Ja, Herr Minister:
Über die Geheimdienste
Uri Avnery
In einer Episode der ausgezeichneten britischen Fernsehserie "Ja, Herr
Minister!" unterrichtet der Staatssekretär Sir Humphrey seinen Minister, wie
man Untersuchungskommissionen einsetzt: Nehmen Sie einen ehrenhaften Richter
im Ruhestand, einen senilen Alten, und geben Sie ihm den
Untersuchungsauftrag mit einem hohen Honorar. Helfen Sie ihm, selbst zu den
erforderlichen Schlüssen zu kommen. Führen Sie ihm die entsprechenden Fakten
zu und deuten Sie eine bevorstehende Erhebung in den Adelsstand an.
Zur Zeit laufen parallel, aber getrennt, drei Untersuchungskommissionen,
eine amerikanische, eine britische und eine israelische. Von allen drei
erwartet man, dass sie herausfinden, warum die Geheimdienste die Regierungen
mit falschen Informationen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen
(MVW) versorgt haben.
Natürlich sind diese Kommissionen in Wirklichkeit nicht notwendig, um die
Wahrheit zu finden. Sie sind nötig, um die Regierung zu entlasten. Um zu
verstehen, was geschehen ist, ist kein ehrenhafter Lord, früherer Senator
oder Geheimdienstoffizier im Ruhestand nötig. Man braucht nur einen normalen
gesunden Menschenverstand.
Sicherlich entscheidet der, der eine Untersuchungskommission bestimmt, im
voraus, welche Folgerungen gezogen werden. Wenn ein Mitglied des
Establishments beauftragt wird, das Establishment zu untersuchen, dann wird
das Ergebnis das sein, dass das Establishment tadellos ist.
In Israel z.B. hatten wir die Agranat-Kommission. Shimon Agranat, ein
geachteter Richter beim Obersten Gerichtshof, wurde als Vorsitzender einer
Kommission berufen und damit beauftragt, herauszufinden, wer wegen der
verhängnisvollen Fehlschläge des Yom Kippur-Krieges (1973) anzuklagen wäre.
Die Untersuchung war im voraus nur auf die ersten Kriegstage beschränkt. So
waren alle Geschehnisse, die zum Krieg führten (einschließlich der
Regierungsentscheidungen) ausgeschlossen. Das Ergebnis: die
Ministerpräsidentin (Golda Meir) und der Verteidigungsminister (Moshe Dayan)
kamen völlig unbelastet davon. Alle Schuld wurde einigen Armeeoffizieren
gegeben.
(Diese Folgerungen waren so skandalös, dass die allgemeine Öffentlichkeit
dagegen protestierte. Der Bericht der Kommission wurde in den Papierkorb
geworfen, Golda und Dayan waren gezwungen worden, ihr Amt abzugeben.)
In England ist die Methode Sir Humphreys noch gang und gäbe. Kürzlich
wurde ein ehrenhafter, usw. Richter mit der Untersuchung beauftragt, ob der
Ministerpräsident den Geheimdienstbericht aufgebläht habe, um das Land in
einen Krieg zu ziehen. Der ehrenhafte Richter folgerte natürlich, dass der
Ministerpräsident vollkommen unschuldig ist und dass die feindlich gesinnten
Medien (d.h. die BBC) an allem die Schuld tragen.
Anders als in Israel steht in Britannien nach einer Entscheidung des
Obersten Richters jeder auf und singt "God save the Queen". Ein paar junge
Leute, die sich Richterperücken aufsetzten, warfen weiße Farbe auf die
Gebäude in der Downingstreet, um deutlich zu machen, dass der Bericht des
Lordrichters "whitewash" war. Aber der Premierminister war nicht gezwungen,
sein Amt aufzugeben – an seiner Stelle tat dies der Chef vom BBC.
Nun arbeiten also drei Kommissionen. Die israelische, die im Geheimen
beauftragt wurde und die im Geheimen arbeitet, wird zuerst fertig sein.
Danach wird die britische dran sein (von der gefordert wird, nur die
Geheimdienste zu untersuchen, nachdem der Lordrichter die politische
Struktur schon untersucht hat). Schließlich wird nach der Wahl in den USA
die amerikanische Kommission ihren Bericht veröffentlichen. Alle drei ähneln
sich: Sie wurden von den politischen Führern eingesetzt; es wurde ihnen
verboten, die politische Führung zu untersuchen, und darum gebeten, die
Qualität der von den Geheimdiensten ihren politischen Führern vermittelten
Information zu hinterfragen.
