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Geheimdienstinformationen:
Die Stimme ihres Herrn

Uri Avnery

Es gibt niemanden, der den Briten gleicht. Über was die sich aufregen! Es ist etwas Schreckliches geschehen. Ihr Ministerpräsident hat sie angelogen. Das ganze Land ist in Aufruhr. Und - wie furchtbar - die Geheimdienste haben ihre Erkenntnisse so zurechtgetrimmt, dass sie für ihren politischen Chef genau passen. Entsetzlich!

In Israel, den USA und in den meisten andern Ländern rund um die Welt wäre dies kaum eine kurze Zeitungsnotiz in einer Innenseite wert. Der Ministerpräsident lügt? Ist das etwas Neues? Im Gegenteil, wenn der Ministerpräsident dabei ertappt worden wäre, die Wahrheit zu sagen, dann wäre das eine Sensation gewesen. Was, er sprach die Wahrheit? Der Ministerpräsident? Was geht da vor? Was führt er im Schilde?

Und die Geheimdienste? In Kindergeschichten riskieren Spione ihr Leben, um Geheimnisse aufzudecken und ihr Land zu retten. Phantastisch! Und wie schade, dass dies so wenig mit der Realität zu tun hat.

Die Geheimdienste suchen tatsächlich nach Fakten, aber meistens nach Fakten, wie sie ihr politischer Chef haben möchte. Sie reichen den Regierungen Berichte ein - aber weh dem Geheimdienstchef, dessen Bericht nicht zu deren Agenda passt! Kurzum, es gibt kaum einen Geheimdienstbericht, der nicht für die Mächtigen bearbeitet wurde, der nicht die Fakten verzerrt oder der glattweg eine Lüge ist.

Dies erklärt das fortdauernde Versagen der Geheimdienstagenturen in fast allen Ländern und bei fast allen unerwarteten Ereignissen.

Ein paar berühmt-berüchtigte Beispiele sollten genügen:
Ein deutscher Kommunist mit Namen Richard Sorge, der in Japan spionierte, lieferte 1941 dem sowjetischen Geheimdienst einen detaillierten Bericht über den bevorstehenden deutschen Angriff auf die Sowjetunion mit einer auf die Minute genauen Zeitangabe. Stalin weigerte sich, diesen Bericht zu akzeptieren und drohte damit, jeden Geheimdienstler, der solchen Unsinn berichten würde, nach Sibirien zu schicken. Die Folge davon war, dass Hunderttausende Soldaten der Roten Armee getötet oder gefangen genommen wurden, als der deutsche Angriff ("Fall Barbarossa") genau zu dem Zeitpunkt geschah. Dies war so unglaublich, dass ein moderner russischer Historiker eine originelle Erklärung fand: Stalin war gerade dabei, Hitler anzugreifen, als dieser ihm im letzten Augenblick zuvorgekommen war.

Oder der Fall des Angriffes auf Pearl Harbor im Dezember 1941. Der amerikanische Geheimdienst hatte viele Anzeichen dafür, dass die Japaner beabsichtigten, die US-Pazifik-Flotte zu vernichten. Aber als der Angriff dann tatsächlich kam, war die amerikanische Marine völlig unvorbereitet. Das war so ungewöhnlich, dass eine Verschwörungstheorie Glaubwürdigkeit gewann: Präsident Roosevelt hätte die Japaner praktisch zum Angriff eingeladen, um in der Lage zu sein, sein unwilliges Land in den Krieg zu führen.

Vor dem Angriff des 11. Septembers auf die Zwillingstürme gab es verschiedene Warnungen, aber alle blieben in den Leitungen der Geheimdienste stecken. Das hat einer anderen verrückten Verschwörungstheorie Glaubwürdigkeit gegeben: all dies wäre vom Mossad organisiert worden, der sogar die Juden, die in den Türmen arbeiteten, gewarnt hätte, sich an diesem besonderen Tag nicht bei ihrer Arbeitstelle zu melden.

Die Fehler des israelischen Geheimdienstes stehen auf einer eindruckvollen Liste. Am Vorabend der Staatsgründung hatten die Geheimdienste (oder ihre Vorgänger) nicht den Angriff der arabischen Armeen vorausgesehen, die den neuen Staat in seinen Anfängen fast zerstört hätten. Im Mai 1967 waren die Geheimdienste verblüfft, als Gamal Abd-al Nasser seine Armee in den Sinai sandte (und die Kette der Ereignisse startete, die zum Juni-Krieg 1967 führten). Die ägyptische Revolution von 1952 wurde vom israelischen Geheimdienst nicht vorausgesehen, genau so wenig wie die irakische Revolution von 1958 und die Khomeini-Revolution im Iran - trotz der Tatsache, dass der israelische Geheimdienst praktisch freies Spiel im Lande des Schahs hatte.

Das berühmteste Beispiel war natürlich am Vorabend des Oktober-Krieges 1973. Der israelische Armeegeheimdienst wusste alles: den ägyptischen Kriegsplan und die Aufmarschstellungen aller ägyptischen Einheiten. Er sah, wie sie ihre Positionen einnahmen. Er überhörte Dutzende von Botschaften, die überhaupt keinen Zweifel gelassen hätten, dass ein Angriff drohte. Einen Tag vor dem Krieg bestätigte ein Ägypter an hoher Stelle, der für Israel spionierte, die Berichte über den bevorstehenden Angriff. Und trotzdem war die israelische Armee vollkommen überrascht, als die Ägypter den Suezkanal ohne nennenswerte Gegenwehr überquerten.

