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Trennung – wovon und von wem?

Dem Entwurf der „Genfer Initiative“, der am 1. Dezember 2003 unterschrieben wurde, ist zu entnehmen, dass auf nähere Ausführungen in Artikel 12 „Wasser“ verzichtet worden ist. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung dieses Thema und die Komplexität seiner Klärung. Insofern ist der Beitrag des seit sechs Jahren in Ramallah arbeitenden Hydrogeologen Clemens Messerschmid von Bedeutung, der in einem Münchner Vortrag im September 2003 auf die Wechselbeziehung zwischen dem Bau des „Sicherheitszauns“ und der Verteilung des Wassers zwischen Israelis und Palästinensern hingewiesen hat. (Dr. Reiner Bernstein)

Entwicklungsperspektiven:
Sicherheitszaun und Wasserressourcen

Von Clemens Messerschmid (Ramallah)
Clemens Messerschmid lebt und arbeitet seit sechs Jahren als Hydrogeologe in Ramallah. Seit zwei Jahren ist er bei der „Palestinian Water Authority“ als Berater für Forschung und Koordination im Projekt „Die nachhaltige Bewirtschaftung der West Bank und Gaza Aquifere (SUSMAQ)“ tätig.

[Als pdf unter http://www.genfer-initiative.de]

Seit gut einem halben Jahr baut Israel seine sogenannte Trennmauer. Ende Juli sollen die ersten beiden Teile der Mauer fertiggestellt sein. Sie bestehen aus einem nördlichen Abschnitt von Salem im Norden der West Bank bis Elkana, 10 km südöstlich von Qalqilya (128 km Länge) und dem ‚Jerusalem-Envelope’ zwischen Ramallah und Betlehem (22 km). In der zweiten, bereits im Januar 2003 beschlossenen Phase soll der nördliche Abschnitt bis nach Tayasir erweitert werden (siehe Abb.2). Zwei weitere Abschnitte sind in Planung,  in der zentralen West Bank von Elkana bis zum Militärcamp Ofer nahe Ramallahs und in der südlichen West Bank von Bethlehem, um Hebron herum bis Mount Amasa.

Der Wall besteht aus einem 35 bis 50 Meter breiten Streifen mit zwei Drahtverhauen außen und einer Serie von Gräben und Beobachtungsstreifen sowie einer Patroullierstraße dazwischen (siehe Abb. 1). In der Mitte befindet sich entweder eine bis zu acht Meter hohe Mauer oder ein elektronisch gesicherter Zaun, der auf Berührung, Durchschneiden, Übersteigen und Schütteln reagieren soll. Zusätzlich werden Beobachtungsmittel wie Kameras, Nachtsichtgeräte und Radar eingesetzt. Die Gesamtlänge der Mauer soll 600 km betragen. Pro Kilometer werden etwa 2 Mio. Euro verbaut (Haaretz, 9.5.03). Der endgültige Verlauf der Mauer steht noch nicht fest. Daher wird dieser Artikel sich auf den nördlichen, bereits im Bau befindlichen Teil konzentrieren.

Abb 1.: Schematischer Schnitt durch die “Trennbarriere”

16 Dörfer mit 13 386 Einwohnern werden westlich der Mauer liegen. 238 km2 Agrarland werden isoliert. Die Agrarflächen von 53 Dörfern mit einer Fläche von fast 142 km2 werden zusätzlich von der Mauer betroffen sein.

Geographisch-hydrologischer Hintergrund

Der Nordabschnitt der Mauer zwischen Salem und Elkana (Abb.1) verläuft im Grenzgebiet zwischen der West Bank und Israel, wo die Ausläufer des Hügellandes des großen West Bank-Sattels in die westliche Küstenebene übergehen. Mehr als 15 palästinensische Dörfer werden dadurch von der West Bank abgeschnitten. Über 30 Dörfer und die beiden Städte Tulkarem und Qalqiliya sind von Landenteignung betroffen.

