Der konvexe Spiegel:
Weitere Gedanken zum Krieg (4)
Uri Avnery
Lies die Bibel. Man sagt, dass George W. Bush ein tief religiöser
Mensch sei. So sei es auch mit seinem Gefolgsmann Tony Blair. Es ist nur
schade, dass sie nicht noch mehr in der Bibel lesen. Einen der schönsten
hebräischen Sätze kann man im 1.Buch der Könige im 20.Kapite l (V.11)finden:
Als der König von Syrien Israel angriff, rühmte er sich seiner mächtigen
Armee und forderte Israel auf, sich zu ergeben. König Ahab antwortete mit
vier hebräischen Worten von bleibender Gültigkeit - hier in deutscher
Übersetzung: "Wer sich das Schwert umgürtet, soll sich nicht rühmen, als ob
er es schon wieder abgelegt hätte" ( aktuell ausgedrückt:" Wer hoch gerüstet
in den Krieg zieht, sollte nicht so tun, als hätte er ihn schon gewonnen".
Übers.)
Rückwirkende Terroristen. Nun müssen Schulbücher in vielen Sprachen neu
geschrieben werden. In den alten Büchern steht, dass im 2. Weltkrieg die
Männer und Frauen des französischen Widerstands Helden waren. Diese
Zivilisten gingen nachts hinaus, um deutsche Züge zu sprengen, deutsche
Soldaten zu töten und Kollaborateure umzubringen. Die Instruktionen kamen
aus London. Sie wussten, wenn sie gefangen genommen werden, würden sie
grausamen Folterungen ausgesetzt werden und zu Tode kommen. In Dutzenden von
amerikanischen und britischen Filmen wird ein Loblied auf sie gesungen. Die
russischen Partisanen - ihr Slogan war: "Tod den Invasoren!" - machten das
Leben der deutschen Soldaten zur Hölle. Die Partisanen wurden in Scharen
aufgehängt. Die ursprünglichen Guerillas - für die das spanische Wort
"kleiner Krieg" geprägt wurde - griffen Napoleons Soldaten an. Goya machte
sie in einem herrlichen Bild unsterblich. Einer ganzen Generation
israelischer Kinder hat man beigebracht, die Kämpfer von Irgun und der
Sterngruppe, natürlich alles Zivilisten, zu bewundern; sie jagten
Einrichtungen der britischen Armee in die Luft und töteten ihre / deren
????? Soldaten. Nun sieht es so aus, als ob sie alle gemeine Terroristen
gewesen wären.
Presstitution Im Mittelalter waren Armeen von einer großen Anzahl von
Prostituierten begleitet. Im Irakkrieg werden die amerikanischen und
britischen Armeen von einer großen Anzahl von Journalisten begleitet. Ich
prägte die hebräische Entsprechung "Presstitution" (zusammengesetzt aus:
Presse+Prostitution), als ich Herausgeber eines israelischen
Nachrichtenmagazins war, um die Journalisten, die die Medien in Huren
verwandelten, zu bezeichnen. Ärzte sind durch den Eid des Hippokrates
verpflichtet, so weit als möglich Leben zu retten. Journalisten sind auf
Grund ihrer beruflichen Ehre daran gebunden, die Wahrheit zu sagen, wie sie
sie sehen.
Niemals zuvor haben so viele Journalisten ihre Aufgabe verraten wie in
diesem Krieg. Ihre Ursünde war ihr Einverständnis, sich in die
Armee-Einheiten "einbetten" zu lassen. Dieser amerikanische Ausdruck klingt
wie "ins Bett gelegt werden" und genau das ist es, was es in Praxis ist. Ein
Journalist, der sich in das Bett einer Armee-Einheit legt, wird freiwillig
zum Sklaven. Er ist an den Stab des Kommandeurs gebunden, wird an die
Stellen geführt, an denen der Kommandeur interessiert ist, sieht das, was
der Kommandeur zu sehen wünscht, wird von Orten ferngehalten, die er nicht
sehen soll, hört das, was man möchte, dass er hören soll und hört nicht, was
die Armee nicht wünscht, dass er es hört. Er ist schlimmer als ein
offizieller Armeesprecher, weil er behauptet, ein unabhängiger
Berichterstatter zu sein.
Das Problem ist nicht, dass er nur ein kleines Stück vom gewaltigen
Mosaik des Krieges sieht, sondern dass er eine verlogene Sicht dieses
Stückes vermittelt. Während des Falkland- und des 1. Golfkrieges war es
Journalisten einfach nicht erlaubt, das Kampfgebiet zu erreichen. Es
scheint, dass ein kluger Mitarbeiter des Pentagon eine Idee hatte: "Warum
sollen wir sie draußen halten? Lassen wir sie doch hinein. Es wird ihnen
gesagt, was sie schreiben und senden sollen - sie werden wie junge Hunde aus
unsrer Hand fressen."
Scham. Seit meinem 19.Lebensjahr bin ich Journalist. Ich war immer stolz
darauf. Unzählige Male schrieb ich auf Formularen: Beruf: Journalist.
Ich schäme mich, wenn ich eine große Gruppe von Journalisten aus aller Welt
sehe, die vor einem Viel-Sterne General sitzen, eifrig einem sogenannten
"Briefing" zuhören und nicht die einfachsten, relevanten Fragen stellen. Und
wenn ein mutiger Reporter aufsteht und eine echte Frage stellt, protestiert
keiner, wenn der General mit banalen Propagandaslogans reagiert, statt eine
wirkliche Antwort zu geben.
