Blick zurück:
PeReZ ist nicht PeReS
Uri Avnery
unterstreicht noch einmal die Chancen der Awodah mit Amir Peretz
Anm.: Peretz wurde inzwischen zum Vorsitzenden der Awodah gewählt, und
Peres hat die Partei verlassen
„So sagte der Herr: wegen drei oder vier Frevel der
Laborpartei will ich sie nicht schonen....“ Wenn der Prophet Amos heute
leben würde, begänne eines der Kapitel seines Buches wahrscheinlich mit
diesen Worten.
Aber die Frevel dieser Partei seit dem Sechstage-Krieg von 1967 sind mehr
als nur drei oder vier. Sie könnten mehrere Kapitel im Buch des Propheten
von Tekoa füllen. Hier ist eine unvollständige Liste:
- - Unmittelbar nach dem 1967er-Krieg versäumte der
Labor Ministerpräsident Levy Eshkol die historische Gelegenheit, den
Palästinensern die Gelegenheit zu geben, ihren Staat zu gründen und
Frieden zu machen (wie ich es ihm bei einem privaten Gespräch und in
einem offenen Brief damals vorschlug.) Die eroberten Gebiete waren ihm
wichtiger als der Frieden.
- - 1974 ließ Shimon Peres die erste Siedlung mitten in
der Westbank errichten: Kedumim, die Siedlung, die ihre
palästinensischen Nachbarn bis zum heutigen Tag terrorisiert.
- - In den frühen 70ern ignorierte die
Labor-Ministerpräsidentin Golda Meir die Friedensouvertüren des
ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat. 2000 israelische junge Menschen
zahlten dafür mit ihrem Leben, zusammen mit Tausenden von Ägyptern. Sie
war es auch, die erklärte: „So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt
es nicht.“
- - 1982 unterstützten Peres und Yitzhak Rabin den
Überfall Menachem Begins und Ariel Sharons auf den Libanon und ein Jahr
später die törichte Entscheidung, eine „Sicherheitszone“ zu errichten,
die den Krieg um weitere 27 Jahre verlängerte. Zur selben Zeit wurde die
Besatzung der palästinensischen Gebiete brutaler und die Zahl der
Siedlungen wuchs, was zum Ausbruch der ersten Intifada führte.
- - Nachdem Rabin und Peres schließlich aus der
Intifada den Schluss zogen, die palästinensische Befreiungsorganisation
anzuerkennen und die Oslo-Abkommen zu akzeptieren, verletzten sie sie,
indem sie die versprochenen „sicheren Passagen“ zwischen dem
Gazastreifen und der Westbank nicht eröffneten und den dritten und
wichtigsten Rückzug nicht ausführten. Die Errichtung von neuen
Siedlungen ging weiter.
- - Um seine Wahl nach Rabins Mord abzusichern, begann
Peres 1996 einen kleinen Krieg im Libanon, der mit dem Blutbad an etwa
100 Flüchtlingen in Kana endete. Er war es auch, der den Mord des
„Ingenieurs“ Yikhye Ayash genehmigte. Wie man hätte voraussehen können,
war eine Reihe von Selbstmordattentaten und die Wahlniederlage von Peres
die Folge davon.
- - Nachdem Yasser Arafat sich weigerte, beim
Camp-David-Gipfel das Ultimatum des Labor- Ministerpräsidenten Ehud
Barak anzunehmen, erklärte Barak, dass die Palästinenser Israel
zerstören wollten und dass es „keinen gibt, mit dem man verhandeln
kann“. Das Ergebnis war der Kollaps des israelischen Friedenslagers, die
Niederlage der Laborpartei und Sharons Aufstieg zur Macht.
- - Während all dieser Jahre trieb die Partei eine
Wirtschaftspolitik, die die Kluft zwischen den Reichen und Armen
vertiefte, die Histadrut-Arbeiter-Gewerkschaft fast zerstörte und so
eine soziale Zeitbombe schuf, die jederzeit explodieren kann.
Der Hauptverantwortliche dieser Richtung war Shimon Peres,
dessen Geist seit Jahrzehnten über der Partei schwebt. In dieser Woche will
er wieder als Parteivorsitzender gewählt werden. Der einzige wirkliche
Gegenkandidat, der dies verhindern könnte, wäre der Histadrut-Vorsitzende
Amir Peretz.
Einer der Hauptvorzüge von Peretz ist der letzte Buchstabe seines Namens im
Hebräischen: Peretz ist nicht Peres.
Es wird gesagt, dass die Laborpartei in einem Zustand der Stagnation sei.
Das ist ein Understatement. Sie ist in einem fortgeschrittenen Zustand der
Auflösung.
Man mag wohl fragen: was hat das mit einer Person wie mir zu tun, die
niemals ein Mitglied der Laborpartei gewesen ist und auch niemals ein
solches sein wird? Es hat eine Menge mit mir zu tun. Weil die beiden großen
Parteien – Labor und Likud – die Pfeiler eines parlamentarischen
Parteisystems sind, die Basis der israelischen Demokratie. Das Wegbrechen
des einen – geschweige denn beider - Pfeiler ohne wirklichen Ersatz,
unterminiert die Fundamente einer demokratischen Existenz. Es kommen damit
schreckliche Erinnerungen an den Kollaps der Weimarer Republik in
Deutschland hoch.