Neben Jericho mit seinen starken Oasenquellen ist das Mauergebiet der Schwerpunkt palästinensischer Bewässerungslandwirtschaft in der West Bank: 37% der Agrarproduktion entstammen der Bezirken Jenin, Tulkarem und Qalqiliya. Bewässerung ist der limitierende Faktor in der Landwirtschaft dieser Region. Während hier im Jahr 2000 im Regenfeldbau nur 319 to pro km2 erwirtschaftet wurden, warfen bewässerte Flächen 6960 Tonnen und einen Ertrag von 430.000 US$ pro km2 ab.

Seit Beginn der israelischen Besatzung 1967, herrscht aufgrund des weitgehenden Fehlens von Industrie eine besondere strukturelle Abhängigkeit der Lohnarbeit von der seinerzeit geförderten Wanderarbeit in Israel, zumeist auf dem Bau. Etwa seit dem zweiten Golfkrieg 1991 und verschärft seit den Verträgen von Oslo 1993 brauchen jedoch alle Palästinenser, die in Israel arbeiten wollen, eine Sondergenehmigung, die so schwer zu bekommen ist, dass die Zahl der in Israel beschäftigten Arbeiter auf einen Bruchteil ihres früheren Wertes gesunken ist. Wer seit Beginn der Abriegelung nicht wieder in der Landwirtschaft sein Auskommen gefunden hat, ist deshalb hier im Grenzstreifen beinahe mit Sicherheit zu Dauerarbeitslosigkeit seit nunmehr 10 Jahren verdammt: 77,3% sind als arbeitslos oder „disencouraged“ eingestuft. Denn die Beschäftigungsrate in der Landwirtschaft ist hier überraschend gering, denn nur 6% der Flächen stehen unter Bewässerung. Deshalb sind auch nur 11% der Beschäftigten im Agrarsektor tätig, während es in der gesamten West Bank im Schnitt 43% sind. Das wird sich erst ändern, wenn mehr Wasser zur Bewässerung zur Verfügung steht.

Hydrologisch gesehen verläuft die Mauer im Gebiet des Westlichen Berg-Aquifers (Westlicher Aquifer), einem Grundwasserbecken, dessen Nährgebiet in den Höhen der West Bank liegt, dessen Hauptpumpgebiet jedoch in einem Streifen parallel zur Green Line von 1948 verläuft. Durch die natürlichen Fließverhältnisse des Grundwassers ist nur ein schmaler Streifen in der Westbank vielversprechend für Brunnenförderung. In der untenstehenden Abbildung (Abb.2), sind drei Zonen unterschiedlicher Förderbedingungen eingetragen: Eine östliche Zone, in denen nur das untere Grundwasserstockwerk bepumpt werden kann, welches zudem nur teilgesättigt ist. Das obere Grundwasserstockwerk (oberer Aquifer) ist hier trocken. Diese Zone ist als ›schlecht‹ eingetragen. Eine Zone mittlerer Güte ist der etwa fünf km breite Streifen nahe der Grenze. Hier können beide Aquifere benutzt werden, der obere ist jedoch immer noch nicht in seiner vollen Mächtigkeit mit Grundwasser gesättigt. Erst westlich hiervon, im mit ›gut‹ bezeichneten Streifen herrschen Bedingungen, die hohe Pumpraten in den beiden voll gesättigten Aquiferen zulassen und Druckwasserspiegel in geringen Tiefen aufweisen.

