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Zur jüngsten Affäre in Israel:
"O Tannenbaum, o Tannenbaum..."

Uri Avnery

"O Tannenbaum, o Tannenbaum
Wie treu sind deine Blätter,
Du grünst nicht nur zur Sommerszeit,
nein, auch im Winter, wenn es schneit
o Tannenbaum, o Tannenbaum…"
(Ein altes deutsches Weihnachtslied)

Es ist schon ein wohl installiertes israelisches Ritual: man nimmt eine triviale Angelegenheit, und erklärt sie zum Mittelpunkt des nationalen Lebens, dekoriert sie und tanzt um sie herum, um den wirklichen nationalen Problemen, die so ärgerlich und erschreckend sind, auszuweichen.

Dieses Mal ist es wirklich eine Tanne; ein Herr mit Namen Elhanan Tannenbaum. Er war ein Gefangener der Hisbollah im Libanon. Um ihn und die Leichen von drei gefallenen israelischen Soldaten nach Hause zu bringen, entließ Ariel Sharon ein paar Hundert "Terroristen" . Seitdem ist das ganze Land in Aufruhr, einen Tag nach dem anderen und eine Woche nach der anderen.

Warum hat Sharon diesen Deal gemacht? In dieser Woche lüftete sich das Geheimnis: Dieser Tannenbaum ist der frühere Schwiegersohn von jemandem, der mit Sharon vor 30 Jahren Geschäfte gemacht hatte, als ein amerikanisch jüdischer Milliardär einem armen Offizier mit Namen Ariel Sharon half, die größte private Farm des Landes zu erwerben. Hat Sharon hunderte von "Terroristen" entlassen, um einem ehemaligen Schwiegersohn eines ehemaligen Geschäftsmannes beizustehen? Ist das ein Riesenskandal? Ein schrecklicher Fall von Korruption?

Sogar, wenn es so wäre, kann ich nur mit zwei hebräischen Wörtern antworten, die man buchstäblich folgendermaßen übersetzen kann "die Freude meiner Großmutter" oder auf amerikanisch "big deal".

Wie gewöhnlich stellen die Medien nicht die richtigen Fragen; denn die richtigen Fragen könnten einige bedeutsame Leute stören - zum Beispiel die Sicherheitschefs. Dieser Tannenbaum ist nämlich ein Oberst der Reserve. In dieser Stellung war er an einem der geheimsten Militärprojekte Israels beteiligt. Nach durchgesickerten Hinweisen sei dieses Projekt nicht weniger geheim als unsere nuklearen Aktivitäten (s. Mordechai Vanunu unten!)

Nun verlautet, dass Tannenbaum in seinem zivilen Leben ein professioneller Gauner, ein zwanghafter Glückspieler mit einem unregelmäßigen Familienleben sei, der tief in Schulden stecke und eng mit libanesischen Drogenhändlern verbunden sei. Wie war es nur möglich, dass so eine Person ein Teil eines streng geheimen Projektes wurde?

Nun, keiner wusste, was er tat. Keiner fragte nach. Er erwähnte nichts gegenüber dem Chef des inneren Geheimdienstes des Verteidigungsestablishments, einem gewissen Yehiel Horew. Und wenn es Horew niemand sagt, woher sollte er es wissen? Als Tannenbaum nach Dubai ging und sich dann im Hisbollahland Libanon befand, war das Sicherheitsestablishment bis in seine Fundamente erschüttert. Eine Person, die so überwältigende Geheimnisse mit sich trägt – nun in den Händen des Feindes. Was hat er ihnen erzählt – und was wird er ihnen noch sagen? Deswegen war das Sicherheitsestablishment bereit, jeden Preis zu zahlen, um ihn so schnell wie möglich zurück zu haben: 50 "Terroristen"? 500 "Terroristen"? 5000 "Terroristen"? Ganz egal, wie viele. Die Hauptsache ist, dass er möglichst sofort zurückkommt.

Das ist verständlich. Wenn Tannenbaum erzählt hätte, was er weiß, hätte er der nationalen Sicherheit "irreparablen Schaden" zugefügt. (wie offizielle Stellen betonen). In solch einem Fall wäre es wesentlich, herauszufinden, ob er aus der Schule geplaudert hat oder nicht. Deshalb wurde er zu solch hohem Preis zurückgeholt und seitdem wird in seinem Fall vermittelt, er wird untersucht und untersucht. Der frühere Schwiegersohn des früheren Freundes kommt nicht vor. Die Verbindung macht zwar neugierig, ist aber nicht wichtig.

