind. Wasser ist
hierfür zentral. Dies bedeutet, dass, wenn über die Auswirkungen der Mauer
gesprochen wird, nicht nur der Verlust bestehender Nutzung, sondern auch
zukünftigen Entwicklungspotentialen Beachtung geschenkt werden muss.
Die Mauer im
inner-israelischen Diskurs und Interessenskonflikt
Zunächst war die Mauer im öffentlichen Diskurs ein Kind
der „Linken“, der Arbeits-partei und „Meretz“. Sie machten Druck auf die
Regierung, die Mauer zu bauen und rasch zu bauen. In der Meinung der eher
fortschrittlichen Israelis, die früher Sympathien für das Friedenslager
hatten, fand seit Beginn der Intifada ein grund-legender Stimmungsumschwung
statt. Nicht der einzige, aber sicherlich ein heraus-ragender Grund hierfür
liegt in der Mär Baraks, der jede Verantwortung für das Scheitern Camp
Davids im Sommer 2000 von sich wies und statt dessen den Slogan prägte: „We
offered them everything, but they chose violence.“ Für diese Menschen ist
die Mauer in erster Linie Schutzwall vor Terroranschlägen und um die
Truppen-präsenz zur Niederhaltung der Intifada vermindern zu können.
Viele hegen die Illusion, die Mauer müsse nur hoch genug sein, damit sie
nicht länger palästinen-sischen Bombenanschlägen ausgesetzt sein würden.
Andere erhoffen sich ein Ende der berüchtigten Militäroperationen gegen die
palästinensische Zivilbevölkerung, gegen wehrlose Dörfer, Flüchtlingslager
und historische Stadtkerne. Es ändert wenig an der Sache, dass dies im
doppelten Sinne (für beide Seiten) blutige Illusion bleiben wird: Bislang
glauben diese Menschen daran und entfalten dementsprechenden Druck.
Die Siedler waren zunächst strikt gegen die Mauer, denn
für sie sah es so aus, als würden sie durch die Mauer vom sicheren Teil des
Landes abgekoppelt.
Ende 2002, Anfang 2003 sprang jedoch der Yesha Council, der Rat und
Verwaltungsapparat der meisten Siedlungen in der West Bank und im
Gazastreifen, auf den Zug auf. Nun verlangte er Korrekturen im Verlauf der
Mauer. Bereits zuvor verlief diese keines-wegs auf der Green Line, sondern
meist weiter östlich. Nun aber wurde Zug um Zug die Mauer um möglichst viele
Siedlungen herumgeplant, um diese mit einzuge-meinden –
kalte Annexion. Um zugleich möglichst wenig palästinensische
Bevölke-rung hereinzubekommen, wurde versucht, die Mauer bei jedem
palästinensischen Dorf weiter nach Westen zu verlegen, wodurch die Bewohner
von ihrem Land ge-trennt wurden. Vereinfacht gesprochen: Das Land auf die
westliche, die Palästinen-ser auf die östliche Seite der Mauer. Hierfür ist
das stark mändrierende Muster der Mauer beredtes Sinnbild.
Ein beliebter Vorwurf der regierungsnahen Opposition ist,
Sharon verzögere den Bau der Mauer. In der Tat sah Sharon die Mauer zunächst
mit wenig Begeisterung. Sein historisches Baby bleiben die Siedlungen. Er
befürchtete deren Isolierung und sah in der Mauer die Gefahr, Zeichen zu
setzen und Fakten zu schaffen, die das Ende der Besatzung begünstigen
könnten.
Nun jedoch, nach der Bildung der stramm rechten Regierung,
im Kontext des Irak-Krieges und der im Gefolge zu erwartenden leichten
Steigerung des Druckes auf Israel, wieder auf Verhandlungen zuzusteuern
(Road Map), hat Sharon eine viel weitergehende Option erkannt (siehe
Kasten), die es ihm erlaubt, den Bau der Mauer in seinem Sinne zu nutzen.