Die offizielle Untersuchung dieses Versagens des Geheimdienstes brachte den hebräischen Ausdruck "Conceptsia" hervor - was bedeutet, dass der Militärgeheimdienst alle offensichtlichen Fakten ignoriert hat, weil er in seinem eigenen "Konzept" gefangen war, dass die Ägypter absolut unfähig seien anzugreifen.

Dies ist ein natürliches Phänomen. Gemäß der "Gestalt"-Psychologie tendiert eine Person dahin, die Information aufzunehmen, die zum bestehenden Muster seiner Vorstellungen passt, und die Information zu ignorieren, die ihm widerspricht.

Wie andere Leute auch haben die Geheimdienstler vorgefasste Meinungen und Vorurteile. Informationsteile, die ihnen nicht passen, gehen auch nicht durch die Leitungen der Kommunikation. Sie werden geleugnet und verschwinden.

Aber da gibt es auch eine noch einfachere Erklärung. Jeder Chef vom Geheimdienst hat einen politischen Boss - einen Präsidenten, einen Ministerpräsidenten, einen Verteidigungsminister, einen Innenminister. Seine Karriere hängt vom Boss ab, so wie auch die Chancen der Beförderung seiner Untergebenen. Wenn der Boss Mitarbeiter ernennt, wählt er Leute aus, die seiner politischen Agenda nahe stehen. Mit der Zeit wird der ganze Geheimdienst ein Apparat, der den Boss mit der Information versorgt, die er zu hören wünscht und unterdrückt eine weniger angenehme Information. Das trifft nicht nur für Diktaturen zu wie die von Stalin, Hitler und Saddam, sondern auch für die meisten demokratischen Regime. Der erfolgreiche Chef des Geheimdienstes ist ein Akrobat, der zwischen den Regentropfen läuft und weiß, wie er die Informationsdaten den Interessen der politischen Führung anpasst.

Zum Beispiel: während fast aller Jahre zwischen dem Sechs-Tage-Krieg und dem Yom-Kippur-Krieg hat Golda Meir, eine schwierige und nicht allzu weise Frau, regiert. Sie hat nie im Traum daran gedacht, die Gebiete, die gerade erobert worden waren, zurückzugeben. Ihr Verteidigungsminister Moshe Dayan, das Idol der Massen jener Zeit, erklärte, dass Sharm-el-Sheikh (im südlichen Sinai) wichtiger als Frieden wäre. Um dies der israelischen Öffentlichkeit zu verkaufen, war es nötig, die arabischen Armeen als eine unbedeutende Macht hinzustellen, als eine Bande von Troddeln, die ihre Stiefel wegwerfen würden, sobald sie einen israelischen Kantinenfeldwebel sehen. Der militärische Geheimdienst entschied offiziell, dass ein ägyptischer Angriff "ziemlich unwahrscheinlich" wäre. Zweitausend israelische Soldaten - und wer weiß, wie viele Ägypter und Syrer - haben dies mit ihrem Leben bezahlt.

Von Golda zu George ist es nur ein kleiner Sprung. Bush wollte einen Krieg gegen den Irak. Er konnte der Öffentlichkeit nicht das wirkliche Ziel offenbaren: seine Hände auf die sagenhaften Ölreichtümer dieses Landes zu legen, die Ölvorräte der Welt zu beherrschen und die europäische und japanische Wirtschaft und jeden andern potentiellen Konkurrenten im Würgegriff zu halten. Er benötigte einen viel einfacheren und zwingenderen Grund: Saddam hat Massenzerstörungswaffen, er steckt mit Osama Bin Laden unter einer Decke, er ist im Begriff, die USA anzugreifen.

Es wurden überzeugende, zuverlässig klingende Daten des Geheimdienstes angefordert. Deshalb produzierte der CIA Dokumente, die schon als falsch bekannt waren, die Saddam entlarvten, wie er versuchte, Uran aus dem Niger zu erwerben. Man setze dies in die Ansprache des Präsidenten der US und - hoppla hopp, schon hat man einen Krieg.

Haben sich die Amerikaner darüber aufgeregt, als die Lüge entdeckt wurde? Nicht im Geringsten. Der Präsident hat also gelogen. Na und? Und der CIA hat ihm zu lügen geholfen.

Noch einmal: Na und? Wichtig ist, dass Saddams Söhne in einer "gezielten Liquidation" - nach israelischem Vorbild - getötet worden sind. Großartig!

Aber im Vereinigten Königreich laufen die Dinge anders. Dort gibt es eine politische Klasse und klare Normen, was man "tut" und was man "nicht tut". Der Geheimdienst schnitt seine Berichte auf die Forderungen von Tony Blair zurecht. Er musste nicht darum bitten. Wie immer wussten die Geheimdienstleute, was er benötigte und lieferten die Geschichten, die je nach Geschmack aufgebauscht werden konnten. Einer der Experten informierte die BBC, und wenige Zeit später wurde seine Leiche gefunden. Vielleicht hat er wirklich Selbstmord begangen. Vielleicht.

England befindet sich im Aufruhr - und vielleicht werden Blair und seine Handlanger dafür büßen müssen. In Israel, gibt es - Gott sei Dank! - kein solches Problem. Unsere Chefs der Geheimdienste schwätzen und plappern und ihr Geschwätz passt immer zu dem, was der Ministerpräsident benötigt. Wenn der Ministerpräsident wechselt, verändert sich dem entsprechend auch das Geschwätz des Geheimdienstes.
Sie sind eben die Stimme ihres Herrn.

(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
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