Bitterer Reis - bittere Enttäuschung:
Gedanken zum Irak-Krieg
Uri Avnery
Hütet euch vor den Schiiten! Die Probleme mit der Besatzung beginnen,
wenn der Kampf zu Ende ist. Hier eine kleine persönliche Geschichte und die
Lektion daraus. Am 4.Tag des israelischen Angriffs auf den Libanon 1982
überquerte ich die Grenze an einer entlegenen Stelle bei Metulla und suchte
die Front, die schon die Außenbezirke von Sidon erreicht hatte. Ich fuhr in
meinem Privatwagen und war nur von einer Photographin begleitet. Wir fuhren
durch ein Dutzend schiitischer Dörfer und wurden überall mit großer Freude
begrüßt. Nur mit einiger Mühe konnten wir uns den Hunderten von
Dorfbewohnern entziehen, die alle darauf bestanden, dass wir in ihrem Haus
eine Tasse Kaffee trinken sollten.
In den vorausgegangenen Tagen hatten sie die Soldaten nach arabischer
Sitte mit Reis überschüttet.
Einige Monate später schloss ich mich einem Armeekonvoi an, der in
umgekehrter Richtung fuhr - von Sidon nach Metulla. Jetzt trugen die
Soldaten kugelsichere Westen und Helme; viele befanden sich am Rande der
Panik.
Was war geschehen? Die Schiiten hatten die israelischen Soldaten als
Befreier empfangen. Als ihnen aber klar wurde, dass diese als Besetzer
gekommen waren, fingen sie an, sie zu töten.
Als die israelischen Truppen in den Libanon einmarschierten, waren die
Schiiten eine unterdrückte, machtlose Gemeinschaft, von allen anderen
verachtet. Nachdem sie ein Jahr lang die Besatzung bekämpft hatten, wurden
sie zu einer politischen und militärischen Macht. Die schiitische Hisbollah
ist die einzige militärische Macht in der arabischen Welt, die die mächtige
israelische Armee geschlagen hat.
Der eigentliche Vater der schiitischen Kräfte im Libanon war Sharon. Bush
mag nun der Vater der schiitischen Kräfte im Irak werden. Die Schiiten, 60%
der irakischen Bevölkerung, sind bis jetzt ein unterdrücktes und
ohnmächtiges Volk gewesen. Wenn ihnen klar wird, dass die Amerikaner zu
bleiben beabsichtigen, werden sie einen tödlichen Guerrilla-Krieg beginnen.
Bush hat nicht vor, den Irak zu verlassen, genau so wenig wie Sharon
beabsichtigte, den Libanon zu verlassen.
Und was dann? Amerika wird behaupten, dass der Iran, der große schiitische
Nachbar, hinter der schiitischen Guerilla steckt. Im Iran gibt es auch eine
Menge Öl. Das wird also das nächste Ziel sein.
Blut für Öl. George Bush ist ein primitiver Mensch, aber die Leute hinter
ihm sind bei weitem nicht dumm. Sie sind die Ölbarone und Giganten der
Waffenindustrie. Sie wollen das tun, was alle Großmächte immer getan haben:
ihre Militärmacht nützen, um wirtschaftliche Hegemonie zu erlangen. In
simplen Worten: die armen Völker ausbeuten, um sich selbst noch mehr zu
bereichern.
Die militärische Besatzung des Irak wird viele Jahre dauern und für Amerika
die Kontrolle über die großen irakischen Ölreserven sichern - so wie die
Reserven rund um das Kaspische Meer und alles arabische Öl. Das wird ihm die
Kontrolle über die Weltwirtschaft liefern und das Auftauchen eines
konkurrierenden europäischen, wirtschaftlichen Blocks verhindern. Amerika
kämpft also genau so gegen Europa, wie es gegen den Irak kämpft. Das ist ein
Teil der Gründe, weshalb Europa so wütend reagiert.
Deutschland. Deutschland ist gegen den Krieg. Gegen jeden Krieg. In
keinem andern Land war der Ausbruch gegen den Krieg so authentisch, kam
dieses Gefühl aus dem Innersten der Volksseele.
Und wer ist wütend darüber? Israel, das Land der Holocaustüberlebenden. Wie
können sie es nur wagen, diese verdammten Deutschen, gegen diesen Krieg zu
sein?
Eine traurige Ironie der Geschichte: alle deutschen Fernsehstationen zeigen
Bürger, Intellektuelle und gewöhnliches Volk, die für den Frieden beten -
alle israelischen Fernsehschirme zeigen Generäle i.R., die fröhlich und mit
großem Behagen darüber diskutieren, wie man riesige Bomben und andere
Instrumente des Todes anwendet.
Machtrausch. Dies ist der erste Krieg im 21. Jahrhundert, und dies
verheißt nichts Gutes. Dieses Jahrhundert hat von seinem Vorgänger eine Welt
übernommen, die eine einzige Supermacht in sich trägt. Amerika hat keine
Konkurrenten, keine mögliche Vereinigung anderer Militärkräfte, die sich mit
ihm messen könnte. Es kann buchstäblich tun, was sie will, und genau dies
tut es jetzt offen und brutal.
Als Amerika seinen billigen und leichten Sieg in Afghanistan gewann, und
zwar mit Hilfe von "intelligenten" (smart) Bomben und Koffer, voll mit
Bargeld, anwendete, war klar, dass es sich selbst nicht mehr bremsen konnte.
