Ein offener Brief:
Ein israelischer Offizier
schreibt an Präsident Bushvon Shamai Leibowitz
ZNet 27.06.2002
Ich bin orthodoxer Jude u. arbeite als Strafverteidiger in
Tel Aviv. Zudem bin ich Panzergrenadier - der Reserve -, und ich gehöre zu
jenen, die sich geweigert haben, Dienst in den ‘Besetzten Gebieten’ zu tun.
Viele, die zu unserer Gruppe gehören, saßen während der letzten Monate in
Militärgefängnissen ein.
Präsident Bush hat uns nun also mit seinem neuen
Nahost-‘Plan’ beglückt - und wir fragen uns, wie lange es wohl dauern wird,
bis er begreift, wie nutz- und bedeutungslos dieser Plan ist. George W.
Bushs Rede malt uns die Zukunft eines Palästinenserstaats in rosaroten
Farben aus - eines utopischen Palästinenserstaats in ferner Zukunft
wohlgemerkt - was Bush dabei tunlichst unerwähnt läßt, ist jedoch die
derzeitige Realität in jenem Landstrich, der Schauplatz all dieser
wunderbaren Dinge sein wird. Kein Wort davon, dass die israelische Armee
beispielsweise in alle Westbank-Städte wiedereinmarschiert ist. Kein Wort
davon, dass hunderttausende ihrer Bewohner durch eine strikte Ausgangssperre
in ihren Häusern gefangen sind. Keine Rede davon, dass Zivilisten, die sich
dennoch auf die Straßen ihrer Stadt wagen, von israelischen Panzern u.
Apache-Hubschraubern erschossen werden wie streunende Hunde.
Bushs mangelnde Einsicht, dass es keine Fortschritte im Friedensprozess
geben kann, solang ein ganzes Volk auf brutale Weise okkupiert wird, ist die
Crux seiner ganzen Politik u. erklärt am besten, weshalb seine Nahost-Pläne
sich auf konstanter Basis als Riesenflops erweisen. Bushs verblendetes
Denken, er könne die Palästinenserführung allein durch eine Rede aushebeln,
ist einfach gestört. Der amerikanische Präsident scheint ja ernsthaft zu
glauben, er könne jeden Führer der Welt beseitigen, sobald der ihm nicht
mehr paßt.
Diese Art des Denkens, wird uns noch eine Menge Blutzoll kosten. Lediglich
eine Frage der Zeit, bis Bushs ‘neuer Rahmenplan’ nur noch Asche ist,
während die Flammen in unserer Region immer höher u. höher lodern. Anstatt
uns wenigstens einen Schimmer echter Hoffnung zu geben, sind Bushs Pläne wie
der berühmte ‘brennende Dornbusch’* aus der Bibel (Exodus 3;2) - sprich:
immer das Gleiche, nur noch mehr u. mehr davon: noch mehr israelische
Okkupation u. als Folge noch mehr Terror, noch mehr Tote.
Ganz klar, die Terrorattacken sind einfach verabscheuungswürdig. Unter
Zugrundelegung halbwegs gesunder politischer Maßstäbe gibt es dafür
keinerlei Rechtfertigung. Aber wahr ist auch: keine noch so große Verdammung
wird sie stoppen. Was Bush anscheinend nicht begreift, ist, dass diese
Selbstmordattentate Resultat einer Massenhungersnot in den ‘Besetzten
Gebieten’ sind sowie der Demütigung des palästinensischen Volks. Bushs
Berater schaden uns unendlich, indem sie einfach nicht einsehen wollen, dass
nur ein sofortiges Ende der israelischen Okkupation ein sofortiges Ende des
Palästinenseraufstands bewirken kann. Im Moment sehen wir eine Situation, in
der 3,5 Millionen Menschen weder Zukunft, noch Hoffnung, noch Perspektive
haben - außer der, Terrorist zu werden, um so wenigstens die
kontinuierlichen Willkürakte u. den Beschuss durch israelische
Militärhubschrauber, durch Panzer u. Artillerie rächen zu können. Präsident
Bush hat nie einen Fuß in diese Region gesetzt. Aber wir leben hier, wir
haben mitangesehen, wie man auf den Palästinensern herumtrampelt, wie man
ihnen tagtäglich ihre Grundrechte vorenthält, wie man sie in jeder nur
vorstellbaren Weise belagert u. okkupiert.
