Jüdisches Leben in EuropaMit der Hilfe des Himmels

Promises - endlich auf Video!


 

Vor allem – die Mauer muss fallen!

Abu Mazen zeigte bei seinem Besuch in den USA Präsident Bush den Plan der Mauer. Bush war geschockt. Er schwenkte die Karte vor dem Vizepräsidenten Dick Cheney und rief aus: „Was ist dies? Wo ist der palästinensische Staat?“

Uri Avnery

Der Slogan „First of all – the Wall must fall!“ war spontan entstanden, als wir gegenüber der Mauer in Kalkilija standen, an der Stelle, wo sie zum Sperrzaun wird und nach Osten weitergeht, bis tief hinein in palästinensisches Gebiet. Auf der andern Seite der Mauer demonstrierten die Palästinenser. Wir suchten nach einem griffigen Reim, den wir durchs Megaphon rufen konnten. Gemeinsam fanden wir die sieben Worte, die die ganze Botschaft in sich tragen.

Freilich ist das nicht die Mauer von Jericho, die mit Trompetenschall zerstört werden konnte. Die Leute, die dieses Hindernis bauen, wollen, dass es für alle Ewigkeit besteht, genauso wie das „vereinigte“ Jerusalem die „ewige Hauptstadt Israels“ ist. Die israelische Rechte hat keine Vorstellung einer Zeitepoche, die weniger ist als Ewigkeit. Aber auch unter den israelischen Linken sind Leute, die glauben, dass die Mauer eine „nicht umkehrbare“ Situation schaffe.
Nicht ich. Denn ich erinnere mich an andere „nicht umkehrbare“ Situationen und auch an andere „Ewigkeiten“.

Unsere Mauer wird häufig mit der Berliner Mauer verglichen – optisch und politisch betrachtet, ist das ein vernünftiger Vergleich. Nicht nur weil die „Berliner Mauer“ eine urbane Monstrosität war. Sie war ein Abschnitt des deutschen Teils des Eisernen Vorhangs, der Deutschland in zwei Teile teilte, und der sich im Norden von der Ostsee bis an die tschechische Grenze im Süden erstreckte, beinahe 1000 km – etwa so wie die geplante Länge von Sharons Monster.

Auch in Deutschland war sie ein großes Hindernis, eine Kombination von Mauern und Zäunen, Wachtürmen und Schießanlagen, „Todeszonen“ und Patrouillenwegen. Sie teilte das Land, zerstörte die Landschaft und trennte Eltern von ihren Kindern. Ein Furcht erregendes Monster, das Ekel und Abscheu erregt, ein Symbol für Macht und Endgültigkeit.

Ganz besonders Endgültigkeit. Jeder, der die Mauer sah, empfand, dass dies in der deutschen Geschichte ein Punkt ohne Rückkehr war, dass die Trennung ewig war, dass es keinen Sinn hatte, gegen sie anzukämpfen.
Tatsächlich gründeten ernsthafte Politiker ihre Politik auf die Permanenz der Mauer. Linke wie Rechte fanden sich mit dieser Tatsache ab. Kein ernsthafter Kommentator stellte sie in Frage. Die Situation war „irreversibel“.

Und dann - eines Tages - geschah es eben wie ein vollkommen nicht vorauszusehender Vulkanausbruch.
Die schreckliche Mauer verschwand - fast wie von alleine. Ein kommunistischer Minister versprach sich, die Polizei zögerte einen Augenblick lang, eine Menschenmenge versammelte sich – und das „Unumkehrbare“ wurde ausgesprochen „umkehrbar“. Die Situation hatte sich geändert - so wie die schrecklichen Ungeheuer der Dinosaurier von der Erde verschwanden.

(Kurze Zeit vor dem Mauerfall fuhr ich von Westdeutschland nach Berlin. Ich musste eine DDR-Grenzstation passieren. Die Vopos mit versteinerten Gesichtern gaben grobe Befehle:
„Ihren Pass! Setzen Sie sich! Warten Sie!“ Kein „bitte! Danke! Entschuldigen Sie!“ So wie die Nazis in Hollywoodfilmen. Die gleiche Uniform, die gleiche Schirmmütze. Das gleiche Benehmen, alles genauso.
Ein paar Tage nach dem Mauerfall passierte ich die Grenze wieder. Dieselben Polizisten standen da, aber sie waren nicht wiederzuerkennen. Sie hatten ein breites Lächeln aufgesetzt, unbegrenzte Höflichkeit: „Bitte, Herr Avnery! Danke, Herr Avnery! Würden Sie, bitte,...! Nur einen Augenblick!“ Offensichtlich sind nicht nur Mauern eine veränderbare Größe, sondern auch die Menschen.)

