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Wozu hat man Freunde?
Uri Avnery
Sharons Wahlkampagne begann wie der Triumphmarsch eines römischen Kaisers,
der von einer siegreichen Schlacht zurückgekehrt ist. Der Herrscher stand in
seinem Wagen und nahm die tosenden Heilrufe entgegen, während die aneinander
geketteten Gefangenen (die Führer von Labour) hinterher schlurften.
Der Marsch geriet aber in eine Schlammgrube, und mit jedem Schritt versank
er tiefer.
Es begann mit den Vorwahlen in der Likud. Sie wurden auf reiner
Geschäftsbasis geführt. Nachdem die öffentlichen Meinungsumfragen ein
Drittel der 120 Knessetsitze dem Likud versprachen, lohnte es sich, Geld zu
investieren. Die Politiker zahlten den Stimmen-Händlern, von denen einige
als Kriminelle bekannt waren. Sie gewannen mehr als hundert tausend „neue
Mitglieder“. Diese staffierten das 3000 Mann starke Zentralkomitee aus. Die
neu gewählten Komiteemitglieder verkauften ihre Stimmen an die
Meistbietenden unter den verschiedenen Kandidaten für die
Likud-Knessetliste. Reine Geschäftemacherei.
All dies wäre ganz ruhig verlaufen, wenn nicht die direkte Verbindung
von einigen der Kandidaten zum organisierten Verbrechen offenbar geworden
wäre. Ein Skandal brach aus; die Polizei wurde gezwungen, mit einer
Untersuchung zu beginnen.
Während der Aufregung über die Rolle des organisierten Verbrechens in der
Regierungspartei, wurde ein noch ernster zu nehmendes Phänomen übersehen:
unter den Kandidaten, die im Begriff waren, in die neue Knesset einzutreten,
ist ein früherer ranghoher Geheimdienstoffizier, der mit bloßen Händen einen
gefesselten Palästinenser getötet hat, in dem er mit einem Stein gegen
dessen Kopf schlug. Zu jener Zeit wurde ihm schnell eine Begnadigung des
Präsidenten zugesprochen. Der begehrte Platz auf der Likudliste wurde ihm
hauptsächlich wegen seiner Heldentat vermacht.
Der höchste Listenplatz ging an Tsakhi Hanegbi, der zu Beginn seiner
politischen Laufbahn dafür bekannt wurde, dass er gegen die arabischen
Studenten des Campus der Tel Aviver Universität Pogrome organisierte. Um
Stimmen für sich zu gewinnen, veröffentlichte er eine Liste mit 80
Likudfunktionären, denen er eine Arbeitsstelle im Umweltministerium besorgt
hatte.
Die Ernennung von Parteischreiberlingen auf Positionen des öffentlichen
Dienstes und in regierungseigenen Körperschaften ist eine krasse Verletzung
des öffentlichen Vertrauens. Nicht nur, dass diese Funktionäre vom Geld der
Steuerzahler leben, die Ernennung von Parteigenossen, anstelle von
qualifizierten Experten, beeinträchtigt das öffentliche Interesse gewaltig.
(Es war nicht zufällig, dass Hanegbi einen solch hohen Platz auf der
Parteiliste erhielt. Vor ein paar Jahren fragte die Likud-Ministerin für
Bildung und Erziehung die 3000 Mitglieder des Zentralkomitees: „Sind wir
deshalb zur Macht gekommen, um Arbeitsplätze für die Parteimitglieder zu
verteilen?“ Ihre rhetorische Frage wurde mit einem lautschallenden „Ja!“
beantwortet.)
Die Liste der Likudwahl begann zu stinken. Aber die treuen Parteimitglieder
konnten sich wenigstens mit dem Gedanken trösten, dass an der Spitze der
Liste ein ehrenhafter und einwandfreier Ritter stand.
Bis zur vergangenen Woche - als ein Skandal rund um Ariel Sharon selbst
explodierte.
Es begann mit der Enthüllung eines offiziellen Dokumentes: eine Anfrage des
israelischen Justizministeriums, damit die Südafrikanische Regierung das
Verhör eines südafrikanischen Millionärs erlaubt, das einen kriminellen
Verdacht gegenüber Ariel Sharon betrifft. Wer hat da gemauschelt? Einige
verdächtigen das Außenministerium, das jetzt von Binyamin Netanyahu, Sharons
erbittertstem Rivalen, geleitet wird.
Kurz die Geschichte: während der letzten Wahlen erhielt Sharon eine große,
illegale Spende von einer geheimnisumwitterten Gesellschaft, deren Inhaber
unbekannt war.
Der staatliche Rechnungsprüfer forderte von Sharon die Rückgabe des Geldes.
Er war gezwungen, dies zu tun, sonst hätte er den vierfachen Betrag als
Strafe zahlen müssen. Wunderbarerweise erhielt er einen großen Kredit von
einer geheimnisvollen Quelle. Er behauptete, dass er dies Geld von einem
südafrikanischen Millionär erhalten hätte. Aber alles geschah auf
undurchsichtige und verdächtige Weise. Das Geld erreichte ihn auf Umwegen
über verschiedene Länder. Der südafrikanische Millionär selbst weigerte
sich, darüber zu reden und verhielt sich so, als ob er ein Verbrechen
begangen hätte. Als Sharon darüber von der Polizei befragt wurde, schob er
die Verantwortung auf seine beiden Söhne, Omer und Gilad und beantwortete
die Fragen mit „Ich weiß von nichts“ und „Ich bin nicht sicher“. Als ob
irgend jemand glauben könnte, dass er nicht vor dem Verhör seine Söhne
befragt hätte.
