Lazeth mijad m'haSchtahim:
Die stille Mehrheit
von Tanya Reinhart
Glaubt man Umfrageergebnissen, so liegt das politische
System Israels derzeit mit seinen Positionen sehr weit neben der Mehrheit
der Israelis. Laut dieser Umfragen spricht sich nämlich seit Monaten eine
(mindestens) 60-prozentige Mehrheit in der israelischen Gesellschaft für die
Aufgabe von jüdischen Siedlungen (in den palästinensischen Gebieten) aus -
sogar im Rahmen einer ‘unilateralen Separation’ (einer einseitigen
Abtrennung Israels von den ‘Besetzten Gebieten’ also). Die Fragestellungen
der einzelnen Umfragen entsprechen sich zwar leider nicht immer. In einer
‘Dahaf’-Umfrage vom 6. Mai - in Auftrag gegeben von ‘Peace Now’ (‘Frieden
jetzt’ = Israelische Friedensorganisation) -, waren die Fragen jedoch ganz
klar und ebenso die Antworten (1).
Aber was ist ‘die Forderung’ eigentlich genau? Seit Februar diesen Jahres
ist nun schon die Rede davon, aber mittlerweile wird sie zunehmend mit
massiver Umzäunung und Worten wie ‘Isolationsgebiete’ in Verbindung
gebracht. Zu Beginn jedoch war ‘die Forderung’ ebenso klar wie stringent
formuliert: (kompletter Rückzug). Ihr prominentester Fürsprecher ist Ami
Ayalon, der praktisch direkt aus dem Herzen des Sicherheitsapparats kommt
(früherer Chef der israelischen ‘Allgemeinen Sicherheitsdienste’ (‘General
Security Services’)). In einem Interview mit ‘Le Monde Diplomatique’ hatte
Ayalon am 22. Dez. 2001 gesagt: “Ich bin für einen bedingungslosen Rückzug
aus den ‘Besetzten Gebieten’. Ein Rückzug aus den Gebieten ist das, was
jetzt dringend erfolgen muß - und zwar ein echter Rückzug, der den
Palästinensern territoriale Kontiguität mittels einer Verbindung nach Gaza
verschafft und die Gebiete auch nach Ägypten und nach Jordanien hin öffnet”.
Und im darauffolgenden Februar bekam Ayalon mit seinem Anliegen
Unterstützung durch eins der wohl exklusivsten Gremien Israels: “Nach vier
Monaten intensiver Diskussion hat sich das ‘Gremium für Frieden und
Sicherheit’ (‘Council for Peace and Security’) - eine Gruppe bestehend aus
tausend Top-level-Generälen der Reserve, Obersten sowie Shin Bet-
(israelischer Inlandsgeheimdienst) und Mossad-Offiziellen (israelischer
Auslandsgeheimdienst) - dazu entschieden, eine öffentliche Kampagne für
einen unilateralen Rückzug Israels aus ganz Gaza und aus einem Großteil der
Westbank zu initiieren. Rund 80 Prozent des Gesamtgremiums haben für diese
Kampagne gestimmt. Im Unterschied zu früheren einseitigen Rückzugsplänen -
wie etwa ‘Life Fence’ (‘Lebenszaun’) - sieht der Gremiums-Plan die Räumung
von 40 bis 50 der jüdischen Siedlungen vor...” (Lily
Galili in ‘Ha’aretz’ vom 18.Febr. 2002).
Diesem Plan zugrundeliegend ist die Erkenntnis, daß Israels Strategie der
ewigen Verhandlungen, während denen man in aller Ruhe weiterhin in den
palästinensischen Gebieten verbleibt, gescheitert ist.
Die Lösung sieht genau umgekehrt aus: zuerst ein sofortiger, einseitiger
Rückzug - wie im Libanon - und daran anschließend ‘echte’ Verhandlungen.
Evakuiert würden der gesamte Gazastreifen sowie 90 bis 95 Prozent der
Westbank; ausgenommen wären Jerusalem sowie die zentralen Blocksiedlungen,
deren 150.000 Bewohner ja wohl kaum über Nacht evakuiert werden könnten. Ich
ergänze noch, was ich bereits am 8. Juli 2001 an dieser Stelle in Yediot
Aharonot geschrieben habe:
“Ein solcher Rückzug würde das Problem der großen (jüdischen)
Siedlungsblöcke zwar ungelöst lassen, ebenso die Jerusalem-Frage sowie die
Frage der Interpretation des Rückkehrrechts (der palästinensischen
Flüchtlinge). Dazu würde es weiterer Verhandlungen bedürfen. Ich denke
jedoch, während man über diese Dinge weiterverhandelt, kann sich die
palästinensische Gesellschaft allmählich regenerieren, Fuß fassen in den
geräumten Gebieten, demokratische Strukturen aufbauen und sich
wirtschaftlich entwickeln - indem sie in Kontakt treten kann zu wem immer
sie will. Unter solchen Voraussetzungen wird es dann wohl auch möglich
werden, Verhandlungen auf der Grundlage wechselseitigen Respekts zu führen
und sich schließlich mit der Zeit zum eigentlichen Hauptproblem
vorzuarbeiten: wie schaffen es zwei Völkern, die ein- und dasselbe
Territorium teilen müssen, gemeinsam ihre Zukunft aufzubauen.”