Die Mauer im
israelisch-palästinensischen Wasserkonflikt
Die Palästinenser wurden bei all dem nicht gefragt. Ihre
Antwort wäre auch kaum positiv ausgefallen. Allein für den nördlichen
Abschnitt wurden 83 km2 Land ent-eignet, kostbare Agrarfläche und
Hinterland vieler Dörfer im Mauerstreifen. 16 Dörfer mit 13.386 Einwohnern
werden westlich der Mauer liegen. 238 km2 Agrarland werden von
den Bauern isoliert. Die Agrarflächen von 53 Dörfern mit einer Fläche von
fast 142 km2 werden zusätzlich von der Mauer betroffen sein. 8,4
km2 Obst- und Oliven-haine wurden gerodet. Die nun kahlrasierten
Olivenhaine sind für Israel wertvolles Bauland und ein unverhofftes Geschenk
für die Städteplaner Israels in der dicht besiedelten Küstenebene, machen
doch die bislang enteigneten Gebiete im nördli-chen Mauerabschnitt bereits
2% der West Bank-Fläche aus. Tausende verlieren mit dem Land ihre einzige
Einkommensquelle (Inamo No. 32).
In diesem Artikel soll sich jedoch auf das Wasser
konzentriert werden: Der bislang gebaute Abschnitt zwischen Salem und Elkana
lässt 47 Brunnen in der Gegend zwi-schen Tulkarem und Qalqilya auf die
unerreichbare Seite westlich der Mauer fallen.
Viele Palästinenser – und auch die ausländische
Berichterstattung – argwöhnen nun, dies geschehe mit der bewussten Absicht
Israels, sich diese Brunnen und ihre För-derung einzuverleiben. Diese
Ansicht erscheint jedoch kaum haltbar, vergegenwär-tigt man sich die
physische Struktur der Wasserressourcen, ihrer Nutzung und der technischen
Anlagen:
Zum einen sind die Brunnen nicht tief und nicht ergiebig,
denn sie liegen in weniger gutem Pumpgebiet als die Brunnen auf israelischer
Seite.
Zum anderen macht die direkt betroffene Menge an Wasser
insgesamt nur rund 5 Mio. m3 pro Jahr aus. Zählt man die Brunnen
dazu, die bedroht sind, wenn Israel, so wie in Gaza, einen etwa 1 km breiten
Streifen östlich der Mauer zum „Sicherheits“-Sperrgebiet erklärt, so treten
noch 60 weitere Brunnen mit 10,3 Mio. m3 Förder-menge hinzu.
Diese 15 Mio. m3 pro Jahr machen zusammengenommen gerade
vier-einhalb Prozent der jährlichen israelischen Förderrate aus und liegen
damit weit unterhalb der saisonalen und jährlichen Schwankungen, welche sich
im Bereich von -zig bis zu Hunderten von Millionen Kubikmetern bewegen.
Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass die
meisten palästinensischen Brunnen zur Bewässerung gebaut wurden. Anders als
die meisten israelischen Brun-nen haben sie deshalb keinen unterirdischen
Anschluss an Leitungsnetze, um das Wasser in weiter entfernte Gebiete zu
pumpen, oder gar in den National Water Carrier einzuspeisen. Genau aus
diesem technischen Grund ist jedoch andererseits schon absehbar, dass die
palästinensischen Brunneneigner ihres Wassers vollstän-dig verlustig gehen
werden: Sie kämen an das Wasser selbst dann nicht heran, wenn ihre Brunnen
auf der anderen Seite weiterliefen.
Und endlich muss hier Erwähnung finden, dass Israel in der
Lage ist, diese 15 Millionen Kubikmeter weitgehend, wenn auch nicht
vollständig für sich zu nutzen, indem es einfach die Pumpraten in seinen
eigenen weiter westlich gelegenen Brun-nen leicht erhöht. De facto wird
Israel somit in der Lage sein, das Wasser auf sozu-sagen unsichtbare Weise
zu nutzen, ohne die palästinensischen Brunnen selbst auch nur anzurühren.
Für die Palästinenser machen die o.a. 5 bzw. 15 Mio. m3
pro Jahr etwa 23 bis 75% der durchschnittlichen Förderrate im Westlichen
Aquifer aus und sind damit ein schmerzhafter Verlust, der die Landwirtschaft
in ihren Möglichkeiten extrem be-schneidet. In erster Linie sind die
unmittelbar im Mauerstreifen liegenden Dörfer und Städte betroffen.
