Wir brauchen viel mehr Geduld,
wir müssen viel mehr zuhören:
Versprechen - Promises
Ein Interview mit den Regisseuren des Films "Promises"
P.O.V. Was brachte Sie dazu den Film zu machen?
B.Z.G. Als Journalist während der
ersten palästinensischen Intifada verzweifelte ich mehr und mehr. Ich
erkannte, dass es Zeit meines Lebens keinen Frieden geben wird. Ich dachte
mir, wenn ich die Kinder beobachtete, könnte ich einen kurzen Blick auf die
Zukunft werfen. Aber der erste Funke zur Idee entwickelte sich, als ich als
Tonmeister die Intifada recherchierte. Wir filmten gerade eine Konfrontation
zwischen israelischen Soldaten und Steine werfenden palästinensischen
Jugendlichen im Gaza Streifen. Um das Ganze einfangen zu können, mussten wir
mitten auf der Strasse filmen. Wir hatten sehr viel Angst, auch dass ein
Molotow Cocktail einen Kameramann erwischen könnte. So versuchte ich, alles
im Blick zu behalten. Auf einmal sah ich Kinder das „Intifada – Spiel“
spielen. Ich hatte vorher noch nie palästinensische Kinder „israelische
Soldaten und palästinensische Demonstranten“ spielen sehen. Die
„Palästinenser“ warfen Steine auf die „Israelis“ Die „Israelis“ hatten
Holzgewehre. Sie schossen auf die „Palästinenser“, verhafteten sie und
stellten sie gegen die Wand. Sie schrieen sie auf Hebräisch an: „Hände hoch,
du dreckiger Araber“. Nachdem sie sie verprügelt hatten, wechselten die
Kinder die Rollen, denn keiner wollte „Israeli“ sein. Ich stand da, mit
offenem Mund, aber es fiel mir nicht ein, diese Szene zu filmen. Doch der
Vorfall blieb in meinem Kopf hängen und ich dachte, darüber sollte man einen
Film machen. Niemand sonst erzählt die Geschichte der Kinder in diesem
Konflikt.
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B.Z Goldberg Producer/Co-Director,
Justine Shapiro Producer/CoDirector,
Carlos
Bolado Co-Director/Editor
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1995 begannen Justine und ich über einen
Dokumentarfilm nachzudenken, der das Thema behandeln sollte. Justine sagte
ganz klar, dass man einen Film über die israelischen und palästinensischen
Kinder machen sollte und dieser Film genau jetzt zu drehen sei.
J.S. Ich war in Israel und den
palästinensischen Gebieten, um LONELY PLANET zu drehen, eine
Reisedokumentation, die ich moderierte. Während meines Drehs waren wir einen
Tag in Hebron. Unser Kontakt war ein 16 jähriger Palästinenser, der
Literatur studierte. Er konnte sich gut ausdrücken, war intelligent, lustig
und nachdenklich. So wurden wir Freunde. Er war der erste Palästinenser, den
ich jemals traf. Bis dahin hatte ich das typische „Palästinenser sind
Terroristen“ – Bild im Kopf, zweifellos: ich kam aus Berkley. Ich erkannte,
dass wenn ich Vorurteile im Kopf hatte, hatten das viele andere auch. An
einem anderen Tag traf ich einige palästinensische Mädchen am Strand von Tel
Aviv. Sie kamen aus Hebron. Sie waren traditionell religiös gekleidet. Ich
fragte eine von ihnen, wie sie sich hier in Israel fühlten. Sie schaute mich
ganz erschrocken an, dann spuckte sie in den Sand und sagte: „Dies ist nicht
Israel, dies ist Palästina!“ Wir sprachen etwa 30 Minuten miteinander. Wir
lachten viel und erzählten aus unserem Leben. Später schlug sie mir vor, zum
Islam überzutreten. Ich sagte ihr, dass ich Jüdin sei. Sie begann wirklich
zu weinen, drehte sich um und ging. Ich erkannte, dass ich wohl die erste
Jüdin war, mit der sie je geredet hatte. Ich nehme an, es hat sie unsicher
gemacht, dass ich kein Ungeheuer bin.
Nach dem Dreh verbrachte ich einige Zeit mit
meiner Familie in Israel. Ich saß in der Küche und sprach mit meinen 10 und
13 jährigen Cousins und fragte sie, ob sie auch palästinensische Freunde
hätten. Sie antworteten: „iiih, nein!“ Ich fragte sie, ob einer ihrer
Freunde palästinensische Freunde hätten und sie schauten mich an, als sei
ich verrückt.
All diese Erfahrungen führten mich dazu, einen
Film zu drehen, bei dem ich mehr Israelis und Palästinenser treffen würde.
Danach würde ich den Film in USA und überall sonst zeigen. Ich wollte mich
ganz auf die Kinder konzentrieren, denn ich wusste, kein Mensch weiß von
ihnen und sie haben viel zu sagen.
