Es gibt zwei Alternativen: den Weg des
Friedens und sozialer Gerechtigkeit auf der einen - und den Weg des Krieges
und der Verzweiflung auf der andern Seite. Die Wahl zwischen zwei
Möglichkeiten ist der Kern der Demokratie. Eine nationale Einheitsregierung
ist das Gegenteil von Demokratie...
Sharon’s neue Kleider
Uri Avnery
Eine Paraphrase zum Propheten Amos (Kapitel 2,4f; 2,6ff):
Um drei, ja um vier Frevel willen derer von Labor, will ICH (d.h.
Gott der Herr) sie nicht schonen.
-- Wegen der abscheulichen Lüge von Ehud Barak, "ich habe
Arafat alles angeboten und Arafat hat alles abgelehnt", eine Lüge, die den
Kollaps fast des ganzen israelischen Friedenslagers verursacht hat .
-- Wegen der Prostitution von Shimon Peres, der die letzten beiden Jahre mit
Königen und Präsidenten, Ministerpräsidenten und Generalsekretären
geplaudert hat und ihnen Ariel Sharon als moderaten Staatsmann und
Friedensstifter verkauft hat.
-- Wegen des blutbefleckten Opportunismus von Binyamin Ben-Eliezer, der auf
Kriegsverbrechen und Gräueltaten den Stempel des linken Flügels gesetzt hat.
-- Wegen der Mätzchen des ganzen degenerierten Haufens von
Parteifunktionären, die Mitzna bei den Wahlen, bei denen er im letzten
Augenblick erschien, um noch zu retten, was zu retten war, sabotiert haben.
Wegen der Propagandaexperten, "Strategen" und Werbetexter, die Mitznas
Botschaft verwässert und in einen geschmack- und geruchlosen Brei verwandelt
haben.
Um der drei, ja vier Frevel willen von Meretz , will ICH
sie nicht schonen.
-- Wegen ihrer Feigheit, als sie aufgerufen wurde, als einzige Opposition
des linken Flügels das Banner des Friedens hoch zu halten.
Weil sich Yossi Sarid dem Anti-Arafat-Chor mit dem Slogan angeschlossen hat:
"es gibt keinen auf palästinensischer Seite, mit dem man verhandeln kann".
-- Wegen ihres Boykotts der konsequenten Friedenskräfte und ihrer klaren
Botschaften.
-- Wegen der Eliminierung des Wortes "Frieden" bei ihrer Wahlkampagne.
Weil sie eine Ein-Mann-Partei geworden ist und jede interne Debatte
abgewürgt hat.
Eine Niederlage stellt nicht immer eine Katastrophe dar, und
ein Sieg ist nicht immer ein Segen. Die Geschichte ist voller Beispiele von
Völkern, die eine Niederlage in Segen verwandelt haben. Sie hatten den Mut,
Schlüsse zu ziehen, die Ursachen zu beseitigen, sich selbst zu
rehabilitieren und in die Arena mit erneuerter Kraft zurückzukehren. Die
Geschichte hat auch eine Menge Beispiele, in denen siegestrunkene Nationen
schnell degenerierten und beim nächsten Test kläglich versagten (z.B.: vom
Sechs-Tage-Krieg zum Yom Kippur-Krieg).
Der gewaltige Schlag, der Labor (Awodah, Arbeitspartei) und Meretz getroffen
hat, muss sie bis in ihre Fundamente erschüttern und den Entschluss
hervorbringen, sich zu ändern und sich von Grund auf, neu zu orientieren.
Unter all den Führern von Labor ist es nur Mitzna, der dazu fähig ist. Er
muss seinen Anteil von Verantwortung für die Niederlage tragen. Sein Anteil
jedoch ist gering. Er betrat das Kampfgetümmel nur zögerlich. Nachdem er
anfangs eine scharfumrissene und kraftvolle Botschaft ausgerichtet hatte,
war er damit einverstanden, sie zu verwässern. Anstelle eines
Trompetenschalls für den Frieden, kam das Gewinsel mit "Trennung" und
Zäunen.
Was wäre geschehen, wenn Mitzna sich mit Arafat in dessen zerschossenem Büro
auf der Höhe des Wahlkampfes getroffen hätte? Wenn die beiden herausgekommen
wären mit einem Aufruf an die Völker Israels und Palästinas, zu dem Weg
Rabins zurückzukehren; wenn ein klares und detailliertes Friedensangebot als
Alternative zu Sharons Botschaft von Blut und Zerstörung aufgestellt worden
wäre?
Vielleicht hätte nicht einmal dies jetzt den Sieg gebracht. Aber die
Niederlage, falls sie gekommen wäre, würde ganz anders aussehen - eine Wunde
der Ehre und nicht der Schande.
All dies trifft auf Meretz noch mehr zu. Sarid und seine Lakaien müssen
gehen - eine neue Führung muss an ihre Stelle treten.
Meretz’ einzige Chance der Rehabilitation und der Rückkehr in die Arena
liegt darin, ein radikales Friedensprogramm aufzunehmen und mit dem
nationalistischen Konsens zu brechen. Wenn es ihre Reihen dem wirklichen
Friedenslager öffnet, interne, freie Debatten fördert und gleichzeitig eine
kühne und klare soziale Botschaft bringt, gibt es Hoffnung. Ansonsten: Gott
sei ihrer Seele gnädig!
Alle Gedanken über eine "nationale Einheitsregierung" müssen
tief, tief im Boden vergraben werden. Auch dann, wenn es einen Krieg mit dem
Irak gibt. Sogar wenn eine Katastrophe, irgend eine Katastrophe,
hereinbricht.
Das dringendste Gebot ist, Sharon zu zwingen, zu guter Letzt nackt
dazustehen - ohne die Tarnung von Peres, ohne den Putz von Labor.
Er muss gezwungen werden, eine nationalistisch-orthodoxe Koalition des
rechten Flügels aufzustellen, eine, die seine wirklichen Pläne und Taten
reflektiert. Keine Lügen mehr über seine Bereitschaft, einen
"palästinensischen Staat" zu akzeptieren, keine geheuchelten Übereinkommen
über amerikanische "Road-Maps", keine weiteren Tricks und Gags. Er muss
gezwungen werden, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen, damit der
Öffentlichkeit die Konsequenzen bewusst werden: das Blutvergießen, der
Mangel an Sicherheit, die wirtschaftliche Katastrophe und der soziale
Zusammenbruch.
Dann, wenn -- wie erwartet -- die nationalistisch-orthodoxe Regierung vom
rechten Flügel zusammenbrechen wird, wird das Volk zu guter Letzt in der
Lage sein, zwischen den beiden Alternativen zu wählen: den Weg des Friedens
und soziale Gerechtigkeit auf der einen - und den Weg des Krieges und der
Verzweiflung auf der andern Seite.
Die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten ist der Kern der Demokratie. Eine
nationale Einheitsregierung ist das Gegenteil von Demokratie. Auch dies muss
klar ausgesprochen werden.
Das Friedenslager hat eine Niederlage erlitten. Diese kann in Gutes, einen
Segen verwandelt werden.
Eine neue Morgendämmerung beginnt am Horizont. Und heute ist der erste Tag
der nächsten Schlacht für die Zukunft Israels.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom
Verfasser autorisiert)
erstellt am 31.01.2003
hagalil.com 04-02-2003 |