Der Bericht der Menschenrechtsorganisation HRW:
Sinnlose Zerstörung palästinensischer Häuser
und unnötige Gefährdung israelischer Truppen
Der israelisch-palästinensische Konflikt wird in aller Welt zunehmend als
gewaltiger Kampf kriegerischer Stämme betrachtet, für den es keine Lösung
gibt. Der Anfang letzter Woche veröffentlichte Bericht der
Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch", der sich mit dem Abriss von
Häusern im Gazastreifen befasst, wird diese Einschätzung erneut bestätigen.
Ein Leitartikel der Tageszeitung Jedioth achronoth rechnet mit Millionen
von Menschen in aller Welt, denen diese Zahlen sozusagen zum Frühstück
präsentiert werden: Tausende zerstörte Häuser, 16.000 obdachlose
Palästinenser.
Jede israelische Erklärung wird wie eine Ausrede klingen. Jedioth
achronoth empfindet deshalb die Sicherheit mit der Israel die
"uneingeschränkte Unterstützung der derzeitigen amerikanischen Regierung"
genießt, trügerisch. Präsident Bush verstehe zwar Israels Haltung, er
bewundere Sharon und sehe die Welt genauso wie er; trotzdem werde er den
negativen Wind, der Israel entgegen bläst, nicht auf Dauer ignorieren
können. Selbst wenn auch die amerikanische Regierung kein erfreuter Abnehmer
der Berichte von "Human Rights Watch" sein mag, muss sie sich mit den
Berichten auseinandersetzen.
Laut Jedioth schadet der vorgelegte Bericht aber nicht nur Israels Image:
"Er sagt auch etwas über die Art unserer Kriegsführung aus. Eine Art, die
die israelische Öffentlichkeit seit langem zu ignorieren scheint. Schmerz,
Angst und Rachegefühle, die der grausame Feind in uns erweckt hat, liefern
uns immer wieder die Rechtfertigung zum Wegsehen. Ein solches Verhalten mag
für den einfachen Bürger ein verständliches Verhalten sein, nicht aber für
die Regierung. Sorgen wie sie der HRW-Bericht zum Ausdruck bringt, scheint
man sich nur noch in der Armee zu erlauben. Dort werden Stimmen laut, die
fragen, wozu der Abriss der Häuser eigentlich dienen soll.
Viele im Ausland, werden diese Sorge nicht verstehen. Insbesondere all
diejenigen mag dies überraschen, die in den letzten vier Jahren nicht hier
waren. Aber wir wissen längst, dass so der Krieg aussieht, den wir führen:
er ist ohne Ziel, ohne Zusammenhang, ohne Grenzen und ohne Kontrolle".
Der Bericht der HRW
vom 18. Oktober 2004:
-hrw.org/reports/2004/rafah1004/hebrew/rafah_pr_hebrew.pdf
-hrw.org/reports/2004/rafah1004/hebrew/rafah_summary_hebrew.pdf
Israel:
Trotz Rückzugsplan werden Häuser weiterhin zerstört
Israelische Truppen reißen Häuser ab, um Palästinenser aus der
Grenzgegend zu vertreiben
(Jerusalem, ) – Tausende von Palästinenserhäusern sind
von der israelischen Armee illegal zerstört worden, und zwar unabhängig
davon, ob dies militärisch notwendig war, erklärte Human Rights Watch in
einem am 18. Oktober 2004 veröffentlichten Bericht. Damit soll eine
"Pufferzone" entlang des Gasastreifens an der Grenze zu Ägypten hergestellt
werden. Um diese Zone auszuweiten, will die israelische Regierung noch
mehrere Hundert Häuser abreißen lassen, auch wenn sie offiziell gerade dabei
ist, sich aus dem Gebiet "zurückzuziehen".
Die "Israel Defense Force" (IDF), die am südlichen Ende
des Gasastreifens häufig in Feuergefechte mit bewaffneten Palästinensern
gerät, behauptet, die Zerstörung der Häuser sei eine militärische
Notwendigkeit. Human Rights Watch verfügt über Daten, die zeigen, dass durch
die Aktionen der IDF innerhalb der letzten vier Jahren 16.000 Menschen
obdachlos geworden sind – und dass es bei den Zerstörungen keine Rolle
spielte, ob die betreffenden Häuser wirklich eine Bedrohung darstellten.