Eine so große Maschine wie diese will weiterkämpfen und sucht nach einem
Feind. Jetzt ist es der Irak. Wer wird der nächste sein? Der Iran?
Nord-Korea?
Genau das geschah dem Römischen Reich. Das geschah Napoleon und Hitler.
Machtrausch kennt keine Grenzen. Doch keiner von den eben genannten war in
der Situation der Vereinigten Staaten von heute: allein in der Welt, ohne
Feinde, die ihnen Paroli bieten könnten.
Ein jüdischer Krieg? Die Antisemiten behaupten, dass dies nicht ein Krieg
für amerikanische, sondern für israelische Interessen sei. Als Beweis deuten
sie auf eine Gruppe amerikanischer Juden, die eine führende Rolle bei der
Vorbereitung dieses Krieges spielten, Leute wie Paul Wolfowitz, Richard
Perle und Douglas Feith im Verteidigungsministerium, Ellioth Abrams im
Nationalen Sicherheitsrat (als auch Ari Fleisher im Weißen Haus und sogar
Dan Kerzer, der US-Botschafter in Tel Aviv). Diese Leute unterstützen Sharon
und die extreme Rechte in Israel; einige von ihnen sprechen hebräisch,
einige unter ihnen waren Berater von Benyamin Netanyahu, als er
Ministerpräsident wurde. Zusammen mit den beiden Nicht-Juden Cheney und
Rumsfeld trieben sie Washington in den Krieg. So reden Antisemiten.
Es steckt etwas Richtiges dahinter: dies ist zu aller erst ein Krieg
amerikanischer Interessen. Bush und Sharon jedoch sind der Ansicht, dass
amerikanische und israelische Interessen praktisch identisch seien. Die
jüdischen Kriegsbefürworter in Washington arbeiten eng zusammen mit den
christlichen Fundamentalisten, die nun die Republikanische Partei
kontrollieren und die eine verborgene antisemitische Agenda haben.
Die Antisemiten weisen auf noch eine offensichtliche Tatsache hin: Israel
ist das einzige Land der Welt, indem kein einziger Politiker noch irgendein
Teil der Medien ihre Stimmen gegen den Krieg erhoben haben. Während
Millionen in aller Welt gegen den Krieg demonstrierten, fand in Israel nur
eine einzige von Gush Shalom und einigen anderen Friedensgruppen
organisierte Anti-Kriegs-Demo statt, an der 2500 Menschen teilnahmen. Im
Kampf zwischen Bush und der Weltmeinung stellte sich Israel auf die Seite
von Bush. Auf den ersten Blick erscheint dies vernünftig, da Bush die Macht
auf seiner Seite hat und sich außerdem auf Sharons Seite stellt. Aber auf
die Dauer mag es sich als falsch erweisen, mag man wohl auf das falsche
Pferd gesetzt haben.
Die Divisionen des Papstes. "Wie viele Divisionen hat der Papst?" fragte
Stalin sarkastisch, als man ihm erzählte, dass der Papst gegen seine
Aktionen sei. Heute müsste die Frage lauten: wie viel Divisionen befehligt
die öffentliche Weltmeinung?
Die öffentliche Meinung in aller Welt ist gegen den Krieg. Es gibt eine
ungeheure Mehrheit gegen ihn sogar in den Ländern, deren Regierungen sich
Bushs "Koalition" angeschlossen haben. Es ist das erste Mal, dass es so
etwas gibt, das wirklich "Weltmeinung" genannt werden könnte
Erst die Zukunft wird zeigen, ob dies eine wirkliche Macht darstellt. Thomas
Jefferson, einer der Gründerväter der amerikanischen Demokratie, sagte, dass
kein Land seine Angelegenheiten ohne "eine respektable Achtung gegenüber der
Weltmeinung regeln könnte".
Vielleicht wird das 21. Jahrhundert Zeuge eines Kampfes zwischen einer
brutalen Streitmacht einer riesigen, militärisch-wirtschaftlichen Supermacht
und der öffentlichen Weltmeinung, die jetzt durch moderne Technologie
unterstützt wird.
Söldner. Dies ist ein Krieg, der von Söldnern ausgefochten wird. Die
Kämpfer sind Berufssoldaten, die Söhne von Armen; viele von ihnen sind
Schwarze. Deshalb ist es für die Bürger der Mittelklasse leicht - und
besonders für republikanische Wähler - den Krieg zu befürworten. Es sind
nicht ihre Söhne, die getötet werden.
In der Vergangenheit verlangte die europäische Linke (in Frankreich und
England) die Abschaffung einer Berufsarmee und die Einführung einer
allgemeinen Wehrpflicht. Zu jener Zeit war dies ein "fortschrittlicher"
Gedanke. Als die Linke alt und fett wurde, vergaß sie dies alles.
Der Vietnamkrieg wurde noch von einberufenen Wehrdienstpflichtigen
ausgefochten. Der Widerstand gegen den Krieg wuchs, als immer mehr
Leichensäcke mit gefallenen Soldaten zurückkamen. George W. Bush, der mit
ganzem Herzen den Krieg unterstützt, nahm niemals an einem Kampf teil. Sein
Vater sorgte für einen Job in der Heimat. Er war einer der Drückeberger.
Noch einmal Jefferson: "Ich zittere für mein Land, wenn ich daran denke,
dass Gott gerecht ist."
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
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avnery-news.co.il
22.03.03
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hagalil.com 25.03.03 |