Uri Avnery
Unmittelbar nachdem er die Armee verlassen
hatte, schuf Ariel Sharon die Likud-Partei. Es war 1973, als ihm bewusst
wurde, dass die obersten Militärs seine Ernennung zum Generalstabschef nicht
dulden würden.
Für die Schaffung des Likud hatte er ein
einfaches Rezept: alle vier Fraktionen der Rechten zu vereinen - Begins
Herut ("Freiheit")-Bewegung, die Liberale Partei, das "Freie Zentrum" und
die "Staatsliste".
Das war ziemlich lächerlich; denn Herut und
die Liberalen waren sowieso schon in einem Block vereint. Die beiden anderen
Fraktionen waren unbedeutende, kleine Gruppen. Die "Staatsliste" war ein
Überbleibsel der Partei, die von Ben Gurion gegründet wurde, nachdem ihn
Moshe Dayan und Shimon Peres verlassen und sich der Arbeiterpartei
angeschlossen hatten. Das "Freie Zentrum" war eine Splitterpartei, die von
Shmuel Tamir geführt wurde. Die große Vereinigung war also ein Schwindel –
und tatsächlich, keiner der Fraktionsführer mochte sie.
Sharon erzwang sie, indem er öffentlichen
Druck ausübte. Zu jener Zeit fragte ich ihn, welchen Sinn dieses Manöver
habe. Er erklärte mir die Logik: in der Öffentlichkeit muss der Eindruck
geweckt werden, dass der ganze rechte Flügel zusammen gekommen ist und nun
eine große politische Macht darstellt. Keiner sollte außen vor bleiben.
Deshalb müssen auch die beiden kleinen Fraktionen eingeschlossen werden. Mit
dem Einschluss der "Staatsliste", die ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung
hatte, war sein (Likuds) Wert noch größer geworden. Es könnte für frühere
Linke ein Alibi sein, sich der Rechten anzuschließen.
Der Trick war erfolgreich. Nur vier Jahre
später kam die Rechte an die Macht – das 1.Mal nach der Gründung des Staates
Israels vor 19 Jahren.
Unglücklicherweise gibt es heute bei den
Linken niemanden, der nach einem ähnlichen Rezept handeln würde. Im
israelischen politischen System gibt es eine weit klaffende Lücke, wo
eigentlich die Linke sein sollte. Die Zukunft Israels kann von dieser wie in
einem schwarzen Loch verschluckt werden.
Was wir im Augenblick erleben, ist eine
erschreckende Imbalance. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die
israelische Linke nach drei Jahren Betäubung und Verzweiflung aufzuwachen
beginnt. Dutzende kleiner Anzeichen machen sichtbar, dass das Friedenslager
wieder an Boden gewinnt. Auch auf sozialem Gebiet kommen linke Tendenzen an
die Oberfläche. Der Widerstand gegen Sharons Politik der Unterdrückung und
des Siedlungsbaus erhält neue Triebkraft, zusammen mit dem Widerstand gegen
Netanyahus Angriff auf den Wohlfahrtsstaat. Da gibt es eine Chance – noch
schwach aber trotz allem real – für einen historischen Wandel. Aber
diese Chance kann nicht Wirklichkeit werden, wenn es keine politische Macht
gibt, die in der Lage ist, sie zu realisieren.
Die Arbeiterpartei ist ein Ruinenfeld mit
Straßenkötern, die sich um Reste balgen. Selbst die Bemühung, Amir Peretz,
den Führer des Gewerkschaftsbundes, in den Pferch zurückzuholen, trifft auf
hoffnungslosen Widerstand von Parteifunktionären, die fürchten, ihren Platz
an der leeren Schüssel zu verlieren. Die Meretz-Partei vegetiert seit den
Wahlen in einer Stimmung von Depression und Selbstmitleid, was sich auf dem
gequälten Gesicht von Yossi Sarid widerspiegelt. Der andere Yossi (Beilin),
der Initiator der "Genfer Abmachungen", träumt von einer neuen
"Sozialdemokratischen Partei", die eine Neuauflage der elitären
Ashkenazi-Gruppe wäre. Es scheint, dass es unter seinen potentiellen
Gründern eine Übereinstimmung über nur eine Sache gibt: wer nicht
aufgenommen wird.