Präsident George W. Bush zog die USA auf Grund der Behauptung in den
Krieg, dass Saddam Hussein MVW habe, mit denen er Amerika bedroht. Er sagte,
Saddam werde solche Waffen an Al-Quaida-Terroristen weiterreichen, die sie
benützen würden, um in Amerikas Städten Hunderdtausende umzubringen.
Ministerpräsident Tony Blair sagte seinem Volk, Saddam könne MVW gegen
britische Städte innerhalb von 45 Minuten (nicht 40 oder 50, sondern genau
45 Minuten ) einsetzen. In Israel verteilte die Sharon-Regierung an die
Bevölkerung Gasmasken und erzeugte damit Panik. Sie sagte, Saddam werde uns
mit Raketen überschütten, die mit chemischen Gefechtsköpfen bestückt seien.
Nun, inzwischen besetzten die Amerikaner und die Briten den Irak, und
keine MVW wurden gefunden. Keine chemischen, keine biologischen und keine
nuklearen. Nichts dergleichen.
Wie kommt es also, dass alle diese berühmten Geheimdienste unrecht
hatten? Wie versorgten sie ihre politischen Führer mit falscher Information
und veranlassten Bush & Blair, einen Krieg anzufangen, in dem ein Land
verwüstet und viele Menschen getötet wurden?
Der normale Menschenverstand würde sagen: Bush & Blair sind getäuscht
worden, weil sie getäuscht werden wollten. Bush und die Neo-Kons, die in
Washington das Sagen haben, hatten von Anfang an - und schon lange vorher -
entschieden, den Irak anzugreifen, hauptsächlich um das Öl unter ihre
Kontrolle zu bekommen – und die Geschichten von den MVW wurden nur dazu
bestimmt, einen Vorwand zu geben, der die Massen erschreckt.
Verlangten die politischen Führer von ihren Geheimdienstorganisationen
ausdrücklich, sie mit Lügenberichten zu versorgen? Natürlich nicht. Die
Untersuchungskommissionen werden bestätigen, dass so etwas nicht geschehen
ist. Und mit Recht. Die Führer haben nicht um diese gebeten, weil es nicht
nötig war, darum nachzufragen. Die amerikanischen, britischen und
israelischen Geheimdienstchefs wussten sehr genau, was von ihnen erwartet
wurde und lieferten die Ware. Sie wussten, woher ihre Butter aufs Brot kam.
Haben die Geheimdienstleute absichtlich ihre Informationen gefälscht, um
dies zu erreichen? Natürlich nicht. Das war nicht nötig. Die Geheimdienste
sammeln ungeheure Mengen von Informationen. Aus diesem großen Haufen werden
sie die Dinge herausziehen, die sie als glaubhaft betrachten.
Wunderbarerweise ist das glaubhafte Material immer das, was die politischen
Führer wünschen.
Der entscheidende Teil jedes Nachrichtendienstes ist weniger das Sammeln
von Informationen als die Auswertung. Wie wird aus Mosaiksteinchen ein Bild?
Das ist eine Sache der Beurteilung und der Intuition, die beide einem
allgemeinen "Konzept" unterliegen. Dies ist eine psychologische Gestalt im
Kopf des Geheimdienstchefs. Und da die Geheimdienstchefs durch die
politischen Führer bestimmt wurden, ist es kein Wunder, dass ihre Konzepte
beinahe immer zu den Konzepten der Führer passen.
Ich sage voraus, dass alle drei Untersuchungskommissionen, jede in ihrem
eigenen Land, zu der Folgerung kommen werden, dass, a) die politischen
Führer die Geheimdienstleute nicht darum gebeten hätten, ihre Berichte zu
fälschen und auch keinen Druck auf sie ausgeübt hätten, b) die
Geheimdienstleute ehrenhaft gehandelt und Geheimdienstauswertungen nach
bestem Wissen und Gewissen weitergegeben hätten, c) dass jeder nach der
besten Information, die zu jener Zeit zugänglich gewesen sei, gehandelt habe
und d) dass es ein beklagenswertes professionelles Versagen gewesen sei.