Der Westliche Aquifer ist der größte und wichtigste Aquifer in Israel und Palästina mit Pumpraten um 360 Millionen Kubikmeter pro Jahr. In trockenen Jahren steigt die Förderrate auf bis zu 572 Mio. m3 pro Jahr (s. Inamo Nr. 27). Er hat somit ein höheres Wasserdargebot als die beiden anderen Grundwasserbecken, die in der West Bank entspringen (das östliche und das nordöstliche Becken) zusammen. Zudem zeigen diese beiden Becken deutlich ungünstigere Bohr- und Pumpbedingungen. Anders der Westliche Aquifer. In ihm vereinen sich flachgründige Wasserstände mit hohen Pumpraten. Er wurde in Israel vor allem in den ersten Jahr-zehnten (50er u. 60er) kräftig entwickelt. In der West Bank unterband die israelische Besatzung seit 1967 beinahe jegliche Bohrtätigkeit. Nur 23 Brunnen durften in der gesamten West Bank von den Palästinensern zwischen 1967 und 1990 gebohrt wer-den, 20 davon ausschließlich für Trinkwasserzwecke und oftmals unter indirekter israelischer Besatzungskontrolle (West Bank Water Department). Während jedoch Israel den Palästinensern in Oslo einige neue Bohrungen im Osten und Nordosten zugestand, blieb es in bezug auf den Westlichen Aquifer hart. Sämtliche palästinensischen Brunnen stammen deshalb hier noch aus jordanischer Zeit. Aufgrund dieser politischen Bedingungen ist die Nutzung des Westlichen Aquifers besonders ungerecht aufgeteilt: Es existieren rund 500 starke Tiefbrunnen in Israel, wohingegen die Palästinenser sich mit ihren 159 alten, vorwiegend Bewässerungsbrunnen begnügen müssen, die außerdem weniger tief und produktiv sind.

Abb. 2: Produktivitätszonen im Westlichen Aquifer

Interessenskonflikt um den Aquifer

Viele der israelischen Brunnen im Westlichen Aquifer sind mit dem „National Water Carrier“ verbunden: Das Wasser ist mobil und für das gesamte Land nutzbar. Viele palästinensische Dörfer haben hingegen nur sehr unzureichende oder gar keine eigene Wasserversorgung. Diese Gebiete werden meist durch die israelische staat-liche Wasserfirma „Mekorot“ versorgt, wobei eine zusätzliche Ungleichbehandlung in Umfang, Service und Preis der Wasserlieferungen zu beobachten ist. Als zukünftige Entwicklungsperspektive haben die palästinensischen Einwohner dieser Region keinerlei Ausweichmöglichkeit auf andere Grundwasservorkommen. Deshalb und aufgrund der o.a. Ungleichverteilung ist dieses Becken das am heißesten umstrittene in den Wasserverhandlungen.

KASTEN: Wassernutzung

Israel verbraucht für seine Trinkwasserversorgung, für agrarisches und für gewerbliches Nutzwasser annähernd zwei Milliarden Kubikmeter (2000 Mio. m3) im Jahr. Davon stammen je nach Regenfällen und Grundwasser-Dargebot etwa 1100 – 1200 m3 aus Brunnen. Der größte Teil des Rests stammt aus Oberflächenwasser, vor allem aus dem See Genezareth (400 bis 500 Mio. m3).

Von den vielen intensiv genutzten Grundwasserbecken haben der Westliche Aquifer und der israelische Küstenaquifer die größten Wiederauffüllungsraten, mit geschätzten 360 Mio m3 bzw. 370 Mio m3 pro Jahr. Die beiden anderen West Bank-Aquifere zusammen füllen sich durch Regen jedes Jahr mit etwa 310 Mio. m3, wovon rund 50% aus Brunnen gefördert wird (Tabelle 1).

Aus Brunnen und Quellen zusammen verfügen die Palästinenser in der West Bank über etwa  138 Mio. m3/Jahr (= 20%), während Israel sich jährlich etwa 562 Mio. m3 Süßwasser (= 80%) allein aus den West Bank-Aquiferen sichert. Die 23 Millionen Palästinenser in der West Bank kontrollieren 138 Mio. m3, die 1,2 Mio. Einwohner Gazas rund 100 Mio. m3 im Jahr. Vergleicht man diese 238 Mio m3 mit den 2000 Mio. m3 Israels, so ergibt sich folgende Verteilung: Die 3,5 Millionen Palästinenser haben die Verfügungsgewalt über nur 11 % des Wassers, die 6,7 Millionen Israelis hingegen kontrollieren 89% des Wassers (Tabelle 2).