Unser jüdischer Glaube lehrt uns: Wo es keine
Gerechtigkeit gibt, gibt es auch keinen Frieden. Die Ideen hinter den Osloer
Verträgen - vor allem die Idee, wir könnten ein Friedensabkommen
“aushandeln”, während wir gleichzeitig weiter Besatzungsmacht spielen -,
haben sich als romantischer Blödsinn herausgestellt. Oder können Sie sich
ein Vergewaltigungsopfer vorstellen, das nebenher mit seinem Vergewaltiger
verhandelt? Oder stellen Sie sich mal einen unterdrückten Sklaven vor, der
mit seinem Herrn einen ‘Freiheitsvertrag’ aushandelt?
Im Grunde ihres Herzens ist vielen Israelis klar, dass wenn wir aufhören,
dieses (palästinensische) Volk zu unterdrücken u. zu demütigen, wir wieder
zu einem ruhigen, sicheren u. demokratischen Staat Israel werden - zu einem
Staat Israel Seite an Seite mit einem lebensfähigen palästinensischen Staat.
Die meisten intelligenten Menschen auf der Welt begreifen inzwischen, dass
die Palästinenser schon seit Jahren Anrecht auf einen eigenen Staat hätten.
Und man hätte auch schon längst eine israelisch-palästinensische Grenze
ziehen müssen, die zwei komplett abgetrennte u. souveräne Staaten abgrenzt.
Es gibt nur eine einzige Einrichtung in der Welt, die dies nicht wahrhaben
will: die israelische Regierung.
Dies bedeutet: es ist Aufgabe von uns israelischen Soldaten, uns / unser
Land zu verteidigen. Wir müssen uns gegen unsere eigene Regierung zur Wehr
setzen. Und diese Verteidigung funktioniert nur über die Weigerung, bei
dieser Okkupation mitzuwirken. Denn wir sind der Meinung, ein Soldat, der
sich weigert, Millionen Palästinenser zu unterdrücken u. auszuhungern, dient
seinem Land auf die bestmögliche Art u. Weise. Die Begründung ist einfach:
Wenn genug Soldaten verweigern, wird die israelische Regierung irgendwann
gezwungen sein, ihren Todesgriff um die Westbank u. um Gaza zu lockern. Dies
würde tausenden von Menschen das Leben retten.
Ein berühmter Satz im Talmud lautet: “Wenn nicht einmal
ich auf meiner Seite bin - wer dann?” Bush hat uns hier bewiesen, wie
verschroben seine Realitätssicht ist. Es liegt daher an uns, unsere Nation
vor dem totalen Niedergang zu retten. Schieben wir Bush also beiseite u.
erledigen wir den Job selber. Wir, die Bewegung der Verweigerer, werden
wachsen u. wachsen, bis tausende israelischer Soldaten sagen: Genug ist
genug! Dann wird dieses Land, das so lange Schlachtfeld war, sich
hoffentlich zu einem Ort der Zuflucht entwickeln, zu einem Ort der Hoffnung
u. der Vision - und zwar für all seine Bewohner.
Anmerkung d. Übersetzerin:
* Gottes Engel erscheint Moses hier aus einem brennenden Dornbusch heraus,
der zwar dauerhaft brennt, aber sich nicht verändert, immer gleich bleibt,
also nicht verbrennt. Wörtlich lautet Exodus 3;2: “Der Engel des Herrn
erschien ihm (Moses) in einer Feuerflamme, mitten aus einem Dornbusch
heraus. Er schaute, und siehe da, der Dornbusch brannte zwar im Feuer, wurde
aber dabei nicht verzehrt.”
hagalil.com 13-11-2002 |