Shimon Peres Geburtstagsfeier:
Die albernste Schau in der Stadt
Uri Avnery
Shimon Peres feiert. Shimon Peres? Die ganze Welt feiert mit ihm. Was
hat er denn zu feiern? Nun, er hat das Alter von 80 Jahren erreicht. Ein
respektables Alter. Ich gönne es ihm. (denn ich selbst bin jetzt achtzig
geworden – und ich hatte gerade auch eine Geburtstagsfeier.)
Wenn man 80 Jahre alt geworden ist, ist es üblich, einige Freunde
einzuladen. So lud auch Peres ein paar Kumpel ein. Zum Beispiel Bill Clinton
und Mikhail Gorbachow, Frederik de Klerk und Joschka Fischer, die
Ministerpräsidenten von Slowenien, Deutschland und Malta, den von der
Elfenbeinküste nicht zu vergessen, ein paar Milliardäre, eine Auswahl von
Ministern verschiedener Länder, einige Schauspieler und Sänger und den
Holocaustisten * Claude Lanzman.
Diplomatie, Unterhaltung und der Holocaust, eine geschmackvolle Mischung.
Ein ganzes Luxushotel war für 400 erlesene Gäste gebucht worden. 1200
Polizisten wurden in Bewegung gesetzt, Straßen zweier Städte geschlossen.
Ausgezeichnet. Wie der Triumph eines siegreichen römischen Kaisers, der aus
dem Krieg heimkehrt.
Und das ist die seltsame Seite.
Was hatte er eigentlich zu feiern?
Er ist der Vorsitzende der Labourpartei. Die Labourpartei liegt aber in
Trümmern. Sie hat aufgehört, eine funktionierende Partei zu sein. Ihre
Mitglieder spuken wie Geister in den Korridoren umher. Ihre Ortsgruppen ein
Trümmerfeld. Sie hat kein Programm, keinen Plan. Keiner weiß, was sie will.
Keiner weiß, wozu sie existiert. Falls sie tatsächlich noch existiert.
Es stimmt, Peres ist nicht allein für den Kollaps verantwortlich. Sein
Urheber ist Ehud Barak, der Meister der Katastrophe, der die historische
Lüge verbreitete, dass wir keinen Partner für den Frieden haben. Damit
bereitete er den Weg für Ariel Sharons Aufstieg zur Macht vor. Aber Shimon
Peres schloss sich Sharons Regierung an und war ihm gegenüber treu.
Er verbreitete in aller Welt den Mythos, dass Sharon ein Mann des
Friedens sei, bereitete ihm den Weg nach Washington und half mit bei allen
Gräueltaten: den "gezielten Tötungen", den Hauszerstörungen en masse, den
Vergrößerungen der Siedlungen in rasendem Tempo.
Nun hat die Labourpartei einen so miserablen Zustand erreicht, dass
Sharon nicht einmal daran interessiert ist, sie als Juniorpartner in seiner
Regierung zu haben. Wozu braucht er sie denn noch? Er hat nun Tommy Lapid.
Da gibt es kaum einen erbärmlicheren Anblick als eine verbrauchte Hure, die
keiner mehr haben will.
Seitdem Peres in Ermangelung eines anderen zum Vorsitzenden der Partei
ernannt wurde – kein anderer glaubwürdiger Kandidat stand bereit – hat sie
eine Atmosphäre wie auf dem Friedhof. Kein Hauch frischer (oder irgendeiner)
Luft erreicht sie. Nichts geschieht. Von Zeit zu Zeit widmet ein TV-Kanal
einer Parteitagung ein paar Minuten, einfach aus Mitleid oder aus
Schadenfreude.
Shimon Peres hat keine Zeit, sich mit der Partei zu befassen, weil er mit
der Party beschäftigt ist. Das ist ein Full-Time-Job mit Überstunden.
Es ist auch eine Katastrophe. Das Verschwinden der Arbeiterpartei hat ein
schwarzes Loch im politischen System hinterlassen. Keine Demokratie kann
ohne eine effiziente und kämpferische Opposition funktionieren. Wenn die
Regierung von einer Person wie Ariel Sharon geleitet wird, die Israel in
eine vorhersehbare Katastrophe führt, dann ist die Abwesenheit einer
Opposition ein nationales Verbrechen.
Peres denkt nicht so: "Wozu benötigen wir eine Opposition?" fragte er
kürzlich in einem seiner unzähligen Interviews in den Medien. Und
tatsächlich wozu? Schließlich verbirgt Peres seinen Wunsch nach einem
Regierungssitz nicht, egal, in welcher Regierung, sogar (oder besonders) in
einer Regierung unter Ariel Sharon.
Und warum nicht? Was ist der große Unterschied zwischen Sharon und Peres,
abgesehen von Sharons Charisma und Peres Rekord an Misserfolgen? Ist Peres
gegen die Ermordung der palästinensischen Führer? Nein. Ist er gegen die
"Beseitigung" von Yasser Arafat? In einem seiner Interviews sprach er sich
schwach dagegen aus, aber er bringt seine Partei nicht dazu, gegen diese
sich nähernde Katastrophe zu opponieren. Gegen die Zerstörung von Häusern?
Gegen das Entwurzeln der Bäume? Bestenfalls ein donnerndes Schweigen.
Peres ist in seiner langen Karriere alles gewesen. Er ist ein extremer
Falke gewesen und eine gurrende Taube. Er ist der Vater von Israels
Atombombe und (nach intensivem Lobbying) auch ein Friedensnobelpreisträger.
Er war einer der Hauptinitiatoren des Krieges 1956 – in Gemeinschaft mit den
beiden üblen Kolonialmächten jener Zeit, Frankreich und Britannien – und er
war ein Partner des Oslo-Abkommens. Er war der Vater der Siedlungen in der
Westbank und der Schöpfer des "Guten Zaunes" an der libanesischen Grenze. Er
war der Fürsprecher für den Einmarsch in den Libanon – und nur ein paar Tage
später war er der Hauptredner bei der Peace Now-Demonstration gegen ihn.
Er hat alles unterstützt. Zur einen Zeit erklärte er, dass Israel nicht
ein nah-östlicher sondern ein "Mittelmeerstaat" sei. Jahrelang befürwortete
er die "Jordanische Option" und ignorierte die Existenz des
palästinensischen Volkes. Dann schüttelte er die Hand Arafats und erfand den
"Neuen Nahen Osten". Und während all dieser Jahre hat er niemals eine Wahl
gewonnen.
Was bringt ihn jetzt dazu zu feiern? Shimon Peres trägt einen großen Teil
der Verantwortung für den elenden Zustand, in dem sich Israel jetzt
befindet, für den andauernden Konflikt mit den Palästinensern, für die
Zerstörung des israelischen Friedenslagers, für die Stärkung der
Likudregierung, für die Vorbereitung des Weges für Ariel Sharon, der nun
durchaus in der Lage ist, die Zerstörung Israels zustande zu bringen.
Auch in den Jahren des Niedergangs des Römischen Imperiums feierte man
für einen besiegten und gedemütigten General keinen Triumph. Nur in Israel.
Weil in Israel nichts so gut gelingt wie der Misserfolg.
*Ein von Uri Avnery - auch im Hebräischen - neu geschaffener Terminus für
jemanden, der den Holocaust zu seinem Beruf gemacht hat.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
uri-avnery.de /
avnery-news.co.il
22.03.03
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