Nirgends ist jedoch die Verteilung so ungerecht wie im Westlichen Aquifer. Denn hier sichert sich Israel 93% des Wassers. Die Palästinenser haben nur 7% Anteil (25,67 Mio. m³ pro Jahr  aus 159 Brunnen) am gesamten Dargebot des Westlichen Aquifers. Im nördlichen Mauerabschnitt, vor allem um Tulkarem und Qalqilya, konzentriert sich die palästinensische Brunnenförderung mit durchschnittlich 22,19 Mio. m3 pro Jahr  aus 141 Brunnen (Abb. 3).

Tab.1: Verteilung der Brunnenförderung aus den 3 West Bank-Aquiferen
(in Mio. m3/Jahr und in Prozentanteilen)

 

ISRAEL

PALÄSTINA

Östlicher Aquifer

37

58%

27

42%
Nordöstlicher Aquifer

72

79%

19

21%
Westlicher Aquifer

330

93%

26

7%
Summe aller Brunnen

439

86%

72

14%

Süßwasserquellen

123

35%

66

65%

Alle West Bank-Aquifere

562

80%

138

20%

Tab. 2: Gesamtwasserhaushalt im Vergleich
(in Mio. m3/Jahr und in Prozentzahlen)

  ISRAEL WB & GAZA
Gesamtmenge

2000

238

Anteil

89%

11%

Pro-Kopf Dargebot*

843 l/tag

192 l/tag

* inkl. Bewässerung

Im internationalen Recht ist Grundwasseraufteilung ein schwieriges Thema, und es gibt kaum Präzedenzfälle, nach denen ge- und verhandelt werden kann. Es kann an dieser Stelle nicht tiefer auf diesen Aspekt eingegangen werden. Nur soviel sei gesagt: Israel wechselt seine Argumentation häufig, bzw. verschiedene Interessen-gruppen in Israel argumentieren auf unterschiedliche Weise. Eine häufig benutzte Argumentation beruft sich auf den „established water use“. Dies übersieht jedoch, dass die gegenwärtige Nutzung nicht organisch gewachsen, sondern eine Folge der Besatzung ist. Die Palästinenser hingegen berufen sich oft auf den internationalen Grundsatz des am Oberlauf liegenden Anrainers (analog zu den häufigen Streitfällen um Flüsse), denn 90% der Wiederauffüllung des Aquifers durch Regen findet inner-halb der West Bank statt. Israel lehnt diese Argumentation im Falle des Westlichen Aquifers ab, beruft sich aber darauf im Falle des Jordan-Flusses, dessen Oberlauf es kontrolliert. Erfolg in den Verhandlungen setzt für die Palästinenser nicht nur gute technische Vorbereitungen voraus. Es ist auch essentiell, dass die Bedeutung der Mauer international bekannt ist und dadurch internationaler Druck auf Israel in dieser Frage besteht (z.B. durch die Vermittlermächte, die absehbar eine zentrale Rolle spielen werden, gleich ob mit oder ohne Road Map). Deshalb ist der Kampf um die öffentliche Meinung in dieser Frage bereits heute aktuell – lange bevor wieder verhandelt wird.

Zusätzlich rückt der Westliche Aquifer ins Zentrum der Auseinandersetzungen, falls Israel sich weigern sollte, die Verantwortung für die Versorgung Gazas wenigstens teilweise mit zu übernehmen. Dort ist die Nutzung bereits seit langem am Anschlag, und drastisches Überpumpen hat jetzt schon katastrophale Auswirkungen, sowohl ökonomisch und ökologisch als auch gesundheitlich und im Umfang der Grundver-sorgung. Sollte also die West Bank im Ergebnis kommender Verhand-lungen Gaza mitversorgen müssen, so kommt hierfür nur der Westliche Aquifer in Frage. Es ist un-möglich bzw. widersinnig, Wasser von der Ostseite der West Bank nahe dem Toten Meer mehr als 1000 hoch über die Berge Hebrons zu pumpen und für Abermilliarden Rohrleitungen zu verlegen, wenn die natürlichen Flussverhältnisse das Wasser im Westlichen Aquifer Gaza sozusagen vor die Haustür liefern.

