Uri Avnery
Vor anderthalb Jahren entschied sich eine kleine Gruppe Israelis, ein
Tabu zu brechen und das Problem der Kriegsverbrechen, zur Sprache zu
bringen. Bis dahin war es selbstverständlich, dass die israelische Armee
"die moralischste und humanste Armee der Welt" ist – so die offizielle
Redeweise - und deshalb kann sie solche Dinge nicht tun.
Die Gush Shalom-Bewegung (zu der ich gehöre), veranstaltete eine
öffentliche Tagung in Tel Aviv und lud eine Gruppe Professoren und Personen
der Öffentlichkeit ein, um darüber zu diskutieren, ob unsere Armee
Kriegsverbrechen begehe. Der Star des Abends war der Oberst Yigal Shohat,
ein Kriegsheld, der während des Yom-Kippur-Krieges über Ägypten abgeschossen
wurde. Ein hingebungsvoller ägyptischer Arzt amputierte sein Bein. Nach
seiner Rückkehr studierte er Medizin und wurde selbst Arzt.
Mit einer vor Bewegung zitternder Stimme las er laut einen persönlichen
Appell an seine Kameraden, die Piloten der Luftwaffe, vor und bat sie,
Befehle zu verweigern, über denen die "schwarze Flagge der Illegalität" weht
(ein Ausdruck, der vom Militärrichter im Zusammenhang mit dem Kafr
Kassem-Massaker vor Gericht (1957) geprägt wurde). Zum Beispiel Befehle,
über palästinensischen Wohngebieten Bomben abzuwerfen, um "gezielte
Tötungen" durchzuführen.
Die Rede verursachte ein großes Echo. Aber dem Armeekommando gelang es, den
"Schaden unter Kontrolle" zu halten. Der Luftwaffenkommandeur General Dan
Halutz, außer dem Generalstabschef Moshe Ya’alon vielleicht der extremste
Offizier, wurde gefragt, was er empfinde, wenn er über palästinensischem
Wohngebiet eine Bombe abwerfe. Er antwortete: "Ich spüre ein leichtes
Zittern in den Flügeln". Er fügte noch hinzu, dass er nach solch einem
Angriff "sehr gut schlafe".
Es schien so, als hätte sich Shohats Aufruf in dünne Luft aufgelöst – aber
nun erweist es sich, dass dem nicht so war. Die Saat ging langsam auf.
Besonders nachdem ein Pilot eine Ein-Tonnen-Bombe über einem Wohngebiet in
Gaza abgeworfen hatte, um einen Hamas-Führer zu treffen. Er tötete noch 17
andere, Männer, Frauen und Kinder, die sich in der Nähe befanden. Viele
Piloten kämpften seitdem mit ihrem Gewissen. Jetzt hat das Gewissen von 27
gewonnen.
Nach israelischer Mythologie sind die Kampfpiloten die Elite der Elite.
Viele von ihnen sind Kibbuzmitglieder, die früher als die Aristokratie
Israels angesehen wurden. Eser Weitzman, ein früherer Luftwaffenkommandeur,
prägte einst den Satz: "die besten Jungs fürs Fliegen" (und im typisch
machohaften Stil der Luftwaffe: "die besten Mädchen für die Flieger".)
Die Piloten werden von Jugend an dahin erzogen, zu glauben, wir hätten immer
recht und unsere Gegner seien üble Mörder; Armeekommandeure sich niemals
irrten, ein Befehl ein Befehl sei, und wir niemals die Frage Warum? stellen
sollten. Dass dieser Professionalismus wichtiger sei als alles andere; diese
Probleme innerhalb der Streitkräfte gelöst werden müssten und dass die
Autorität der politischen Führung nicht angezweifelt werde. Da existiert
eine ganze Mythologie über die Rolle, die die Luftwaffe bei den israelischen
Siegen in all unsern Kriegen gespielt habe: vom winzigen Piperflugzeug 1948,
der Zerstörung der ägyptischen Luftwaffe im Yom-Kippur-Krieg 1973 und so
weiter.
Die Luftwaffe nimmt natürlich keine Nonkonformisten auf. Die Kandidaten für
das Flugtraining werden sorgfältig geprüft. Das Militär wählt solide,
disziplinierte Jugendliche, auf die man sich verlassen kann, was den
Charakter und ihre Ansichten betreffen. Zionisten und Söhne von Zionisten.
