Jüdisches Leben in EuropaMit der Hilfe des Himmels

Promises - endlich auf Video!


 

Sharons Ablenkungsmanöver:
Versuchsballons

Uri Avnery

Er macht es wieder, und er hat wieder Erfolg damit. Er lässt bunte Ballons fliegen. Und die ganze Welt schaut mit Entzücken und Bewunderung zu. Ariel Sharon benötigt Ablenkungsmanöver. Seine Popularität ist in den letzten Meinungsumfragen gesunken.

Die Genfer Initiative hat die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Polizeiverhöre wegen seiner Korruptionsaffäre sind wieder in die Schlagzeilen gelangt. Offiziere der Armee und der Sicherheitsdienste kritisierten ihn öffentlich. Er wurde der Unbeweglichkeit, des absichtlichen Hinauszögerns und eines fehlenden Planes beschuldigt. Also lässt er nun Versuchsballons los: "Einseitige Schritte!" Sensation! "In Zukunft werden wir nicht an allen Orten stehen, wo wir heute stehen." Schock! "Wir werden Siedlungen aufgeben!" Öffentlicher Sturm!

Er sandte Ehud Olmert in jede Talkshow, damit er sich die Seele aus dem Leibe rede und vor der schrecklichen Gefahr eines bi-nationalen Staates warne. Olmert erklärt, sein Plan sollte die Existenz eines "jüdischen Staates" absichern, dessen Bevölkerung zu 80% jüdisch sein werde. Da augenblicklich schon mehr als 78% der Bürger Israels jüdisch sind, würde das bedeuten, dicht besiedelte palästinensische Gebiete werden nicht annektiert. Aus Sharons Büro sickerte durch, Olmert gebe genau Sharons Ansicht wieder, und Sharon selbst werde nächste Woche in Herzlia ein sensationelles Statement in diesem Sinne abgeben.

Allgemeiner Aufruhr. Die Genfer Initiative ist fast vergessen. Alle Experten geben eifrig Spekulationen von sich: Was führt Sharon im Schilde? Was meint er damit? Was ist er im Begriff zu tun? Zwingt Bush ihn, "seine Flecken zu ändern"*?

Olmerts Wandel von einem gierigen Falken in eine gurrende Taube ist um so überzeugender geworden, als er - ganz zufällig - gleichzeitig von einer europäischen Forderung her gezwungen wurde, zuzustimmen, den "Ursprungsort" aller israelischen Exporte nach Europa genau anzugeben. Das bedeutet, die Produkte der Siedlungen zu blockieren. Die Siedler haben mit einer wütenden Kampagne gegen ihn begonnen. Sie überzogen die Wände Jerusalems mit Postern, die Olmert zeigen, wie er auf Siedlungsprodukte den gelben Stern mit dem Wort "Jude" - nach Nazimethode - befestigt. (Zusätzlich haben sie mein Bild auf die Poster gesetzt, nur um zu zeigen, wer die Fäden in der Hand hält.)

Jetzt ist es also klar: Olmert ist eine Taube, eine Reinkarnation des Propheten Elia, der (nach jüdischer Tradition) das Kommen Sharons, des Messias, ankündigt.
Die Führer der Labor-Partei sind schon dabei, die Plastikschutzhüllen ihrer Ministeranzüge zu entfernen. Sie glauben, Sharon werde sie jeden Augenblick auffordern, die Ministersitze anstelle des extrem rechten Flügels seiner Regierung einzunehmen. Shimon Peres ist im Begriff, seinen Traum zu erfüllen und noch einmal Minister zu werden.
Wer hätte dies geglaubt! Sharon ist der israelische De Gaulle – trotz allem! Der Frieden ist auf dem Vormarsch.
All dies wird vom alten amerikanischen Sprichwort bestätigt: Jeden Augenblick wird ein Troddel geboren.

Ich habe schon Dutzende Male gewarnt: achtet nicht auf das, was Sharon sagt; achtet auf das, was er tut. Seine Erklärungen haben keine Bedeutung. Sie dienen nur dazu, taktische Erfordernisse des Augenblicks zu erfüllen. Aber was er tut, ist von großer Bedeutung.

Und seine Aktionen sind ganz eindeutig. Der Mauerbau schreitet mit hektischer Geschwindigkeit voran. Nach Sharon’scher Tradition schafft er "neue Tatsachen auf dem Boden". Das palästinensische Land wird in kleine Stücke zerschnitten. Vor unsern Augen entstehen isolierte palästinensische Enklaven, jede ein Gefängnis. Und während die Armee einen unbewohnten Wohnwagen von einem "illegalen Hügel-Außenposten" entfernt, bemüht sich die Regierung mit allen erdenklichen Mitteln, die Siedlungen zu vergrößern.