Seit langem fordern die Palästinenser mehr Wasser, sowohl in Form von Trinkwasser als auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Ökonomisch ist Palästina weit von einem Industriestaat enternt. Zumindest für eine längere Übergangsperiode wird es sich daher stark auf die Landwirtschaft stützen müssen, vor allem nahe der „Green Line“, wo seit der Sperrung Israels besonders viele Menschen arbeitslos sind. Wasser ist hierfür zentral. Dies bedeutet, dass, wenn über die Auswirkungen der Mauer gesprochen wird, nicht nur der Verlust bestehender Nutzung, sondern auch zukünftigen Entwicklungspotentialen Beachtung geschenkt werden muss.

Die Mauer im inner-israelischen Diskurs und Interessenskonflikt

Zunächst war die Mauer im öffentlichen Diskurs ein Kind der „Linken“, der Arbeits-partei und „Meretz“. Sie machten Druck auf die Regierung, die Mauer zu bauen und rasch zu bauen. In der Meinung der eher fortschrittlichen Israelis, die früher Sympathien für das Friedenslager hatten, fand seit Beginn der Intifada ein grund-legender Stimmungsumschwung statt. Nicht der einzige, aber sicherlich ein heraus-ragender Grund hierfür liegt in der Mär Baraks, der jede Verantwortung für das Scheitern Camp Davids im Sommer 2000 von sich wies und statt dessen den Slogan prägte: „We offered them everything, but they chose violence.“ Für diese Menschen ist die Mauer in erster Linie Schutzwall vor Terroranschlägen und um die Truppen-präsenz zur Niederhaltung der Intifada vermindern zu können[1]. Viele hegen die Illusion, die Mauer müsse nur hoch genug sein, damit sie nicht länger palästinen-sischen Bombenanschlägen ausgesetzt sein würden. Andere erhoffen sich ein Ende der berüchtigten Militäroperationen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung, gegen wehrlose Dörfer, Flüchtlingslager und historische Stadtkerne. Es ändert wenig an der Sache, dass dies im doppelten Sinne (für beide Seiten) blutige Illusion bleiben wird: Bislang glauben diese Menschen daran und entfalten dementsprechenden Druck.

Die Siedler waren zunächst strikt gegen die Mauer, denn für sie sah es so aus, als würden sie durch die Mauer vom sicheren Teil des Landes abgekoppelt[2]. Ende 2002, Anfang 2003 sprang jedoch der Yesha Council, der Rat und Verwaltungsapparat der meisten Siedlungen in der West Bank und im Gazastreifen, auf den Zug auf. Nun verlangte er Korrekturen im Verlauf der Mauer. Bereits zuvor verlief diese keines-wegs auf der Green Line, sondern meist weiter östlich. Nun aber wurde Zug um Zug die Mauer um möglichst viele Siedlungen herumgeplant, um diese mit einzuge-meinden – kalte Annexion. Um zugleich möglichst wenig palästinensische Bevölke-rung hereinzubekommen, wurde versucht, die Mauer bei jedem palästinensischen Dorf weiter nach Westen zu verlegen, wodurch die Bewohner von ihrem Land ge-trennt wurden. Vereinfacht gesprochen: Das Land auf die westliche, die Palästinen-ser auf die östliche Seite der Mauer. Hierfür ist das stark mändrierende Muster der Mauer beredtes Sinnbild.

Ein beliebter Vorwurf der regierungsnahen Opposition ist, Sharon verzögere den Bau der Mauer. In der Tat sah Sharon die Mauer zunächst mit wenig Begeisterung. Sein historisches Baby bleiben die Siedlungen. Er befürchtete deren Isolierung und sah in der Mauer die Gefahr, Zeichen zu setzen und Fakten zu schaffen, die das Ende der Besatzung begünstigen könnten.

Nun jedoch, nach der Bildung der stramm rechten Regierung[3], im Kontext des Irak-Krieges und der im Gefolge zu erwartenden leichten Steigerung des Druckes auf Israel, wieder auf Verhandlungen zuzusteuern (Road Map), hat Sharon eine viel weitergehende Option erkannt (siehe Kasten), die es ihm erlaubt, den Bau der Mauer in seinem Sinne zu nutzen.