Da gibt es natürlich einen bedeutenden Unterschied zwischen der deutschen und der israelischen Mauer. Ostdeutschland hatte eine Grenze, die durch ein internationales Abkommen (zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten) festgelegt war. Die Mauer war ganz auf dieser Grenzlinie gebaut worden. Ihr Verlauf war selbstverständlich. Aber hier gibt es kein Abkommen, keine Grenze, kein selbstverständlicher Verlauf. Alles wird von anonymen Planern bestimmt.
Man kann sie sich gut vorstellen, wie sie in ihren Büros mit Klimaanlage vor den ausgebreiteten Landkarten sitzen. Eine sehr spezielle Landkarte, weil sie nur jüdische Siedlungen und die (dazu gehörenden) sog. Umgehungsstraßen zeigt. Die palästinensischen Städte und Dörfer erscheinen überhaupt nicht, als ob die ethnische Reinigung, die so viele in Israel (auch in der Sharon-Regierung) herbeiwünschen, schon geschehen sei.

Was macht die Mauer so speziell: sie ist unmenschlich. Die Planer haben die Existenz der (nicht-jüdischen) Menschen vollkommen ignoriert. Sie berücksichtigen die Hügel und Täler, die Siedlungen und Umgehungsstraßen. Doch ignorieren sie total palästinensische Stadtteile und Dörfer, ihre Einwohner und ihre Felder. Als ob sie nicht existieren.

Und so steht die Mauer zwischen den Kindern und ihrer Schule, zwischen den Studenten und ihrer Universität, zwischen Patienten und ihrem Arzt, zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Dörfern und ihren Brunnen, zwischen den Bauern und ihren Feldern. Wie ein riesiger, gepanzerter Bulldozer, der krachend durch ein Dorf rollt und alles, was auf seinem Weg liegt, ohne zu zögern, zermalmt und zerstört. So zerschneidet die Mauer Tausende von dünnen Fäden, aus denen das Gefüge des täglichen Lebens der Menschen besteht, so als ob sie nicht da wären.

Für die Planer existiert dieses Leben einfach nicht. Das Land hat keine Nicht-Juden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts handeln sie entsprechend dem zionistischen Slogan, der Ende des 19.Jahrhunderts kursierte: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land.“

Tatsächlich wurzelt die Idee der Mauer tief im zionistischen Bewusstsein und hat es schon von Anfang an begleitet. In seinem Buch „Der Judenstaat“, das die moderne zionistische Bewegung ins Leben rief, hatte Theodor Herzl bereits geschrieben: „Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Mehr als hundert Jahre später drückt Sharons Mauer genau diese Zielsetzung aus. Außenseiter werden dies nicht verstehen.

Yasser Arafat erzählte mir in der vergangenen Woche, dass Abu Mazen bei seinem Besuch kürzlich in den USA Präsident Bush den Plan dieser Mauer gezeigt habe. Bush war geschockt. Er schwenkte die Karte vor dem Vizepräsidenten Dick Cheney und rief aus: „Was ist dies? Wo ist der palästinensische Staat?“

Allein durch seine Existenz scheint die Mauer Macht auszudrücken. Sie verkündet: „Wir sind mächtig. Wir können tun, was wir wollen. Wir werden die Palästinenser in kleine Enklaven einsperren und sie von der Welt abschneiden.“ Aber das ist nur Schein. In Wirklichkeit drückt die Mauer alte jüdische Ängste aus. Im Mittelalter umgaben sich die Juden mit Mauern, um sich sicherer zu fühlen – lange bevor sie gezwungen waren, in Ghettos zu leben.

Ein Staat, der sich selbst mit einer Mauer umgibt, ist nichts anderes als ein Ghetto-Staat. Ein starkes Ghetto, natürlich, ein bewaffnetes Ghetto, ein Ghetto, das jeden in der Nachbarschaft in Angst und Schrecken versetzt, aber – trotz allem ein Ghetto, das sich nur hinter Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen sicher fühlt.

Wir können keinen Frieden erreichen, bevor wir nicht die Ghettomentalität überwunden haben.
Und vor allem – die Mauer muss fallen!

(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
uri-avnery.de / avnery-news.co.il
To discus this article: hagalil.com/forum

hagalil.com 31-08-2003

Books


DE-Titel
US-Titel

Refusenik Watch,
Refuse
Gush Shalom
New Profile
Shalom achshav
Taayush

Copyright: hagalil.com / 1995...

haGalil onLine