Ich bin der festen Überzeugung, wenn wir auf diese Weise vorgehen, brauchen
wir keine Zäune.
Aber es existieren eben auch noch andere Pläne für eine ‘unilaterale
Separation’ - wie z.B. jener von Barak favorisierte: palästinensischen
Enklaven sollen einzeln umzäunt werden, so daß sie nicht nur von ihren
Nachbarn, den jüdischen Siedlern, abgetrennt wären sondern auch voneinander.
Dieses Modell orientiert sich an dem, was im Gazastreifen bereits
praktiziert wird. Würde man diesen Plan realisieren, bräuchte man wirklich
sehr viel Draht sowie sehr viel Überwachungspersonal - und das auf ewig.
Demgegenüber würde eine sofortige bedingungslose - unilaterale Evakuierung
eine echte Chance auf Frieden bedeuten. Was ebenso erstaunlich wie
ermutigend ist, daß anders als in der israelischen Öffentlichkeit häufig
wahrgenommen, die Palästinenser nach wie vor eine Bereitschaft zu gerechtem
Frieden und Versöhnung zeigen und daß diese Bereitschaft in der
palästinensischen Gesellschaft noch immer sehr stark ist.
Eine im Februar 2002 durchgeführte Studie des ‘Programms für
Entwicklungsstudien’ an der Bir-Zeit-Universität / Westbank - fand heraus,
daß: “...77 Prozent daran glauben, daß sowohl Palästinenser als auch
Israelis ein Recht darauf haben, in Frieden und Sicherheit zu leben. 73
Prozent sind der Ansicht, wenn erst ein Palästinenserstaat errichtet sei,
müßten die Palästinenser und die Israelis gemeinsam am Ziel einer
friedlichen Koexistenz weiterarbeiten.”(2) Diese Umfrage wurde allerdings
durchgeführt, bevor wir durch unsere letzte zerstörerische Invasion noch
mehr Haß gesät haben. Wir sollten uns daher endlich zügig zurückziehen -
bevor wir in dieser Hinsicht noch mehr Flurschaden anrichten.
Obgleich, wie gesagt, eine Mehrheit der in den Umfragen befragten Israelis
für Option eines 'sofortigen Rückzugs' votiert, fehlt dieser Mehrheit bis
jetzt noch die Stimme. Denn anstatt für diesen sofortigen Rückzug
einzutreten (‘latzet myiad mehashtachim’) reden die Sprecher des
‘Friedenslagers’ immer nur von ‘Separation’ und ‘Zäunen’.
“Ich mag das Wort ‘Separation’ nicht”, sagt dagegen Ami Ayalon in dem oben
zitierten Interview, “es erinnert mich zu sehr an Südafrika.”
Warum haben sie eigentlich nicht Ayalon auf die
Rednerliste gesetzt - auf jener Massendemo der Friedenskoalition? Die
Politiker im israelischen ‘Friedenslager’ haben jahrelange Erfahrung damit,
die Vielen, die gegen die Siedlungen sind, hinzuhalten bzw. den Status quo
zu bewahren. Die Barak-Anhänger wollen Separation und Zäune, Peres und
Beilins Leute wollen “die Wiederaufnahme von Verhandlungen” - und inzwischen
bleibt man ruhig in den ‘Besetzten Gebieten’. Amos Oz hat auf jener
Demonstration dafür geworben, sich wieder in die Sackgasse von Camp-David
und Taba zu begeben (Die
Rede von Amos Os). ‘Peace now’ bleibt dabei immer mehr auf der
Strecke. Und wenn die Mehrheit der Israelis jetzt nicht aufpaßt, werden
obige Leute erneut gewinnen.
(1) Ha’aretz online, 10. Mai 2002 (‘Umfrageergebnis: 59
Prozent sagen, Rückzug aus der Westbank und Gaza würde den Friedensprozeß
erneuern’ / Associated Press). Das ganze Umfrageergebnis unter:
www.peacenow.org/Campaign2002/PollMay2002.rtf
(2) Die Studie wurde anhand von 1,198 Befragten vom 7. bis 9. Februar in 75
palästinensischen Wohngebieten der Westbank, des Gazastreifens und Ost-
Jerusalems durchgeführt. Ihr Ergebnis (Palestinian Public Opinion Poll No.
6) ist nachzulesen unter:
http://home.birzeit.edu/dsp/polls/p6/
Amira Hass hat die Ergebnisse in der ‘Ha’aretz’ vom 19. Febr. 2002
zusammengefaßt.
Eine ausführliche Analyse der hier vorgestellten
‘Sofortiger-Rückzugs-’Option sowie die Widerstände der Führung des
israelischen ‘Friedenslagers’ dagegen, können nachgelesen werden im letzten
Kapitel von Tany Reinharts Buch: ‘Detruire La Palestine, ou comment terminer
la guerre de 1948' (La Fabrique/France;
http://www.lafabrique.fr/livres/detruire.htm). Im Juni erscheint das
Buch auch auf Englisch und zwar unter dem Titel: ‘Israel/Palestine - How To
End The War Of 1948' (Israel/Palästina - wie der Krieg von 1948 beendet
werden kann) (Seven Stories Press / USA)
ZNet Kommentar 28.05.2002, Übersetzt von:
Andrea Noll
Orginalartikel: "The
Voiceless Majority"
hagalil.com 26-11-2002 |