Wie habt ihr diese Kinder gefunden?
B.Z.G.: Wir befragten Wissenschaftler
und alle möglichen Leute, die wir kannten: „Kennst du irgendwelche
interessanten Kinder?“ Wir wussten, wir brauchten Kinder, die die Mehrheit
darstellten: Siedler, Flüchtling, einen religiösen Araber, einen religiösen
Juden, ein Kind eines Gefangenen, liberale Juden, etc. Deshalb kontaktierten
wir Lehrer, Direktoren, Erzieher, Falafel - Verkäufer, Tanzlehrer,
eigentlich jeden, den wir trafen.
Wie schwierig war es das Vertrauen der Kinder und deren
Familien zu gewinnen, um diese Dokumentation drehen zu können?
B.Z.G.: Sehr einfach: der Mittlere
Osten ist eine Region, in der die Gastfreundschaft sehr wichtig und sehr
verbreitet ist. Wir wurden überall mit offenen Armen empfangen. Auch war es
wichtig und sogar entscheidend, die Kinder als Menschen zu sehen, sie ernst
zu nehmen und nicht erzieherisch zu wirken. So wurde die Kamera immer auf
Augenhöhe der Kinder gehalten, statt sie von oben nach unten zu halten, wie
es sonst üblich ist, wenn Kinder gefilmt werden. Ich glaube, diese Haltung
half uns auch, ihre Vertrauen zu gewinnen.
Die Palästinenser, Kinder und Erwachsene,
fühlen sich von der Internationalen Gemeinschaft nicht wahrgenommen. So
waren sie ganz besonders bereit, ihre Geschichte zu erzählen.
J.S. : Ich muss hinzufügen, dass alle
in dieser Region gerne vor Kameras agieren.
Was machen jetzt eigentlich die Kinder, die in diesem Film
portraitiert wurden?
B.Z.G Shlomo studiert immer noch
Religion. Er geht sechs Tage die Woche von 7:30 bis 20:30 in die Schule.
Yarko und Daniel sind auf einem Gymnasium. Sie spielen ganz ernsthaft
Volleyball. Mahmoud ist inzwischen weniger religiös als damals, als wir ihn
filmten. Sein Vater besitzt das erste Internet Café in Ost – Jerusalem und
Mahmoud verbringt viel Zeit im Netz. Samabel tanzt immer noch in der Truppe
des Deheishe Flüchtlingscamp. Sie war letzten Sommer auf Welttournee. Es ist
schon befremdlich, dass es für sie einfacher ist, nach Stockholm, Athen oder
New York zu reisen, als nach Jerusalem zu gehen. Moishe
ist Computer Crack. Er erzählte uns, dass er wahrscheinlich doch kein
Politiker werde, er möchte jetzt lieber Computertechniker oder Rock Star
werden. Das letzte Mal als ich ihn sah, hörte er Britnea Spears, Christina
Aguillera und ABBA. In seiner Freizeit übersetzt er HARRY POTTER ins
Hebräische. Faraj und seine Familie träumen davon, in ein anderes Land zu
ziehen.
J.S. Moishe ist sehr diszipliniert mit seinen
Religionsstudien, aber interessiert sich auch sehr für Computer.
Wurde Ihr Film auch schon in Israel gezeigt? Wie haben
die Israelis und die Palästinenser in der Diaspora auf den Film reagiert?
B.Z.G Der Film lief auf dem Jerusalem
Film Festival. In Jerusalem, wie überall auf der Welt, bekamen wir
Zustimmung und Anerkennung. Aber wir müssen zugeben, dass die meisten
Zuschauer progressiv und linksgerichtet waren. Viele Israelis meinen, der
Film sei ein bisschen Pro-Palästinenser, viele Palästinenser meinen, er sei
ein bisschen Pro-Israelisch. Deshalb meine ich, der Film ist gut geworden.
Es gibt zwei kritische Aussagen zum Film: die israelische Kritik ist, dass
der Film nicht die historischen Zusammenhänge aufzeigt: was passierte mit
den Teilungsverträgen 1947, den Krieg von 1948 und 50 Jahre später mit dem
kleinsten Staat im Mittleren Osten, der dazu von 20 arabischen Staaten
umgeben, usw. Die palästinensische Seite kritisiert, dass das Leiden der
beiden Völker gleich behandelt wird, anstatt zu zeigen, dass die Israelis
ihre Macht nutzen, um den Palästinensern die Bürgerrechte abzuerkennen.
Sie versuchen also in diesem Film keine Seite
einzunehmen, hab ich Recht? Warum haben Sie diese Strategie gewählt?