Noch einschneidender sind jedoch die indirekten künftigen
Verluste. Denn in wasser-wirtschaftlicher Hinsicht gehen nicht nur 47 bzw.
107 Brunnen verloren. Für die Zu-kunft ist vor allem wichtig, dass hiermit
de facto auch jegliche Aussicht für eine zu-künftige Förderung aus neuen
Brunnen (nach erfolgreichen Verhandlungen) verun-möglicht wird. Der Streifen
westlich der Mauer, der von Israel de facto annektiert wird, fällt mit dem
beinahe einzigen Gebiet zusammen, in dem vielversprechende Standorte für
zukünftige Brunnen liegen. Alle Gebiete weiter östlich liegen bereits an den
Hängen der West Bank und zählen aus hydrogeologischer Sicht nicht mehr zum
Pumpgebiet, sondern liegen im Übergangsbereich zwischen dem
Wiederauffül-lungsgebiet in den Bergen und den Pumpgebieten in der Ebene.
Die Wasserspiegel sind dort nur in großen Tiefen anzutreffen, die
grundwasserführenden Schichten sind nur teilweise saturiert und könnten
deshalb höchstens in sehr schwachen Brunnen mit hohen
Wasserspiegelabsenkungen erbohrt werden. Die Palästinenser verlieren also
nicht nur ein bzw. drei Viertel ihrer gegenwärtigen Nutzung aus dem
Westlichen Aquifer. Sie verlieren zusätzlich die Aussicht auf eine weit
größere Menge, nämlich nahe 100% des potentiell in Zukunft zu erschließenden
Grundwassers.
Genau dieser Aspekt dürfte für die israelischen Planer von
Bedeutung sein. Israel hat bereits in Oslo eine besonders harte Linie in
bezug auf den Westlichen Aquifer ge-fahren. Während den Palästinensern im
östlichen und nordöstlichen Aquifer Bohr-genehmigungen im bescheidenen
Rahmen zugestanden wurden (zusammen etwa 70-80 Mio. m3 für die
Interimsperiode), bestand Israel beim Westlichen Aquifer dar-auf, dass die
Palästinenser keinen Tropfen neu erschließen. Bereits Mitte der 90er Jahre,
lange vor Camp David, haben israelische Hydrologen „maps of water
inter-ests“ gezeichnet, in denen die Gebiete, die nun hinter die Mauer
fallen, zu den strate-gischen Interessenszonen Israels gezählt wurden. In
diesen Gebieten sollte zukünf-tige palästinensische Erschließung unterbunden
werden. Es ist daher nicht überra-schend, dass der jetzige Verlauf der Mauer
diesen Karten stark ähnelt. Ein-schränkend soll hinzugefügt werden, dass für
Israel natürlich noch andere Faktoren eine strategische Rolle spielen – an
vorderster Stelle wären hier die ständig expan-dierenden und nach
internationalem Recht illegalen Siedlungen zu nennen. Es be-steht also ein
Unterschied zwischen Siedlungen und Wasser. Während erstere fort-während
ausgedehnt werden, will Israel im Wasserbereich, zumindest im westlichen
Aquifer vor allem den Status quo mit seiner extrem ungerechten Verteilung
wahren. Sein Hauptanliegen ist hier, jegliche zukünftige und potentielle
Erweiterung der palä-stinensischen Kapazitäten zu unterbinden und durch
facts on the ground
von vorn-herein zu verunmöglichen. Wenngleich dieser
Aspekt in der Berichterstattung keinen großen Raum einnimmt, so ist er für
die Lebenswirklichkeit von Millionen Palästi-nensern zentral.