Keiner der drei Kommissionen wird das Selbstverständliche bestätigen:
dass die Geheimdienstagenturen unter der Jurisdiktion des Präsidenten (in
den USA) und dem Ministerpräsidenten (in Großbritannien und in Israel) sind
und dass diese die Verantwortung für die Taten und Untaten tragen. Sie
bestimmen die Geheimdienstchefs, und sie sollten sie überwachen. In
Anbetracht des ungeheuren Geheimdienstversagens sollten alle drei von ihnen
ihren Posten aufgeben. Das wird nicht gesagt werden, und dies wird nicht
geschehen.
Wenn alles Versagen den Geheimdienstleuten in die Schuhe geschoben wird,
dann sollten diese genauer angeschaut werden. In der ganzen Welt werden sie
bewundert. Das Geheimnis, das sie umgibt, schafft fast einen religiösen
Kult, der eine große Herde von Journalisten und Schriftstellern nährt. Der
Geheimdienstler, der in ihren Geschichten dargestellt wird, ist wie ein
Superman, dem Smiley, dem Helden von John Le Carré, ähnlich, ein genialer
Mensch, mit einer fast unmenschlichen Intelligenz, kaltblütig und
raffiniertem Geist, der sein Netz mit unglaublicher Geduld spinnt.
Leider existiert solch eine Person nicht. (Im Englischen sagt man :
"Armee-Intelligenz" (= militärischer Geheimdienst) ist ein Oxymoron, ein
Gegensatz in sich selbst.
Woher ich das weiß? Da gibt es ein paar einfache Tests, die jede logisch
denkende Person selbst anwenden kann.
Der erste Test: die menschliche Qualität. Alle Geheimdienstleute kommen
irgendwann in den Ruhestand. Dann können sie aus der Nähe betrachtet werden,
ohne Zensor und ohne die Hülle des Geheimnisses. Was entdeckt man? Unter
ihnen sind einige hoch intelligente Leute. Aber auch eine Menge Dummköpfe.
Aber die meisten sind einfach durchschnittliche, oberflächliche Leute mit
sehr gewöhnlichen, konformistischen Ansichten. Wir würden uns nicht auf
solche Leute verlassen und uns von ihnen bei Geldanlagen beraten lassen.
Wenn einem klar wird, dass diese Leute über das Schicksal von Völkern
entscheiden, ist das ziemlich erschreckend.
In Israel ist das besonders deutlich, weil pensionierte Geheimdienstler
in allen Medien als politische Kommentatoren glänzen. Ihr durchschnittlicher
IQ scheint nicht höher zu sein als der von Knessetabgeordneten. Und da man
kaum vermuten kann, dass sie vorher Genies waren und dass beim Eintreten in
den Ruhestand ein mysteriöser neurologischer Prozess ihre geistige
Überlegenheit eliminiert habe, gibt es keine andere Schlussfolgerung, als
dass ihr IQ nur mittelmäßig oder weniger war.
Wenn in einem Machtapparat solche Leute dominieren, wird sich eine
intelligente Person assimilieren. Sie gleichen sich an, um zu überleben.
Der zweite Test: Die Ergebnisse. Jetzt ist es schon banal, die
klassischen Geheimdienstfehlschläge des 2. Weltkrieges zu erwähnen. Die
Russen waren vom Angriff der Deutschen auf ihr Land überrascht; die
Amerikaner vom japanischen Angriff auf Pearl Harbour; die Amerikaner waren
vom Kollaps der Sowjetunion überrascht. Der amerikanische und israelische
Geheimdienst waren total von der Khomeini-Revolution im Iran überrascht. Der
israelische Geheimdienst war am Vorabend des 1967er Sechstage-Krieges von
der ägyptischen Armeekonzentration im Sinai überrascht; von dem
ägyptisch-syrischen Angriff am Yom Kippur, 1973; vom Aufkommen der Hisbollah
im Südlibanon; von der ersten und zweiten Intifada und der Ermordung Rabins.
Der amerikanische Geheimdienst träumte nicht einmal von einem Angriff am 11.
September. Die Liste ist lang ....
Die amerikanischen, britischen und israelischen Geheimdienstagenturen
hatten nicht die leiseste Ahnung von dem, was sich im Irak abspielte und ob
Saddam die MVW hat oder nicht. Sie mutmaßten. Und wenn einer mutmaßt, dann
ist es das beste, er vermutet das, was die Regierung zu hören wünscht.
"Hat Saddam Massenvernichtungswaffen?"
"Ja, Herr Ministerpräsident!"
(Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
uri-avnery.de /
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hagalil.com 18-02-2004 |