Dies ist eine sehr nachdrückliche Aktivität, mit der die ganze Regierung vollauf zu tun hat. Nur eine Person, die auf dem Mond lebt und völlig abgeschnitten ist von dem, was in den besetzten Gebieten geschieht, kann behaupten, die Dinge seien "eingefroren". Nur jemand, der in der virtuellen Welt der Medien lebt, kann glauben, Sharon habe keinen Plan.

Er hat einen Plan, nämlich den, dem er seit Jahrzehnten folgt. Seine und Olmerts Statements widersprechen ihm nicht, im Gegenteil. Hier seine Grundprinzipien:

-- "Einseitige Schritte": Es wird kein Friedensabkommen mit den Palästinensern geben. Sie werden hinter den Mauern und Zäunen eingesperrt bleiben. Die Besatzung wird mit anderen Mitteln fortgeführt.
-- "Ein Staat mit 80% jüdischer Mehrheit": alle dünn besiedelten palästinensischen Gebiete werden annektiert. Das wird die Hälfte der Westbank (die frühere C-Zone) einschließen, alle Autobahnen, das ganze Jordantal, viele Olivenhaine und Felder der palästinensischen Dörfer (aber nicht die Dörfer selbst)
-- "Schmerzliche Konzessionen": Israel wird die palästinensischen Bevölkerungszentren aufgeben, die Städte, die palästinensischen Dörfer (die frühere A- und B-Zone) und den größten Teil des Gazastreifens. Alle Enklaven zusammen werden etwa 45% der Westbank ausmachen. Zusammen mit dem Gazastreifen werden es nur etwa 10-12% des ursprünglichen Landes von Palästina von vor 1948 sein.
-- "Ein palästinensischer Staat": Sharon ist bereit – und tatsächlich daran interessiert – dass diese Enklaven "Palästinensischer Staat" genannt werden. So wird Israel von jeder Verantwortung für die Bevölkerung befreit. Ob sie dann Hungers stirbt oder freiwillig irgendwo hingeht – umso besser – das ist ihr Problem.
-- "Siedlungen abbauen": Dutzende von kleinen Siedlungen- mitten in der palästinensischen Bevölkerung - werden in die Gebiete transferiert, die von Israel annektiert werden. Sie vergrößern so die jüdische Komponente.
-- "Der Terrorismus wird weitergehen": Dies wird den Krieg nicht beenden. Tatsächlich sind Sharon und seine Leute nicht daran interessiert, ihn zu beenden. So weit, wie es sie betrifft, kann er für immer weitergehen. Die Schuldigen sind natürlich immer die Palästinenser. Der Rückzug des Militärs wird das Leben für die Armee leichter machen, weil dann beträchtliche Kräfte zur Verteidigung isolierter Siedlungen nicht mehr nötig sind.

Das ist genau das Gegenteil der Genfer Initiative, die auf der Überzeugung beruht, ein Abkommen mit den Palästinensern könne erreicht werden. Es ist auch das Gegenteil der Road Map, der gegenüber beiderseits noch Lippenbekenntnisse gemacht werden, auch wenn man sie für einen launigen Einfall von Präsident Bush hält, den er selbst schon aufgegeben hat. Sharon hat sie – die Road Map – seinerzeit ja akzeptiert, aber mit 14 Vorbehalten, die sie ihres Inhaltes beraubten. Tatsächlich hat er nicht einen einzigen Schritt auf dem Weg dieser Road Map gemacht. (Auch die Palästinenser nicht.)
Der Friedensplan von Sharon und Olmert erklärt die Fortsetzung des Krieges gegen das palästinensische Volk. Dies ist eine Provokation gegenüber der USA und der Weltöffentlichkeit.

Wie weit wird er die öffentliche Meinung in Israel beeinflussen? Vielleicht wird er das wachsende Verlangen nach Frieden, das in der Genfer Initiative zum Ausdruck kam, in eine andere Bahn lenken. Sharon und Olmert spielen mit zwei starken Tendenzen in Israels Unterbewusstsein: a) die gegenüber Arabern rassistische Haltung, die die Ungläubigkeit, Frieden sei mit ihnen möglich, verursacht und b) dem Wunsch nach einem rein jüdischen Staat ohne Goyim (Nicht-Juden) im allgemeinen und Arabern im besonderen.

Einige sagen, die Sharon-Initiative sei nur Medienpropaganda. Nur noch eine von Sharons Äußerungen, die nichts mit der Realität zu tun haben. Aber jeder, der die weiterwachsenden Mauern und Zäune sieht, wird erfahren, dass eine neue Realität geschaffen worden ist.

*Nach dem biblischen Sprichwort: Der Leopard verändert seine Flecken nicht.

(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
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hagalil.com 16-12-2003

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