Erinnern wir uns an die virtuelle Kapitulation der 51. irakischen Division?
An den Aufstand der Bewohner von Basra, der niemals stattfand? An die 1001
anderen Lügen, die vom Winde verweht wurden? Wo waren die Journalisten, als
all dies geschah?
Fast alle journalistischen Berichte dieses Krieges sind wie Bilder in einem
gekrümmten Spiegel, verzerrt und verlogen. Deshalb ein Lob für die wenigen,
die wie Peter Arnett bereit sind, auf dem Altar der Wahrheit ihre berufliche
Karriere zu opfern.
Am Boden des Fasses. Ich schäme mich, ein Journalist zu sein. Ich schäme
mich doppelt, weil ich ein israelischer Journalist bin.
Alle Abteilungen der israelischen Medien sind während dieses Krieges auf
einem neuen Tiefpunkt angekommen. Keinerlei Kritik wird veröffentlicht. Alle
Gegner dieses Krieges werden totgeschwiegen. In den amerikanischen Medien
sind sogar noch einige abweichende Meinungen zu vernehmen. In Israel ist das
nicht möglich. Es würde schlimmer als Verrat sein.
Die einzige Ausnahme, die ich kenne, ist der TV-Reporter San Semama, der
sich in den Irak schlich, von den Amerikanern gefasst, in einen Jeep
eingesperrt wurde und 48 Stunden hungern musste. Er sah, was sich wirklich
ereignete. Teile seines Berichtes wurden hier und dort veröffentlicht - und
dann fiel der Vorhang des Schweigens. Der ganze Rest - Journalisten,
Experten, der Haufen von Ex-Offizieren und andere - erscheint Stunde um
Stunde auf unsern Fernsehschirmen und wiederholt wie ein Papagei die
amerikanische Propaganda, selbst dann, wenn sie offensichtlich lächerlich
ist.
Spielzeugsoldaten. Gegenüber "Militärkorrespondenten" bin ich besonders
allergisch. Sie gehören zu einer einzigartigen menschlichen Spezies: die
allerletzten Machos und die allerletzten Soldaten. Außerdem sind sie ein
lächerlicher Schwindel. Zum ersten Mal sah ich sie in unserm 1948er Krieg,
als ich Soldat einer Kampftruppe war. Während wir im Dreck und zwischen
Dornengestrüpp herumkrochen, sahen wir von Zeit zu Zeit einen solchen
"Soldaten", sauber rasiert, in frischer Uniform, mit einem Helm - alle
kriegerischen Tugenden ausstrahlend. Dies waren die Militärkorrespondenten,
die dem Brigadehauptquartier angeschlossen waren und weit weg von der
Frontlinie mit ranghohen Offizieren verkehrten.
(Ich sollte mich an sich nicht beklagen. Als ich mein Kampftagebuch nach dem
Krieg veröffentlichte, wurde es übernacht ein Bestseller, der reißend weg
ging - einfach deshalb, weil keiner dieser Spielzeugsoldaten in der Lage
war, ein authentisches Buch über den Krieg zu schreiben).
Das Operationstheater. Ich las irgendwo, dass der Informationsraum von
General Tommy Franks von einem professionellen Designer für eine Viertel
Million Dollars geschaffen wurde. Die amerikanische Armee investiert eine
Menge Geld, um dieses Theater aufzuführen.
Ich vermute, dass noch viel größere Summen an Fachdesigner gezahlt werden,
die die öffentlichen Auftritte von Präsident Bush gestalten. Man sollte sich
die Szenerie aufmerksam anschauen; sie ist viel interessanter als George
W.'s Worte.
Seit einigen Monaten wird Bush fast immer mit Soldaten im Hintergrund
gezeigt. Der Bühnendesigner achtet darauf, dass die Soldaten rund um den
Präsidenten sind, so dass aus jedem Photowinkel bewundernde Gesichter hinter
ihm erscheinen.
Vor ein paar Tagen erreichten die Designer einen besonderen Effekt: hinter
dem Präsidenten war ein weißes Schiff des Küstenschutzes mit rot
uniformierten Matrosen, die geschickt in kleine photogene Gruppen aufgeteilt
waren, zu sehen. Andere Matrosen standen vor und neben dem Präsidenten. Kein
Operndekorateur hätte diese Szene besser arrangieren können. Ich wäre nicht
überrascht gewesen, wenn der Präsident mit einer Arie begonnen hätte. Aber
er gab nur die üblichen Dümmlichkeiten von sich.
Der große Vaterländische Krieg. Als die Nazis in die Sowjetunion
einfielen, begriff Stalin, dass das russische Volk sein Leben nicht dem
Marxismus-Leninismus opfern würde. Über Nacht wechselte er die Botschaft:
Iwan der Schreckliche, Peter der Große, Feldmarschall Suvorov und Fürst
Kutuzov waren wieder auferstanden, um die Massen dafür zu begeistern, was
offiziell der "große Vaterländische Krieg" genannt wurde.
Saddam Hussein tat nun das gleiche: Er rief sein Volk auf, die Aggressoren
zu töten - nicht im Namen der Ba'ath-Partei, (deren Gründer Christen waren),
sondern im Namen Allahs und der muslimischen Heimat.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
uri-avnery.de /
avnery-news.co.il
02.04.03
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hagalil.com 07.04.03 |