Für unser geliebtes Land:
Die Patrioten, das sind wir!
Uri Avnery / [Hebrew]
Ein wichtiges Ereignis fand heute in Ramallah statt. Dreihundert
Persönlichkeiten, die Hälfte von ihnen Palästinenser, die andere Hälfte
Israelis, nahmen an der Gründungskonferenz der ersten völlig integrierten,
gemeinsamen Friedensorganisation teil: die Gemeinsame
Israelisch-Palästinensische Aktionsgruppe für Frieden. Dies folgte der
Veröffentlichung von vor zwei Monaten, als ein gemeinsames politisches
Statement von 1500 palästinensischen und israelischen Persönlichkeiten
unterschrieben worden war.
Die Armee versuchte zwar Israelis daran zu hindern, Ramallah zu erreichen,
einige mussten in der Hitze zwei Kilometer laufen, um die Kontrollpunkte zu
umgehen, aber die Gründung fand statt.
Ich wurde darum gebeten, eine der programmatischen Reden zu halten. Ich
möchte sie - in aller Bescheidenheit - hier ungekürzt veröffentlichen:
Liebe Freunde,
Wir, Israelis und Palästinenser, Palästinenser und Israelis, kommen heute
zusammen, um etwas völlig Neues zu schaffen: eine gemeinsame Aktionsgruppe
für Frieden.
Es geht nicht um einen Waffenstillstand (arab.: Hudna), nicht um einen
vorläufigen Kompromiss, nicht nur um einen weiteren kleinen Schritt in einem
endlosen Prozess der kleinen Schritte, sondern um einen wirklichen Frieden,
um einen gerechten Frieden, um einen Frieden mit Würde, um einen Frieden
zwischen Gleichberechtigten.
Was wir jetzt zu tun versuchen, ist etwas vollkommen Neues. Wir wollen nicht
noch einen neuen Rahmen für Zusammenarbeit zwischen Feinden aufbauen,
sondern eine vollkommen integrierte Aktionsgruppe; nicht eine israelische
Bewegung mit einem palästinensischen Anhängsel; auch nicht eine
palästinensische Bewegung mit einem israelischen Anhängsel. Sondern eine
Organisation, in der wir alle, Israelis genau so wie Palästinenser,
gleichwertige Partner sind, die durch eine gemeinsame Vision eines freien
Palästina und eines freien Israel vereint sind, um zusammen nebeneinander zu
leben.
Von all den Menschen, denen ich während des langen Kampfes um Frieden
begegnet bin, vermisse ich heute bei diesem Treffen besonders einen : Issam
Sartawi, der vor 20 Jahren ermordet wurde. Er würde hier sitzen. Er ist
mitten unter uns.
Sartawi war ein Patriot, ein Feday (ehemaliger bewaffneter
Freiheitskämpfer), der davon überzeugt war, dass es für das palästinensische
Volk nur einen Weg gebe, um sein nationales Ziel zu erreichen: die Herzen
des israelischen Volkes zu gewinnen. Auf dieselbe Weise - so glaube ich -
ist es für Israel der einzige Weg, um eine sichere und glückliche Zukunft zu
erleben: die Herzen des palästinensischen Volkes zu gewinnen.
Sartawi war davon überzeugt, dass die Schlacht um die öffentliche Meinung
Israels nicht nur eine unter vielen Aufgaben sei, sondern dass diese die
Hauptfront des palästinensischen Kampfes für die Befreiung darstelle. Auf
dieselbe Weise glaube ich, dass die Schlacht um Versöhnung und Gerechtigkeit
zusammen mit dem palästinensischen Volk die Hauptaufgabe jedes wirklichen
israelischen Patrioten darstellt. Und die wirklichen israelischen Patrioten,
das sind wir!
Als wir den Slogan „Zwei Staaten für zwei Völker“ schufen, meinten wir nicht
Trennung. Ganz sicher verstanden wir darunter nicht zwei Ghettos, die
nebeneinander leben, und jedes von hohen Mauern und elektrischen Zäunen
umgeben. Im Gegenteil - wir verstanden darunter nahe nachbarliche
Beziehungen, Zusammenarbeit, Partnerschaft, offene Grenzen, freie Bewegung
der Menschen.
Um unsere eigenen Völker davon zu überzeugen, dass dies möglich, dass dies
nicht nur ein Traum naiver Peaceniks (Friedenskämpfer) sei, müssen wir durch
unsere täglichen Aktivitäten beweisen, dass wir zusammenarbeiten und
zusammen mit einer Stimme reden können. Es ist eine Tragödie, dass in all
den Jahren - besonders seit Oslo - keine gemeinsame Friedensorganisation
entstanden ist.