B.Z.G Die Situation ist kompliziert und
komplex. Für mich ist die einzige Lösung die, alle Seiten mit Mitleid zu
begegnen, Moishes Vorlieben, Ängste und Schmerzen genau so zu verstehen, wie
die von Farajis. Sie zu verstehen, ohne sagen zu müssen: dies ist richtig,
dies ist falsch. Weil das einfach nicht funktioniert. Beide Seiten machen
Fehler, beide haben recht. Sie sind dazu verdammt, Seite an Seite zu leben,
die Lösung, die eine politische sein muss, kann nur gefunden werden, wenn
beide Seiten die Geschichte des Anderen respektieren, sowie Schmerzen und
Chaos zu beenden. Es gibt kein Zurück in die Vergangenheit.
J.S.: Wir wollten keinen „politischen“
Film machen. Wir wollten niemanden „erziehen“ oder jemanden beeinflussen.
Wir wollten einen Film machen, der ein bisschen in die Tiefe geht, mehr eine
Charakterstudie, mehr als das, was man im Fernsehen und in den Zeitungen
sieht. Wir wollten hinter die Stereotypen gehen. Das Schöne am
Dokumentarfilm drehen ist, dass man Fragen stellen soll und eben nicht,
polemisch werden. Eine Seite einzunehmen ist einfach. Jemanden mit offenen
Ohren und Herzen zuhören ist interessanter und spannender.
Was erhoffen Sie sich mit diesem Film?
B.Z.G Als wir mit diesem Film anfingen,
war es als ob wir eine Zwiebel öffneten: eine Schicht nach der anderen kam
zum Vorschein. Jedesmal dachten wir, wir würden den Konflikt verstehen und
am Ende des Tages merkten wir, wir hatten ihn noch immer nicht verstanden.
Bei jeder Schicht dachten wir, wow, jetzt haben wir endlich den Stier an den
Hörnern gepackt. Und am nächsten Tag bemerkten wir, dass wir falsch lagen.
Die Antwort ist also nicht, das Innere der Zwiebel, sondern der Weg dorthin.
Am Ende wussten wir, dass der Konflikt viel komplexer ist als wir dachten.
Wir sind gewohnt, drei Minutenberichte in den Nachrichten zu sehen, und
grundsätzlich wollen wir, dass Konflikte einfach zu lösen sind, auch die in
unseren Städten. Um möglichst einfach die Bösen und die Guten zu erkennen zu
können. Aber was wir vorfanden, war sehr subtil und voll Schmerzen, aber
auch voll Lachen. Ich fühlte, wenn ich einen Film machen konnte, der dies
dem Publikum vermitteln konnte, dann würde er gut sein.
J.S.: Meine Hoffnung war es, dass die
Leute, die PROMISES sahen, den Konflikt im Mittleren Osten nicht mehr so
sahen wie sie es vom Fernsehen und den Zeitungen her kannten. Ich hoffe,
dass die Leute erkennen, dass nichts einfach ist, nichts schwarz oder weiß.
Ich hoffe, dass die Leute, die diesen Film sehen, sich mit allen Menschen
solidarisieren, die in solchen Situationen leben, sei es weltweit, sei es
einfach bei ihnen um die Ecke. Ich denke, dass viele Leute glauben, die Welt
in Gut und Böse einteilen zu können. Wir tendieren dazu, weil wir in der
Informationsgesellschaft emotional einfach überfordert sind. Es ist
einfacher, mit dem Finger auf Leute zu zeigen. Und es brauch viel mehr
Geduld, sich hinzusetzen und zuzuhören.
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"Promises":
Auch ohne Oscar ein
Favorit
Die Trophäen sind verliehen, die
Teppiche wieder eingerollt, der Oscar 2002 brachte viele Überraschungen und
bewegende Momente. In Israel hatte man in diesem Jahr besonders gespannt auf
den Sieger in der Kategorie Dokumentarfilm gewartet. Leider ging der Favorit
"Promises" leer aus. Trotzdem, die Dokumentation über Kinder im
Nahostkonflikt gehört zu den besten Beiträgen, die über die
palästinensisch-israelischen Auseinandersetzungen gedreht wurden...
Promises:
Ein Kinoprojekt für Schulen
ab 25.10.2002 im Eiszeit Kino
Zeughofstr. 20, 10997 Berlin
Ubhf Görlitzer Bahnhof oder Schlesisches Tor
Telefonische Anmeldungen für Vormittagsvorstellungen für Klassen unter
030-24313030 oder Fax: 030-24313031, Eintrittspreis: 3.- Euro
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[FORUM]
Der israelische
Dokumenarfilm "Versprechen - Promises" ist Grundlage
eines gemeinsamen Schulkinoprojekts des EYZ
Kinos GbR, Suzan Beermann,
haGalil onLine,
Tacheles-Reden, Bernhard Stolz,
Humanistischer Verband.
hagalil.com 29-09-2002 |