Die Mauer im israelisch-palästinensischen Wasserkonflikt

Die Palästinenser wurden bei all dem nicht gefragt. Ihre Antwort wäre auch kaum positiv ausgefallen. Allein für den nördlichen Abschnitt wurden 83 km2 Land ent-eignet, kostbare Agrarfläche und Hinterland vieler Dörfer im Mauerstreifen. 16 Dörfer mit 13.386 Einwohnern werden westlich der Mauer liegen. 238 km2 Agrarland werden von den Bauern isoliert. Die Agrarflächen von 53 Dörfern mit einer Fläche von fast 142 km2 werden zusätzlich von der Mauer betroffen sein. 8,4 km2 Obst- und Oliven-haine wurden gerodet. Die nun kahlrasierten Olivenhaine sind für Israel wertvolles Bauland und ein unverhofftes Geschenk für die Städteplaner Israels in der dicht besiedelten Küstenebene, machen doch die bislang enteigneten Gebiete im nördli-chen Mauerabschnitt bereits 2% der West Bank-Fläche aus. Tausende verlieren mit dem Land ihre einzige Einkommensquelle (Inamo No. 32).

In diesem Artikel soll sich jedoch auf das Wasser konzentriert werden: Der bislang gebaute Abschnitt zwischen Salem und Elkana lässt 47 Brunnen in der Gegend zwi-schen Tulkarem und Qalqilya auf die unerreichbare Seite westlich der Mauer fallen.

Viele Palästinenser – und auch die ausländische Berichterstattung – argwöhnen nun, dies geschehe mit der bewussten Absicht Israels, sich diese Brunnen und ihre För-derung einzuverleiben. Diese Ansicht erscheint jedoch kaum haltbar, vergegenwär-tigt man sich die physische Struktur der Wasserressourcen, ihrer Nutzung und der technischen Anlagen:

Zum einen sind die Brunnen nicht tief und nicht ergiebig, denn sie liegen in weniger gutem Pumpgebiet als die Brunnen auf israelischer Seite.

Zum anderen macht die direkt betroffene Menge an Wasser insgesamt nur rund 5 Mio. m3 pro Jahr aus. Zählt man die Brunnen dazu, die bedroht sind, wenn Israel, so wie in Gaza, einen etwa 1 km breiten Streifen östlich der Mauer zum „Sicherheits“-Sperrgebiet erklärt, so treten noch 60 weitere Brunnen mit 10,3 Mio. m3 Förder-menge hinzu. Diese 15 Mio. m3 pro Jahr machen zusammengenommen gerade vier-einhalb Prozent der jährlichen israelischen Förderrate aus und liegen damit weit unterhalb der saisonalen und jährlichen Schwankungen, welche sich im Bereich von -zig bis zu Hunderten von Millionen Kubikmetern bewegen.

Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass die meisten palästinensischen Brunnen zur Bewässerung gebaut wurden. Anders als die meisten israelischen Brun-nen haben sie deshalb keinen unterirdischen Anschluss an Leitungsnetze, um das Wasser in weiter entfernte Gebiete zu pumpen, oder gar in den National Water Carrier einzuspeisen. Genau aus diesem technischen Grund ist jedoch andererseits schon absehbar, dass die palästinensischen Brunneneigner ihres Wassers vollstän-dig verlustig gehen werden: Sie kämen an das Wasser selbst dann nicht heran, wenn ihre Brunnen auf der anderen Seite weiterliefen. 

Und endlich muss hier Erwähnung finden, dass Israel in der Lage ist, diese 15 Millionen Kubikmeter weitgehend, wenn auch nicht vollständig für sich zu nutzen, indem es einfach die Pumpraten in seinen eigenen weiter westlich gelegenen Brun-nen leicht erhöht. De facto wird Israel somit in der Lage sein, das Wasser auf sozu-sagen unsichtbare Weise zu nutzen, ohne die palästinensischen Brunnen selbst auch nur anzurühren.

