Wie Israelis es sehen
Von M.J.Rosenberg
[English]
Eines der immer wiederkehrenden Themen dieser Kolumne ist,
dass die derzeitigen Bedingungen in Israel schlecht sind, und dass Israel
kein Gefallen damit getan ist, daran zu arbeiten den Status Quo zu erhalten
(anstatt eine Einigung mit den Palästinensern zu fördern). Aber heute, im
Hinblick auf den 56. Jahrestag der Unabhängigkeit Israels, ist es von Nutzen
sich einmal genauer anzuschauen, wie die Israelis selbst ihre Situation
sehen. Von hier aus sieht ihre Situation sehr prekär aus. Aber relevanter
ist, wie sie es sehen. Eine
spezielle Umfrage zum Unabhängigkeitstag, durchgeführt vom Dahaf
Umfrageinstitut für Yedioth Achronot, zeigt eine auffallende Dichotomie
zwischen der Sicht der Israelis bezüglich ihrer persönlichen Situation und
wie sie die Situation ihres Landes sehen.
Betrachten wir einmal die Umfrageergebnisse, zunächst wie die Israelis ihr
persönliches Leben sehen.
Frage: Wie würden sie Ihre wirtschaftliche Situation zur Zeit beurteilen?
Antw.: Gut: 63%; Nicht gut: 36 %
Frage: Sind sie mit Ihrer sozialen Situation zufrieden?
Antw.: Zufrieden: 76 %; Nicht zufrieden: 24 %
Schauen wir nun, wie die Israelis Israel sehen.
Frage: Nimmt der Staat Israel den richtigen Kurs?
Antw.: Ja: 37 %; Nein: 50 %
Frage: Ist für die jüngere Generation in Israel eine gute Zukunft gesichert?
Antw.: Ja: 22 %; Nein: 70 %
Frage: Wie würden sie die wirtschaftliche Situation in Israel beschreiben?
Antw.: Gut: 18 %; Nicht gut: 82 %
Frage: Wie würden Sie die soziale Situation in Israel beschreiben?
Antw.: Gut: 20 %; Nicht gut: 80 %
In seiner Analyse der Umfrage schreibt Sever Plotzker von Yedioth Achronot,
dass die Hauptergebnisse der Umfrage ausgelegt werden können "als Aussage
des Gefühls der Entfremdung der Israelis von Israel. Innerhalb der Grenzen
ihrer Wohnungen, Familien und Freunden, beschweren sich die Israelis nicht
über ihr bitteres Schicksal. Sie sind ganz zufrieden. Nur, wenn sie mit dem
Staat in Kontakt kommen ... und sich in ihrer Eigenschaft als Bürger des
Staates betrachten, werden die Israelis ärgerlich, beunruhigt, verletzt und
pessimistisch."
Plotzker bemerkt, dass verglichen mit den vorangegangenen Jahren das letzte
Jahr "kein schlechtes Jahr" war. Aber weiter führt er aus, möglicherweise
"sollten wir die Definition von 'kein schlechtes Jahr' ändern. Wie kann ein
Jahr nicht schlecht sein, wenn 185 Sicherheitskräfte und 137 Zivilisten in
einem Terroristenkrieg ums Leben kommen? Wie kann es nicht schlecht sein,
wenn die Arbeitslosigkeit ein neues Rekordhoch erreicht? Wie kann ein Jahr
in Ordnung sein, wenn schwere Verdachtsmomente der Korruption und
Bestechlichkeit auf dem Premierminister lasten? Kein Wunder, dass die
Israelis so besorgt über die Zukunft sind. "Die Besorgnis ... hier stammt
nicht aus der Angst vor persönlichen Rückschlägen, sondern vielmehr aus der
Angst, dass der Staat Israel zusammenbrechen wird. Die Menschen glauben,
ihre Kinder werden keine glückliche Zukunft hier haben, wegen der Richtung,
die das Land einschlägt, und nicht wegen ihrer persönlichen, privaten
Lebensführung. Es gibt keine Sicherheit dafür, dass der Staat Israel es
schaffen wird, zu überleben."
Er nennt diese Dichotomie "das Paradox Israels im 56sten Jahr seiner
Unabhängigkeit." Es ist ein "Land, dessen Bürger glauben, es gehe in die
falsche Richtung, wo 70 von 100 Leuten sagen, es biete keine Zukunft für
ihre Kinder ... Es ist, als ob sie sagen, dass der Staat und seine Bürger
zwei verschiedene und separate Dinge seien.