Eine wichtigere Frage ist: wie konnte eine Person wie Tannenbaum Oberst werden? Wie ineffizient muss ein Sicherheitsapparat sein, dass so ein Fiasko möglich wird? Und wie kommt es, dass Horew, einer der am besten bezahlten Beamten in Israel, nicht hinausgeschmissen wird?

Außerdem: wenn Hunderte von "Terroristen" für einen lebenden Gauner und drei tote Soldaten entlassen werden können, vielleicht war dann ihre Haft für die Sicherheit des Staates gar nicht wirklich nötig? Vielleicht ist die andauernde Verhaftung von 7000 weiteren sinnlos. Und wenn es so ist, warum wurden sie nicht um der Sache des Friedens willen entlassen, um die Position von Arafat 1993 oder die von Abu Mazen vor noch nicht langer Zeit zu stärken ? Horew und Co. ärgern sich über Tannenbaum, weil er ihre Inkompetenz enthüllt hat. Sie ärgern sich auch über Mordechai Vanunu – aus demselben Grund.

Vanunu war ein kleiner Techniker im Dimona Nuklearreaktor, einem Ort, der für lange Zeit so geheim war, dass es verboten war, auch nur seine Existenz zu erwähnen. Als es unmöglich wurde, seine Existenz noch länger zu leugnen, gab die Regierung vor, dass es sich um eine "Textilfabrik" handle. An diesem Ort, dem am besten geschütztesten Ort Israels, machte Vanunu Photos. Dann ging er ins Ausland, wurde Buddhist, konvertierte zum Christentum ( oder umgekehrt) und überreichte seine Informationen und Photos einer britischen Zeitung. Auf Grund dieser Information stellten Wissenschaftler fest, dass Israel 200 Atombomben hat. Die Enthüllung war glaubwürdig, aber inoffiziell. Das stärkte Israels Abschreckung – ohne dass die Regierung gezwungen worden wäre, dies zu bestätigen. Das passte der Regierung anfangs so gut, dass viele Leute glaubten, dass Vanunu wirklich ein Mossadagent sei.

Aber er war es nicht. Im Gegenteil. Er stellte für den damaligen wie auch heutigen Sicherheitsapparat (vom oben erwähnten Horew geleitet) einen katastrophalen Fehlschlag dar. Die Reaktion war drastisch: Vanunu wurde in Rom gekidnappt und in einer Kiste nach Israel gebracht – genau wie Tannenbaum in Dubai gekidnappt wurde und (anscheinend) auch in einer Kiste nach Beirut gebracht wurde. Vanunu gelang es, dies den Medien zu übermitteln, indem er dies auf seine Handfläche schrieb und auf dem Weg zum Gerichtshof seine Hand am Fenster des Gefängniswagens zeigte.

Dies machte Horew und Co. noch wütender. Jahre lang wurde Vanunu im Gefängnis in totaler Einzelhaft gehalten. Jetzt, wo er seine komplette Haft abgebüßt hat, will man ihn nicht entlassen. Und wenn der Gerichtshof nicht zustimmt, ihn im Gefängnis zu halten, so wollen sie ihn doch daran hindern, ins Ausland zu gehen und vor Journalisten zu sprechen.

Warum? Das Argument ist, dass er sogar heute – nach 20 Jahren - noch immer im Besitz von Informationen wäre, die den Staat gefährden könnten.

Übrigens gibt es ein ähnliches Argument, das von den amerikanischen Sicherheitsdiensten angewendet wird und weshalb sie sich weigern, Jonathan Pollard zu entlassen, der für Israel spioniert und eine lebenslange Gefängnisstrafe erhalten hat. Sie glauben, dass Pollard die Identität eines israelischen "Maulwurfes" in den höchsten Rängen der amerikanischen Regierung kennt, der Pollard gesagt habe, welche Dokumente er stehlen und nach Israel bringen solle.

Tannenbaum, Vanunu, Pollard – all diese sind intrigierende Geschichten, die für die Medien nützlich sind, um sie in Bewegung zu halten. Und was noch wichtiger ist, sie ziehen die Aufmerksamkeit von den wirklichen Gefahren, die uns bedrohen, ab: vom Bau des monströsen Mauerbaus in den besetzten Gebieten, Sharons Plan, mehr als die Hälfte der Westbank zu annektieren, die weitergehende Bemühung, die palästinensische Behörde zu zerstören, die tägliche blutige Gewaltspirale mit den gezielten Tötungen, Ermordungen, Racheakten und die Zerstörung aller Chancen für den Frieden.

Wer denkt noch darüber nach? Wer beschäftigt sich noch damit? Es ist viel erfreulicher, um den Baum zu tanzen: "O, Tannenbaum, o, Tannenbaum..."

(Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
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