Das Völkerrecht gesteht einer Besatzungsmacht – wie sie Israel in diesem
Falle ist – die Zerstörung von Zivileigentum nur dann zu, wenn dies für
militärische Operationen unbedingt nötig ist. Dient eine solche Zerstörung
ausschließlich dem Zweck die allgemeine Sicherheitslage der Besatzer zu
festigen, oder als reine Präventivmaßnahme gegen hypothetische Gefahren ist
sie unzulässig.
"Israel verhält sich im südlichen Gasastreifen so, als sei jeder
Palästinenser ein Selbstmordattentäter und jedes Haus ein Hauptquartier für
Bombenleger," kritisierte Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch.
"Die systematische Massenzerstörung von Privathäusern stellt einen
schwerwiegenden Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht dar, durch die
Zivilisten geschützt werden sollen."
Der 135-seitige Bericht "Razing Rafah: Mass Home Demolitions in the Gaza
Strip" konzentriert sich auf die am südlichen Gasastreifen gelegene Stadt
Rafah, in der mehr als 10% aller Einwohner ihre Häuser verloren haben. Die
im Gasastreifen, in Israel und Ägypten durchgeführten Untersuchungen und
Interviews, zeichnen mit Hilfe von Satellitenkarten, Graphiken und
Fotographien ein genaues Bild der Zerstörungen. Das sich dabei abzeichnende
Muster bestätigt, dass die israelische Regierung hier ihr Ziel
weiterverfolgt: Das Grenzgebiet soll ausgedehnt werden und bevölkerungsleer
sein, damit die Kontrolle über den Gasastreifen langfristig gesichert und
erleichtert wird. Von absoluter militärischer Notwendigkeit kann hingegen
keine Rede sein.
Die IDF bringt zwei Argumente für die Ausdehnung der Pufferzone. Erstens
sollen damit Schmugglertunnel von Ägypten gesperrt werden und zweitens die
Sicherheitslage der IDF-Truppen an der Grenze verbessert werden. Human
Rights Watch zufolge, sind zwar sowohl die Schließung der Schmugglerwege,
als auch die Sicherheitsbedenken der israelischen Soldaten legitime
Bedenken, aber die Argumente der Regierung halten einer genauen Untersuchung
nicht stand.
Niemand bestreitet, dass bewaffnete Palästinensergruppen durch die besagten
Tunnel Waffen für den Kampf gegen israelisches Militär und israelische
Zivilisten einschmuggeln. Allerdings gibt es ganz deutliche Indizien dafür,
dass die IDF die Existenz dieser Schmuggelwege als Vorwand benutzt, Häuser
zu zerstören und die "Pufferzone" illegal zu erweitern.
Erstens wird die Anzahl der Tunnel von vorne herein übertrieben. Zweitens
scheinen der IDF anerkannte Methoden zum Aufspüren und Sperren solcher
Tunnel – z.B. seismische Sensoren, elektromagnetische Induktion oder Radar –
unbekannt zu sein. Würde man solche Methoden anwenden, könnte sich die IDF
einen Großteil ihrer Operationen in Rafah, bei denen Häuser zerstört werden
und manchmal Menschen umkommen, sparen. Es kommt zudem immer wieder vor,
dass die IDF ganze Häusergruppen abreißt, um Tunnel zu "schließen", die
zuvor erwiesenermaßen schon durch die palästinensischen Behörden versiegelt
worden waren.
"Es geht dem israelischen Militär überhaupt nicht in erster Linie darum,
Tunneldurchgänge unter der von ihnen beherrschten Grenze zu zerstören,
sondern vielmehr darum, mit Gewalt immer tiefer nach Rafah vorzudringen,"
machte Roth klar. "Dadurch verlieren nicht nur die Palästinenser ihre
Häuser, sondern auch die Sicherheitslage für die IDF-Soldaten selbst
verschlechtert sich."