Plotzker sagt, dass Israel – auf die 60 zugehend – in seiner Jugendlichkeit
gefangen bleibt. "Trotz seines Alters fehlen Israel immer noch grundlegende
Eigenschaften der Reife. Es hat immer noch keine endgültigen und anerkannten
Grenzen. Es hat immer noch keine Hauptstadt, die von der Welt anerkannt ist.
Es hat immer noch keine Verfassung. Und hauptsächlich: seine Bürger haben
keinen Frieden und keine Ruhe. Israel mit 56 ist ein Land, dessen Söhne und
Töchter es lieben, trotz dem, was es ist, nicht wegen dem, was es ist."
Kurz gesagt, der zionistische Traum ist gesund. Die zionistische Realität
definitiv nicht. Was muss also getan werden?
Plotzker sagt: "Die Zeit ist gekommen, Grenzen festzulegen. Die Zeit ist
gekommen, uns mit unseren Einschränkungen abzufinden. Die Zeit ist gekommen,
darauf zu bestehen, dass das öffentliche Leben unter Einhaltung der legalen,
moralischen und ethischen Codes geführt wird. Die Zeit ist für uns gekommen,
eine Zivilgesellschaft zu werden. Die Zeit ist gekommen, den Konflikt mit
unseren Nachbarn zu beenden. Die Zeit ist gekommen, die Armut auszumerzen,
Arbeitslosigkeit, die Mängel in der Bildung. Ein normales Land zu sein."
Es ist schwer, dem zu widersprechen, obwohl fast alle diese Ziele in jedem
beliebigen Land unrealisiert bleiben.
Die zwei Punkte auf Plotzker’s Wunschliste die Israels Situation am meisten
verbessern würden sind diejenigen, die am einfachsten zu erreichen sind.
"Die Zeit ist gekommen," schreibt er, "Grenzen festzulegen. Die Zeit ist
gekommen, den Konflikt mit unseren Nachbarn zu beenden."
Der von Premierminister Sharon vorgeschlagene Rückzug aus Gaza ist ein guter
erster Schritt in diese Richtung. Aber echter Frieden kann nur durch
erfolgreiche Verhandlungen mit den Palästinensern über die West Bank
erreicht werden. Und das würde die Art und Weise revolutionieren, wie
Israelis über Israel denken.
Tatsächlich benötigte es nicht einmal den Abschluss der Verhandlungen, um
die Art und Weise zu verbessern, wie Israelis über ihr Land denken. Während
der Osloer Gespräche waren Israelis optimistischer als je zuvor über ihre
nationale Zukunft. Die späten 1990er waren eine Zeit, in der Israelis sich
nicht nur bezüglich ihrer persönlichen Lebensgestaltung gut fühlten, sondern
auch bezüglich ihres Landes. Es war eine Zeit, als Israelis nicht nur mehr
Geld in der Tasche hatten, sondern auch das Gefühl hatten, es ist sicher in
ein Einkaufszentrum zu gehen und es auszugeben.
Nicht zufällig zeigten Meinungsumfragen bei den Palästinensern zu dieser
Zeit, dass diese ebenso wie die Israelis eine größere Hoffnung in die
Zukunft hatten.
Heute setzt sich die Absturzspirale für beide Völker fort. Es gibt nur einen
Ausweg, und beide Seiten kennen ihn. Sie kannten ihn seit 37 Jahren. Ob es
nun UN Resolution 242 und 338 genannt wird, Camp David, der Reagan-Plan,
Oslo, die Roadmap, oder die Bush-Vision, spielt keine Rolle. Das Ergebnis
wäre letztendlich dasselbe.
Israelis und Palästinenser näherten sich diesem Ergebnis in den letzten drei
Jahren der 1990er – die Jahre, in denen die israelisch-palästinensische
Kooperation den Terrorismus nahezu ausgelöscht hatte, als die israelische
Wirtschaft boomte und als die Palästinenser in Richtung Selbstbestimmung
wanderten.
Fragen Sie irgendeinen Israeli, wie sich 1999 und 2000 anfühlte? Fragen Sie
irgendeinen Palästinenser?
Es gab Hoffnung. Und jede Meinungsumfrage zeigte das, am Unabhängigkeitstag
und an jedem anderen Tag. Heute zeigt sich das Gegenteil. Es ist Zeit,
zurück in die Zukunft zu gehen.
Übersetzung: Thorsten Schmermund |