Das ist der große Unterschied zwischen der
Rechten und der Linken. Die macht-hungrige Rechte begreift, wie wichtig die
Einheit ist. Auch wenn sich die Fraktionen unter einander hassen, sind sie
bereit zu kooperieren. Um an der Macht zu bleiben, sind "moderate" Rechte
auch bereit, zusammen mit dem faschistischen Rand zu marschieren.
Auf dem linken Flügel ist genau das Gegenteil
der Fall. Jede Gruppe ist fürchterlich über die Fraktion links von ihr
erschrocken. Der rechte Flügel der Arbeiterpartei hat Angst vor deren linkem
Flügel. Der linke Flügel fürchtet sich vor Meretz. Meretz hat Angst vor
Yossi Beilin, der von Amram Mitzna und seinen linken Genossen aus der
Labourpartei verstoßen wurde, dem aber kein sicherer Platz auf der
Meretz-Liste angeboten wurde. Meretz fürchtet sich vor Peace Now (Frieden
jetzt) und Peace Now fürchtet sich vor Gush Shalom und den
israelisch-arabischen Fraktionen.
Warum nur diese Angst? Jede linke Gruppe sorgt
sich, nicht patriotisch genug auszusehen. Jeder sagt: "Schaut auf uns! Wir
sind die Nationalisten! Wir sind Zionisten! Wir sind Patrioten! Wir sind
nicht so wie die neben uns, die keine Nationalisten, keine Zionisten und
keine Patrioten sind!"
Nach dem Mord an Yitzhak Rabin, entstand eine
neue linke Bewegung. Sie nannte sich "Eine ganze Generation verlangt
Frieden". Sie wurde vom Sohn des Ermordeten, von Yuval Rabin angeführt. Die
meiste Energie widmete sie der Aufgabe, die Leute daran zu hindern, sie mit
Peace Now zu verwechseln.
Ich erinnere mich an folgende Episode. Peace
Now hatte ein paar Zelte in Ras-al-Amud aufgestellt, um gegen den Bau eines
neuen jüdischen Stadtteiles mitten in einem arabischen Stadtteil
Ost-Jerusalems zu protestieren. Nur wenige Meter davon entfernt hatte Gush
Shalom seine Zelte aufgebaut. Die Leute von Peace Now ignorierten die
Gegenwart der Gush-Aktivisten. Am 2. Tag erschien Yuval Rabin an der Spitze
einer "Ganze Generation"-Parade. Sie behandelten die Peace Now Leute, als
wären sie Luft. (Die "Ganze Generation"- Bewegung ist seitdem verschwunden)
Wenn die Linke ihre Komplexe nicht überwindet,
gibt es keine Chance, für einen Regierungswechsel. Ein uneiniger linker
Flügel, dem die Führung, das Selbstvertrauen und ein klares nationales und
soziales Programm fehlt, wird am Wahltag nicht die Unterstützung der
Mehrheit haben, auch dann nicht, wenn die öffentliche Meinung sich
verändert.
Eine große linke Partei wäre dringend nötig,
in der alle politischen und ideologischen Gruppierungen Platz fänden: von
den Bewunderern Ehud Baraks (falls es die gibt) bis zu den Bewunderern von
Yossy Beilin, von moderaten Sozialdemokraten bis zur radikalen Linken. Ihr
kleinster gemeinsamer Nenner sollte "Zwei Staaten für zwei Völker" sein.
Lassen wir doch hundert ideologische Blumen blühen! Lassen wir doch eine
lebhafte Debatte zu! Lassen wir eine politische Kraft entstehen, die mächtig
genug ist.
Wenn die Arbeiterpartei diese Mission erfüllen
kann – umso besser – die Fusion mit der Gewerkschaftspartei "Ein Volk"
könnte ein erster Schritt sein. Wenn nicht, dann müsste es zu einer neuen
Partei kommen, nach Sharons Rezept von 1973.
Es wäre wunderbar, wenn es auf der Linken eine
charismatische, politische Persönlichkeit gäbe, die, diesen Prozess
einzuleiten, fähig wäre. Leider gibt es im Augenblick niemanden. In
Ermangelung einer solchen müsste eine kollektive Führung aufgestellt werden.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Die linke
Öffentlichkeit und auch einige Rechte wachen aus der alles lähmenden
Verzweiflung auf und sind bereit, dem zu folgen, der sie zur Fahne ruft. Der
Staat braucht einen Wechsel, bevor die Katastrophe hereinbricht. Wenn die
Linke diese Gelegenheit versäumt, wird ihr die Geschichte dies nicht
vergeben.