Man sollte den Hintergrund kennen, um die Geschichte zu verstehen. Es ist
nicht das erste Mal, dass Leute, die über Beziehungen zwischen Sharon und
jüdischen Millionären aus verschiedenen Ländern Bescheid wussten, sich
veranlasst sahen, die Augenbrauen hochzuziehen - aber diese Dinge wurden nie
publik gemacht.
Als es Sharon 1973 klar wurde, dass er nie zum Generalsstabschef ernannt
werden würde, trat er aus dem Militär aus. Innerhalb weniger Monate wurde er
Besitzer der größten privaten Farm des Landes. Ein Generalmajor erhält ein
ansehnliches Gehalt (mehr als ein Kabinettsminister), aber wie erwirbt man
auf diese Weise eine große Farm? Im hebräischen Umgangston werden solche
Fragen mit „Wozu hat man denn Freunde?“ beantwortet.
Einer von Sharons besten Freunden ist der amerikanische ehemalig israelische
Milliardär Meshulam Riklis, der es Sharon ermöglichte, die Farm zu erwerben.
Riklis ist auch der Patron des jüdisch-amerikanischen, ehemalig israelischen
Milliardärs, Aryeh Genger, der nun als Sharons inoffizieller Botschafter im
Weißen Haus agiert. Gengers Rechtsberater in Israel ist Dov Weisglass, nun
Sharons Kabinettschef. Der südafrikanische Millionär, der im Augenblick bei
Sharons Skandal eine zentrale Rolle spielt, ist Cyril Kern, der 1948 beim
IDF diente. Alle diese Millionäre kennen einander.
In dieser Woche war gar nicht klar, welcher der Millionäre Sharon das Geld
gab (etwa 1,5 Millionen Dollar) und wer nur als Tarnung diente. Wo ist die
wirkliche Quelle des Geldes? Ist sie schwarz oder weiß? Je mehr Sharon
leugnet, desto größer wird der Verdacht.
Die Verbindung zwischen israelischen Generälen und jüdischen Millionären im
Ausland ist an sich schon eine besondere Aufmerksamkeit heischende
Angelegenheit. Es ist ein zweigleisiges Geschäft: die Generäle erhalten
großzügige Unterstützung von Millionären, den Millionären verleiht es Würde.
Gewöhnlich sind es Millionäre, die nach Anerkennung lechzen und die glauben,
dass ihnen nicht genügend gebührende Ehre von der nichtjüdischen
Gesellschaft ihres Landes zuteil wird. Bei jeder Gelegenheit erwähnen sie
„Mein Freund, der General“, haben die Fotos von ihm und sich bei
Staatsempfängen dabei, laden ihn zu sich ein und sind auch seine Gäste. Als
General Ezer Weitzman Präsident von Israel war, wurde bekannt, dass er viele
Jahre lang von einem freundlichen Millionär unterstützt wurde. Er war nicht
der einzige General, dem von einem ihn bewundernden Millionär geholfen
wurde.
Die Bewunderung der Millionäre für Generäle ist echt. Einige von ihnen
schämen sich der Tatsache, dass sie aus Israel ausgewandert sind, ohne in
der Armee gedient zu haben. Es ist ein Tatbestand, der damals als Schande
betrachtet wurde. Yitzak Rabin gab ihnen einen hebräischen Titel, den man am
besten mit „Abfall von Feiglingen“ übersetzen könnte. Sie glauben, dass ihre
Nähe zu israelischen Kriegshelden ihnen die verlorene Ehre zurückgibt.
Aber die Nähe zu den Generälen ist nicht nur eine Sache der Ehre. Wenn die
Generäle Minister im israelischen Kabinett werden, wird von ihnen erwartet,
dass sie zu ihren großzügigen Wohltätern auch großzügig sind. Die Tatsache,
dass Genger im Weißem Haus als Sharons Vertrauter empfangen wird, verletzt
seinen finanziellen Status in den USA nicht. Es veranlasst die Behörden in
Haifa auch nicht, sein von Unfällen verfolgtes Chemieunternehmen aus der
dicht bevölkerten Haifabucht zu entfernen, wo es - nach Meinung von Experten
- das Leben von Tausenden gefährdet. Die Freundschaft mit dem
Ministerpräsidenten hat einem Industrie- oder Finanzkapitän noch nie
geschadet.
All das ist nichts Neues. Was neu ist, ist das grelle Licht, das plötzlich
die dunkle Ecke beleuchtet. Die Verbindung zwischen einigen Likudführern und
dem organisierten Verbrechen wird mehr und mehr entlarvt, und der
persönliche Skandal, in den Sharon verwickelt ist und der täglich Neues
enthüllt, kann das erreichen, was die Intifada, das Blutvergießen, die
wirtschaftliche Krisis und der soziale Zusammenbruch nicht erreichten: die
Basis der Likudregierung untergraben. Die Partei ist bei Meinungsumfragen
schon von 37 auf 27 Sitze gefallen.
Eine satirische Kolumne bot der Likud schon einen neuen Slogan an: „Die
ganze Welt ist gegen uns - außer der Unterwelt“.
Man könnte alles mit dem Zitat zusammenfassen, das vor 150 Jahren vom
britischen Staatsmann Lord Acton geprägt wurde: „Macht korrumpiert, und
absolute Macht korrumpiert absolut“. Wenige kennen den zweiten Teil von Lord
Actons Ermahnung: „Große Männer sind immer üble Männer“.
erstellt am 11.01.2003
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
uri-avnery.de
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hagalil.com 13-01-2003 |
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