Wenn Scharon erklärt, die Reformierung der Palästinensischen
Autonomiebehörde sei Vorbedingung für die Wiederaufnahme des
Friedensprozesses, so ist dies ein Versuch überhaupt keine Verhandlungen
mehr aufnehmen zu müssen.
Diese Forderung als Vorbedingung für Verhandlungen erlaubt es Scharon,
ins gleiche Horn zu blasen wie US-Präsident Bush - der ja auch eine
demokratische Reformierung der palästinensischen Autonomiebehörde fordert,
etwas, was Bush von Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Pakistan
oder China nie verlangen würde.
Der 'Reform'-Slogan nützt Scharon noch in anderer Weise: er hält nämlich
die Öffentlichkeit beschäftigt, gibt ihr den Eindruck der Ball sei im
'gegnerischen Feld', die desolate Situation sei nicht in Israels Hand, die
Verantwortung liege einzig und allein bei den Palästinensern.
Zusätzlich verfolgt der 'Große Reformator' Palästinas mit seinem Vorgehen
noch weit entscheidendere Ziele. Als Armeegeneral kannte man Scharon nur als
den Kommandeur, der 'das Schlachtfeld zu lesen' versteht - soll heißen,
Scharon besaß die Fähigkeit, instinktiv die Achillesferse seines Feindes
bzw. seiner Front zu erspüren. Schon lange vor dem 'Jom-Kippur-Krieg' im
Oktober 1973 wußte Scharon, an welcher Stelle er die ägyptische Front
durchbrechen u. den Suez-Kanal überqueren würde.
Auf genau derselben Basis hat Scharon schon vor langer Zeit entschieden:
der kritischste Punkt in der Palästinenserfront ist ihr Präsident - Jassir
Arafat. Viele sind ja der Ansicht, Scharons Versuche, Arafat zu beseitigen,
rührten von dessen persönlichen Rachegelüsten - einer Art 'Vendetta',
nachdem ihm Arafat in Beirut durch die Lappen ging. In Wahrheit liegen die
Dinge noch viel ernster.
Scharon weiß: wenn es ihm gelingt, Arafat zu brechen, wird er damit
automatisch das Rückgrat des palästinensischen Volks brechen - auf viele,
viele Jahre hinaus; Jahre, in denen sich seine Arbeit vollenden ließe,
nämlich die 'Besetzten Gebiete' mit jüdischen Siedlungen vollzustopfen bzw.
diese Siedlungen Israel einzuverleiben.
Arafat ist ein starker Führer mit großer Autorität. Er schafft es, die
verschiedenen Fraktionen seines Volks zusammenzuhalten. Ohne ihn würde
zwischen den verschiedenen Gruppen vermutlich Bürgerkrieg ausbrechen. Und
Arafat ist auch der Einzige, der zu mutigen u. historischen Entscheidungen
fähig und in der Lage ist.
Sehr unterschiedliche Leute reden im Moment von einer Reformierung der
Palästinenserbehörde - wobei jede dieser Parteien damit ein anderes Ziel
verfolgt. Für Scharon hat 'Reformierung' nur die eine Bedeutung, nämlich
Arafat beseitigen um an seiner Stelle eine Gruppe von Quislingen zu
installieren, wie er es schon einmal, vor 20 Jahren, mit den sogenannten
'Dorf-Ligen' versucht hat.
Für Präsident Bush bedeutet 'Reform' die Einsetzung einer
Palästinenserführung, die nach seiner (und damit indirekt auch nach Israels)
Pfeife tanzt; im Gegenzug bekommen die Palästinenser dann einen abhängigen
Staat zugestanden - ähnlich wie Puerto Rico oder Andorra. Von dieser Lösung
hat früher auch schon Netanjahu gesprochen.
Auf palästinensischer Seite dagegen bedeutet 'Reform' folgende
unterschiedliche Dinge: Einige Palästinenser beabsichtigen damit ganz
einfach nur ihre Rivalen loszuwerden, um selbst deren Posten zu ergattern.
Ich kann mir denken, dass einige der eifrigsten Reformverfechter unter den
Palästinensern auf der Lohnliste des Mossad bzw. der CIA stehen.
Dann wäre da noch die Hamas zu nennen; sie erhofft sich von einer
Reformierung der Palästinenserbehörde deren totalen Kollaps - wobei sie dann
in die Presche springen u. das Vakuum ausfüllen will. Und es gibt auch noch
diejenigen Palästinenser, denen es wirklich und ehrlich um sofortige
Reformen geht - mit der Zielsetzung nämlich, ein geordnetes Staatswesen
herbeizuführen - was sie dabei jedoch übersehen, ist, dass die Palästinenser
sich ja noch mitten in einem Kampf befinden, in einem Existenzkampf ums
nackte Überleben - mit dem Damoklesschwert der endgültigen Landesvertreibung
nach wie vor über ihrem Haupt schwebend.
Aber es gibt auch noch die vielen Palästinenser, die eine ganz andere Art
von 'Reform' planen: eine Reform, die die parasitären Elemente, die sich an
die Palästinensische Autonomiebehörde angeheftet haben, einfach nur
abschüttelt, ohne diese selbst zu beschädigen und die das palästinensische
Volk so auf seinen nächsten und entscheidenden Schritt im Freiheitskampf
vorbereitet. Also nicht 'Reformen statt Weiterkämpfen' heißt deren Devise
vielmehr 'Reformen als Voraussetzung fürs Weiterkämpfen'. Diese
Palästinenser haben in keinster Weise vor, Scharons bzw. Bushs Plan in die
Tat umzusetzen - nämlich Arafat auszuschalten oder ihn in eine Art
präsidialen Grüßaugust umzuwandeln - einen rein repräsentativen
Staatspräsidenten, wie es etwa Moshe Katzav für Israel ist.