Natürlich haben wir uns oft bei gemeinsamen Aktionen getroffen. Wir haben
viele gemeinsame Erinnerungen. Wir sind gemeinsam geschlagen worden, wir
haben gemeinsam Tränengasangriffe durchgemacht, wir haben viele Male
gemeinsam demonstriert. Aber niemals gab es das eine, was nötig gewesen
wäre: regelmäßige, systematische, andauernde gemeinsame Aktionen Tag um Tag,
Woche um Woche, Monat um Monat. Wir müssen jetzt diesen historischen Fehler
korrigieren, der ernste Konsequenzen für den Frieden gebracht hatte.
Wir
treffen uns in finsteren Zeiten. Selbstmordattentate, gezielte Tötungen, das
Töten von Frauen und Kindern ist zur täglichen Routine geworden. Auf beiden
Seiten leben die Menschen in einem Zustand der Angst, der Hoffnungslosigkeit
und der Apathie. Aber wir haben keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren.
Wenn wir auf die Jahrzehnte unseres Kampfes blicken, sehen wir eine stete
Vorwärtsbewegung in Richtung Frieden.
Da gab es Zeiten, in denen fast alle Israelis sogar die Existenz eines
palästinensischen Volkes leugneten. „So etwas wie ein palästinensisches Volk
gibt es nicht,“ sagte Golda Meir. Heute gibt es kaum einen Israeli, der dies
leugnet.
Vor vielen Jahren, als wir die Idee der zwei nebeneinander lebenden Staaten
hatten, waren wir auf beiden Seiten eine winzige Minorität. Heute wird dies
vom größten Teil der Israelis und Palästinenser akzeptiert - und die ganze
Welt unterstützt dies.
Vor
30 Jahren, als wir die ersten Kontakte mit der PLO knüpften, wurden wir als
Verräter betrachtet. Heute ist es die offizielle israelische Politik.
Vor sieben Jahren bei einer gemeinsamen Demonstration vor den Mauern
Jerusalems mit Feisal Husseini - würde er noch leben, säße er hier unter uns
- brachen wir ein israelisches Tabu und erklärten Jerusalem zur Hauptstadt
von zwei Staaten. Heute wird diese Idee allgemein anerkannt, sogar von
denen, die sie hassen.
Wir sind noch immer sehr weit vom Sieg entfernt. Viele Mühen und viel Leiden
liegen noch vor uns. Aber wenn wir zusammen handeln - mit Nachdruck und
Entschlossenheit - wird unsere Vision sich durchsetzen. Wir müssen der
Leuchtturm sein, dessen Licht die klare Richtung und den Weg anzeigt.
Was können wir nun praktisch tun?
Ich schlage folgende Aktionen vor: Gemeinsames Experten-Komitee aufstellen,
das innerhalb von drei Monaten den vollen Text für ein
israelisch-palästinensisches Friedensabkommen vorbereitet, das detaillierte
Lösungen für alle Probleme einschließt: die Grenzen, Jerusalem, die
Siedlungen, die Flüchtlinge, Sicherheit, Wasser, und dies der Öffentlichkeit
präsentiert und zeigt, dass solch ein Abkommen möglich ist.
Wenn einige Meinungsverschiedenheiten zurückbleiben, dann sollten wir dies
aufrichtig zugeben.
Ein gemeinsames „Komitee zur Wahrheitsfindung und Versöhnung“ nach dem
südafrikanischen Modell aufstellen, um die Geschichte der letzten 120 Jahre
zu überprüfen und ein wahres Bild dieser Geschichte errichten, das für beide
Völker annehmbar ist.
Sofort ein gemeinsames Pressebüro einrichten, das sich an Israelis,
Palästinenser und die Weltmedien wendet.
Einen gemeinsamen Operationsstab aufstellen, der öffentliche Kampagnen und
Demonstrationen plant.
Dies sind nur ein paar Ideen für die Diskussion heute. Ich bin sicher, dass
viele von Ihnen noch mehr haben. Lasst sie uns auf den Tisch legen!
Die Hauptsache ist, dass wir dies gemeinsam tun und ausführen, bis der
Frieden, nach dem wir uns alle sehnen, über dieses geliebte Land kommt.
Vor ein paar Wochen, als wir uns mit Yasser Arafat trafen, fragten ihn
Journalisten, wann der Frieden käme. Er sagte: „Wir beide, Uri Avnery und
ich, werden ihn noch erleben“. Arafat ist 74 Jahre alt und ich werde in
wenigen Wochen 80. Also machen wir uns dran.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
uri-avnery.de /
avnery-news.co.il
21.12.02
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hagalil.com/forum
hagalil.com 01-07-2003 |