Für die Palästinenser machen die o.a. 5 bzw. 15 Mio. m3 pro Jahr etwa 23 bis 75% der durchschnittlichen Förderrate im Westlichen Aquifer aus und sind damit ein schmerzhafter Verlust, der die Landwirtschaft in ihren Möglichkeiten extrem be-schneidet. In erster Linie sind die unmittelbar im Mauerstreifen liegenden Dörfer und Städte betroffen.

Noch einschneidender sind jedoch die indirekten künftigen Verluste. Denn in wasser-wirtschaftlicher Hinsicht gehen nicht nur 47 bzw. 107 Brunnen verloren. Für die Zu-kunft ist vor allem wichtig, dass hiermit de facto auch jegliche Aussicht für eine zu-künftige Förderung aus neuen Brunnen (nach erfolgreichen Verhandlungen) verun-möglicht wird. Der Streifen westlich der Mauer, der von Israel de facto annektiert wird, fällt mit dem beinahe einzigen Gebiet zusammen, in dem vielversprechende Standorte für zukünftige Brunnen liegen. Alle Gebiete weiter östlich liegen bereits an den Hängen der West Bank und zählen aus hydrogeologischer Sicht nicht mehr zum Pumpgebiet, sondern liegen im Übergangsbereich zwischen dem Wiederauffül-lungsgebiet in den Bergen und den Pumpgebieten in der Ebene. Die Wasserspiegel sind dort nur in großen Tiefen anzutreffen, die grundwasserführenden Schichten sind nur teilweise saturiert und könnten deshalb höchstens in sehr schwachen Brunnen mit hohen Wasserspiegelabsenkungen erbohrt werden. Die Palästinenser verlieren also nicht nur ein bzw. drei Viertel ihrer gegenwärtigen Nutzung aus dem Westlichen Aquifer. Sie verlieren zusätzlich die Aussicht auf eine weit größere Menge, nämlich nahe 100% des potentiell in Zukunft zu erschließenden Grundwassers.

Genau dieser Aspekt dürfte für die israelischen Planer von Bedeutung sein. Israel hat bereits in Oslo eine besonders harte Linie in bezug auf den Westlichen Aquifer ge-fahren. Während den Palästinensern im östlichen und nordöstlichen Aquifer Bohr-genehmigungen im bescheidenen Rahmen zugestanden wurden (zusammen etwa 70-80 Mio. m3 für die Interimsperiode), bestand Israel beim Westlichen Aquifer dar-auf, dass die Palästinenser keinen Tropfen neu erschließen. Bereits Mitte der 90er Jahre, lange vor Camp David, haben israelische Hydrologen „maps of water inter-ests“ gezeichnet, in denen die Gebiete, die nun hinter die Mauer fallen, zu den strate-gischen Interessenszonen Israels gezählt wurden. In diesen Gebieten sollte zukünf-tige palästinensische Erschließung unterbunden werden. Es ist daher nicht überra-schend, dass der jetzige Verlauf der Mauer diesen Karten stark ähnelt. Ein-schränkend soll hinzugefügt werden, dass für Israel natürlich noch andere Faktoren eine strategische Rolle spielen – an vorderster Stelle wären hier die ständig expan-dierenden und nach internationalem Recht illegalen Siedlungen zu nennen. Es be-steht also ein Unterschied zwischen Siedlungen und Wasser. Während erstere fort-während ausgedehnt werden, will Israel im Wasserbereich, zumindest im westlichen Aquifer vor allem den Status quo mit seiner extrem ungerechten Verteilung wahren. Sein Hauptanliegen ist hier, jegliche zukünftige und potentielle Erweiterung der palä-stinensischen Kapazitäten zu unterbinden und durch facts on the ground  von vorn-herein zu verunmöglichen. Wenngleich dieser Aspekt in der Berichterstattung keinen großen Raum einnimmt, so ist er für die Lebenswirklichkeit von Millionen Palästi-nensern zentral.