„Verteidigungsministerium
will den Zaun tiefer in die West Bank verlegen“
Auszüge aus einem
Artikel von Aluf Benn (Haaretz, 23.3.03) über die geplante Erweiterung
bis nach Nablus:
„Das Verteidigungsestablishment schlug vor,
den Zaun zu verschieben, so dass 40.000 Sied-ler und 3.000 Palästinenser
auf der westlichen Zaunseite eingeschlossen werden ... Der neue Zaun
verliefe östlich der Siedlungen Kedumim, Immanuel und Ariel (westlich
und südwestlich von Nablus, Anm. cm) ... Im Bau sind heute die
ersten beiden Phasen von Mehola im Beit She’an Valley (nahe Tayasir,
in der nordöstlichen Ecke der West Bank, Anm. cm) bis Elkana (südlich
Qalqilya, Anm. cm) mit Kosten von 2 Mrd.
NIS (450 Mio.
Euro, Anm. cm). Der nächste
Abschnitt von Elkana zum Mt. Amasa (südlich Hebrons, Anm. cm)
wird 4,5 Mrd. NIS (1 Mrd. Euro, Anm. cm) kosten ... Nun,
im zentralen und südlichen Bereich taucht ein politisches Problem auf.
Große Siedlungsblöcke von West-Samaria, Gush Etzion und Süd-Hebron
wurden auf der Route errichtet, um das Gebiet innerhalb der Green Line (Israel,
Anm. cm) nach Osten zu erweitern ... Die Zaunplaner beabsichtigten,
so viele Juden und so wenig Palästinenser wie möglich auf die westliche
Seite des Zaunes zu bekommen... Das Verteidigungsministerium hat zwei
Zaunroutenfestlegungen fertiggestellt – eine westliche entlang der Green
Line (s.o., Anm. cm) und eine östliche, die die palästinensische
Bevölke-rungskonzentration vom Jordangraben abtrennen soll... Der
östliche Zaun ist entlang der „Allon-Achse“ geplant (nach dem
’67er-General Yigal Allon, der bereits die palästinensische
Kantonisierung anvisierte, Anm. cm), von Mehola bis Ma’ale Adumim (östlich
Jerusalems, Anm. cm) und von dort zur Judäischen Wüste (südöstliche
West Bank, Anm. cm) ...
Sharon sagte, er wolle die beiden Zäune nutzen, um damit
temporäre Grenzen eines palästi-nensischen Staates gemäß Bushs Road Map
zu skizzieren...“
Sharon erreicht hiermit, dass die
Mauer beinahe das genaue Gegenteil dessen ist, was sie vorgibt: Sie
trennt nicht die besetzten West Bank-Gebiete von Israel in den Grenzen
von 1948 ab, sondern vereint die allermeisten der illegalen Siedlungen
mit Israel. Was sie hingegen trennt, sind die Palästinenser von ihrem
Land, ihrem weni-gen vorhandenen Wasser und noch mehr von ihrer Zukunft,
der Aussicht auf die dringend notwendige Erweiterung ihrer
Wasserkapazitäten, einem wesentlichen Ele-ment jeglicher
Entwicklungsperspektive.
Sharon schlägt seit Jahren einen bantustanisierten palästinensischen
Staat in der West Bank in zersplitterten Kantons
und auf lediglich 42% der Fläche vor. Können er und die Siedler ihre
Mauerphantasien durchsetzen, so kommen sie diesem Alptraum einen
gewaltigen Schritt näher. |
-
Eine „linke“ Variante der Befürworter hält die Mauer für den ersten
Schritt in Richtung eines palästinensischen Staates und behauptet, die
zahlreichen Abweichungen von der „Green Line“ in Richtung Osten seien
nur „mikroskopische Korrekturen“.
-
Dies wiederum kümmerte die Befürworter der Mauer wenig, da sie kaum
Sympathie für die Siedler übrig haben.
-
Die FDP-Schwester „Shinui“ („Wandel“)
hat bislang in entscheidenden Abstimmungen keinerlei ernsthafte Versuche
unternommen, den strammrechten Ambitionen Sharons etwas
entgegenzusetzen. So fällt zum Beispiel die extreme Verschärfung der
IDF-Repressionen in Gaza unter Shaul Mofaz in die Verantwortung
ebendieser „liberalen“ Regierungsmitglieder, die seinen Kurs zulassen.
http://www.genfer-initiative.de
http://reiner-bernstein.de
[Als
pdf unter http://www.genfer-initiative.de]
hagalil.com
16-02-2004 |