Seit fast fünf Jahren ist die Laborpartei in Geiselhaft von Shimon Peres.
Unter seiner Führung hat sie jeden Rest einer unabhängigen Weltsicht
verloren.
Als Sharon zur Macht kam, wurde Peres sein weltweiter Propagandist und
Pressesprecher. Bis dahin assoziierte die Welt Sharon mit dem Massaker in
Kibiya von 1953, dem Angriff auf den Libanon 1982 und dem Sabra und
Shatila-Massaker. Es war Shimon Peres, der Friedensnobelpreisträger, der für
Sharon weltweite Akzeptanz als verantwortlicher Staatsmann erreicht hat.
Nach dem halb-komischen Intermezzo, die Regierung aus Wahlgründen zu
verlassen, lieferte Peres seiner Partei noch einmal eine Sharon-Regierung,
bei der sie der Hauptunterstützer des „Siedlungsabzugs“ aus dem Gazastreifen
wurde. Er stellte keine Bedingungen: weder dass der Rückzug in Absprache mit
den Palästinensern geschehen solle und auch nicht, dass der Rückzug zu
Verhandlungen über einen Abzug auch aus der Westbank führen sollte.
Wir sehen nun das Ergebnis: der Gazastreifen wurde zu einem großen
Gefängnis, die Besatzung dort geht mit andern Mitteln weiter (Isolierung von
der Westbank und der ganzen Welt), die Lebensbedingungen sind noch
schlechter geworden (wer dachte, dass dies möglich sei?). Die Folge davon:
das Blutvergießen geht weiter und wird wahrscheinlich noch schlimmer werden.
Wir sehen und lesen jeden Tag, wie die Laborpartei es Sharon ermöglicht,
seinen Plan auszuführen: 58 % der Westbank zu annektieren, den Rest zu von
einander getrennten Enklaven entstehen zu lassen, die Trennungsmauer zu
bauen, (die eine Erfindung von Labor ist), die große Teile der Westbank an
Israel anfügt. Die Straßensperren. Die Erweiterung der Siedlungen mit
rasender Geschwindigkeit. Die Auflösung von „Außenposten“ steht nicht zur
Debatte. Die Ermordungen und Verhaftungen gehen weiter, auch nachdem die
Palästinenser eine Waffenpause erklärt haben – der sich anzuschließen,
Sharon ablehnt. Es gibt keine Friedensverhandlungen, und der
Verteidigungsminister erklärte, dass der Frieden „auf die nächste
Generation“ warten müsse. Ohne politische Erfolge erreicht zu haben, ist die
Position von Mahmoud Abbas unterminiert. So wird die gewünschte Situation
geschaffen, dass „es niemanden gibt, mit dem man verhandeln kann.“
Im sozialen Bereich vergrößert die Regierung mit Unterstützung von Labor den
Unterschied des Einkommens und verschlimmert die Armut. Wenn man diese
thatcheristische Politik näher betrachtet, gibt es keinen wirklichen
Unterschied zwischen Sharon, Netanyahu und Peres: nur leere Slogans.
Kein Wunder, dass die Partei in solch einer Situation selbst degeneriert.
Den Menschen reicht es, nicht nur mit Peres, sondern mit dem ganzen Haufen
von Politikern um ihn herum, ja sogar mit dem ganzen demokratischen System.
In der Partei ist kein Leben, keine Debatte, überhaupt keine Aktivität.
Die israelische Demokratie braucht eine Oppositionspartei mit einer
alternativen Weltsicht und entsprechender Politik. Die Labor-Partei wird es
nicht sein, solange Peres & Co sie erwürgen. Deshalb ist die Entfernung von
Peres aus der Parteiführung eine notwendige Vorbedingung für jede
Erneuerung. Es scheint, dass unter den augenblicklichen Umständen nur Amir
Peretz dies erreichen könnte.
Ich kenne Peretz nicht näher, und ich kann nicht beurteilen, ob er die
Fähigkeit hat, die Partei und die Nation zu führen. Aber er hat etliche
politische Vorteile, die kein anderer Parteiführer hat:
er hat eine klare soziale Agenda,
er ist konsequent für Frieden mit den Palästinensern;
er ist ein authentischer Vertreter der orientalischen Juden, ohne ein
„ethnischer“ Politiker zu sein.
Von ihm geht Aktivismus aus, er hat einen direkten Draht zu den Menschen und
hat seine Fähigkeit als Vorsitzender der Histadruth bewiesen. Nun muss ihm
eine Chance gegeben werden, den Test als Parteiführer und nationaler Führer
zu bestehen. Ich hoffe, es gelingt ihm.
Aber selbst, wenn er sich als Laborführer als Enttäuschung herausstellen
sollte, wird ein Sieg von ihm bei den Partei-Vorwahlen ein Segen sein. Eine
Interimsperiode unter Peretz würde das Terrain von den gescheiterten alten
Politikern reinigen und die Tore für neue, junge Kräfte öffnen und der
Partei die Fähigkeit geben, als kämpfende Opposition zurückzukehren.
Übrigens: Peretz bedeutet im Hebräischen „Durchbruch“.
(Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
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hagalil.com 01-12-2005 |