„Verteidigungsministerium will den Zaun tiefer in die West Bank verlegen“

Auszüge aus einem Artikel von Aluf Benn (Haaretz, 23.3.03) über die geplante Erweiterung bis nach Nablus:

„Das Verteidigungsestablishment schlug vor, den Zaun zu verschieben, so dass 40.000 Sied-ler und 3.000 Palästinenser auf der westlichen Zaunseite eingeschlossen werden ... Der neue Zaun verliefe östlich der Siedlungen Kedumim, Immanuel und Ariel (westlich und südwestlich von Nablus, Anm. cm) ... Im Bau sind heute die ersten beiden Phasen von Mehola im Beit She’an Valley (nahe Tayasir, in der nordöstlichen Ecke der West Bank, Anm. cm) bis Elkana (südlich Qalqilya, Anm. cm) mit Kosten von 2 Mrd. NIS (450 Mio. Euro, Anm. cm). Der nächste Abschnitt von Elkana zum Mt. Amasa (südlich Hebrons, Anm. cm) wird 4,5 Mrd. NIS (1 Mrd. Euro, Anm. cm) kosten ... Nun, im zentralen und südlichen Bereich taucht ein politisches Problem auf. Große Siedlungsblöcke von West-Samaria, Gush Etzion und Süd-Hebron wurden auf der Route errichtet, um das Gebiet innerhalb der Green Line (Israel, Anm. cm) nach Osten zu erweitern ... Die Zaunplaner beabsichtigten, so viele Juden und so wenig Palästinenser wie möglich auf die westliche Seite des Zaunes zu bekommen... Das Verteidigungsministerium hat zwei Zaunroutenfestlegungen fertiggestellt – eine westliche entlang der Green Line (s.o., Anm. cm) und eine östliche, die die palästinensische Bevölke-rungskonzentration vom Jordangraben abtrennen soll... Der östliche Zaun ist entlang der „Allon-Achse“ geplant (nach dem ’67er-General Yigal Allon, der bereits die palästinensische Kantonisierung anvisierte, Anm. cm), von Mehola bis Ma’ale Adumim (östlich Jerusalems, Anm. cm) und von dort zur Judäischen Wüste (südöstliche West Bank, Anm. cm) ...
Sharon sagte, er wolle die beiden Zäune nutzen, um damit temporäre Grenzen eines palästi-nensischen Staates gemäß Bushs Road Map zu skizzieren...“

Sharon erreicht hiermit, dass die Mauer beinahe das genaue Gegenteil dessen ist, was sie vorgibt: Sie trennt nicht die besetzten West Bank-Gebiete von Israel in den Grenzen von 1948 ab, sondern vereint die allermeisten der illegalen Siedlungen mit Israel. Was sie hingegen trennt, sind die Palästinenser von ihrem Land, ihrem weni-gen vorhandenen Wasser und noch mehr von ihrer Zukunft, der Aussicht auf die dringend notwendige Erweiterung ihrer Wasserkapazitäten, einem wesentlichen Ele-ment jeglicher Entwicklungsperspektive.

Sharon schlägt seit Jahren einen bantustanisierten palästinensischen Staat in der West Bank in zersplitterten Kantons und auf lediglich 42% der Fläche vor. Können er und die Siedler ihre Mauerphantasien durchsetzen, so kommen sie diesem Alptraum einen gewaltigen Schritt näher.

  • [1] Eine „linke“ Variante der Befürworter hält die Mauer für den ersten Schritt in Richtung eines palästinensischen Staates und behauptet, die zahlreichen Abweichungen von der „Green Line“ in Richtung Osten seien nur „mikroskopische Korrekturen“.
  • [2] Dies wiederum kümmerte die Befürworter der Mauer wenig, da sie kaum Sympathie für die Siedler übrig haben.
  •  [3] Die FDP-Schwester „Shinui“ („Wandel“) hat bislang in entscheidenden Abstimmungen keinerlei ernsthafte Versuche unternommen, den strammrechten Ambitionen Sharons etwas entgegenzusetzen. So fällt zum Beispiel die extreme Verschärfung der IDF-Repressionen in Gaza unter Shaul Mofaz in die Verantwortung ebendieser „liberalen“ Regierungsmitglieder, die seinen Kurs zulassen.


http://www.genfer-initiative.de http://reiner-bernstein.de
[Als pdf unter http://www.genfer-initiative.de]

hagalil.com 16-02-2004

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