Dazu kommt, dass die Luftwaffe ein Clan, eine Sekte, ist, deren Mitglieder
absolut loyal gegenüber der Luftstreitmacht und zu einander sind. Niemals
gab es öffentlichen Streit oder Anzeichen einer Meuterei innerhalb der
Luftwaffe.
All dies erklärt, warum die Piloten so lange mit sich selbst gekämpft haben,
bevor sie in sich die geistige Kraft fanden, solch einen außergewöhnlichen,
moralisch mutigen Schritt zu tun, den Brief zu veröffentlichen.
Die 27 Luftwaffenpiloten informierten ihre Kommandeure, dass sie sich von
jetzt an weigern würden, "unmoralische und illegale Befehle" auszuführen,
die den Tod von Zivilisten verursachten. Am Ende ihres Statements griffen
sie die Besetzung an, die Israel korrumpiert und seine Sicherheit gefährdet.
Der ranghöchste Offizier unter den Unterzeichnern ist Generalmajor Yiftah
Spector, der auch eine lebende Legende ist. Er ist der Sohn von einem "der
23 Männer im Boot", einer Gruppe, die während des 2. Weltkrieges in den
Libanon gesandt wurde, um die Erdölinstallationen zu zerstören (damals unter
der französischen Pro-Nazi Vichy–Kontrolle). Man hat nie wieder etwas von
ihr gehört. Yiftah Spector war der Ausbilder von vielen der heutigen
Kommandeure der Luftstreitkräfte. Im Ganzen wurde das Statement von einem
General, zwei Obersten, neun Oberstleutnanten, acht Majoren und sieben
Flugkapitänen unterzeichnet.
So etwas hat sich nie zuvor in Israel ereignet. Wegen der besonderen Rolle
der Luftstreitkräfte hat diese Verweigerung ein viel lauteres Echo gefunden
als die Verweigerungsbewegung der Infanteriesoldaten, die etwa 500 Soldaten
umfasst und sich dann bis heute so gehalten hat.
Das Armee-Establishment, die wirkliche Regierung Israels, spürt die Gefahr
und reagierte, wie sie nie zuvor reagiert hat. Es begann mit einer wilden
Kampagne der Diffamierung, der Hetze und des Rufmordes. Die Helden von
gestern wurden über Nacht zu Volksfeinden. Alle Teile der Regierung – vom
Ex-Präsidenten Eser Weitzman bis zum Staatsanwalt (der schon ein Auge auf
den Sitz im Obersten Gericht geworfen hat), vom Außenminister bis zu den
Politikern der Labour- und Meretz-Partei – wurden aktiviert, um die Meuterei
der Piloten zu brechen.
Der Gegenangriff wurde von den Medien angeführt. Niemals zuvor haben diese
ihr wahres Gesicht so deutlich gezeigt wie dieses Mal. Alle Fernseh-Kanäle,
alle Radiostationen und alle Zeitungen – ohne Ausnahme! – offenbarten sich
als Diener und Sprecher des Armeekommandos. Auch die liberale Ha’aretz
widmete ihre Titelseite einem wilden Angriff auf die Piloten, ohne einem
anderen Gesichtspunkt Raum zu geben.
Es war unmöglich, eine Fernsehsendung anzuschalten, ohne dem
Luftwaffenkommandeur zu begegnen und nach ihm einer langen Reihe von
Persönlichkeiten des Establishments, die einer nach dem anderen die Piloten
verurteilten. Armeelager wurden für die Fotografen geöffnet, loyale
Offiziere verurteilten ihre Kameraden als "Verräter", die "ein Messer in
ihren Rücken gestochen hätten". Außer einem einzigen Interview auf Kanal 2
wurde den Verweigerern nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Standpunkt zu
vertreten und gegenüber ihren Verleumdern Rede und Antwort zu stehen.
Zweifellos ist das Establishment besorgt. Vielleicht gelingt es ihm dieses
Mal noch, die Ausbreitung des Protestes zu verhindern und andere potentielle
Meuterer abzuschrecken, indem sie Furcht, erzeugen, diffamieren und mit
Strafen drohen. Die Botschaft der 27 aber kann nicht mehr ausradiert werden.
Dieser Einsatz der Flieger hat dem Staat Israel mehr gedient als irgendeiner
der Hunderte von Einsätzen im Laufe ihres Militärdienstes. Eines Tages wird
Israel erkennen, was sie diesen tapferen 27 zu verdanken hat.