An der Grenze bei Rafah kommt es regelmäßig zu Feuergefechten zwischen
bewaffneten Palästinensergruppen und den IDF-Truppen. Die von der IDF
angeblich zum Schutz ihrer Soldaten ergriffenen Schritte gehen jedoch weit
über die völkerrechtlich zulässigen Maßnahmen und die tatsächlichen
Sicherheitsbedürfnisse der Armee hinaus. 2003 wurde zum Beispiel in der
schon geräumten "Pufferzone" zum Schutz der Truppen eine acht Meter hohe
Mauer errichtet. Dieser zusätzlichen Maßnahme zum Trotz wurden in Rafah im
selben Jahr dreimal so viele Häuser zerstört wie in den Jahren zuvor.
"Natürlich kann die IDF zur Rechtfertigung mit ausgeklügelten Begründungen
aufwarten," sagte Roth, "aber die Argumente halten einer genauen
Untersuchung nicht stand, sondern zeigen vielmehr ein präzises System
ungerechtfertigter Gewalt und Verwüstung."
Mitte Mai verabschiedete die israelische Regierung ein Programm, mit dem die
"Pufferzone" durch die Zerstörung weiterer Dutzender oder sogar Hunderter
Häuser noch stärker erweitert werden soll. Von der IDF kam daraufhin
offensichtlich die Empfehlung, alle Häuser im Umkreis von 400 Metern zur
Grenze müssten zerstört werden. Eine derartige Verwüstung an einem der am
dichtesten besiedelten Orte der Welt würde Tausende von Palästinensern
obdachlos machen.
Der Bericht geht auch darauf ein, dass im Mai viele Häuser und Teile der
Infrastruktur in Rafah zerstört wurden – und zwar aus Rache für den Tod von
fünf IDF-Soldaten, die von militanten Palästinensern getötet worden waren.
In jenem Monat sorgten umfangreiche IDF-Aktionen dafür, dass über 200 Häuser
abgerissen wurden, viele davon gar nicht einmal in Grenznähe, sondern in der
Stadtmitte. Panzer mit schweren Geschützen mähten wahllos Häuser und Läden
nieder, rissen Straßen auf, zerstörten Wasser- und Abwassersysteme und
verwandelten zwei große landwirtschaftlich genutzte Äcker in Schlammfelder.
Die IDF behauptet, dass diese Aktionen militärisch notwendig gewesen seien,
weil Palästinenser ihre Truppen massiv angegriffen hätten. Es gibt jedoch
zahlreiche Indizien dafür, dass Letztere nur leichten Widerstand leisteten
und die israelischen Truppen bei jedem Übergriff die Lage innerhalb kurzer
Zeit unter Kontrolle hatten. In manchen Fällen machte die IDF weit von der
Grenze entfernten Häusern dem Erdboden gleich – und zwar noch nachdem sie
die Gewalt über die betreffende Gegend errungen hatte. Die Art und Weise in
der dies geschah – zeitaufwändig und umfassend – zeigt, dass die Truppen
nicht "im Eifer des Gefechts" handelten, sondern die Gebäude ganz
systematisch abrissen.
Die US-Regierung und auch europäischen Staaten haben Israel bisher nicht für
seine Missachtung des Völkerrechts verantwortlich gemacht. Ganz im Gegenteil
– sie finanzieren sogar noch Reparaturen und Umsiedlungsprogramme. Der
Bericht fordert die internationale Gemeinschaft dringend dazu auf, von
Israel entweder Reparationszahlungen an die Opfer zu verlangen, oder aber
auf eine Rückerstattung an die Geberländer zu bestehen, wenn mit den
Spendengeldern die Schauplätze illegaler Häuserabrisse wieder hergestellt
wurden.
Der Bericht übt auch ganz konkret Kritik an Caterpillar Inc., einer
amerikanischen Bulldozer-Firma, die die schweren D9 Bulldozer herstellt, die
zur Zerstörung palästinensischer Häuser und Infrastruktur benutzt werden.
Human Rights Watch ruft Caterpillar dazu auf, der IDF keine Fahrzeuge und
Fahrzeugteile mehr zu verkaufen oder ihren Wartungsservice zur Verfügung zu
stellen, solange die Bulldozer zur illegalen Gebäudezerstörung benutzt
werden. Die Firma sollte sicherstellen, dass sie ihre Waren und
Dienstleistungen nicht bewusst einem Kunden anbietet, der damit
Menschenrechte verletzt.
Weitere Berichte der HRW
hagalil.com
22-10-2004 |