Jüdisches Leben in EuropaMit der Hilfe des Himmels

Promises - endlich auf Video!


 

Widersprechende Berichterstattung:
Wem soll man glauben?

Uri Avnery

"Wem glauben Sie?" fragte General Ya'akov Amidror mit gedämpften Zorn im Fernsehen, "dem Sprecher der Armee oder Hamas?"

General (der Reserve) Amidror ist der höchste religiöse Offizier in unserer Armee. In der Vergangenheit hat er einige öffentliche Stürme entfacht mit Äußerungen, die säkulare Israelis verunglimpften und behauptet, sie seien keine wirklichen Juden. Er hat einen scharfen Verstand, der weit über dem Durchschnitt in der Armeeführung liegt, und sein Intellekt ist vollständig damit beschäftigt, seinen extremistischen Ansichten zu dienen - sowohl den extrem religiösen als auch den extrem nationalistischen.

Seine Frage sollte rein rhetorisch sein. Letztendlich ist die Antwort klar: auf der einen Seite gibt es die IDF (Israel Defence Force), "die moralischste und menschlichste Armee der Welt", wie sie sich selbst bezeichnet und auf der anderen Seite gibt es einen Haufen verrückter Mörder, wo liegt also das Problem?

Aber laut Amidror selbst, passiert das Gegenteil. Die Welt glaubt Hamas und nicht dem Sprecher der IDF. Die israelische Öffentlichkeit glaubt Hamas. Sogar Regierungsmitglieder und Mitglieder der Knesset glauben Hamas und nicht dem Sprecher der IDF.

Die Vertrauenskrise offenbarte sich in all seiner Schärfe durch eine Serie von Ereignissen im Gazastreifen vergangene Woche. Nach Angabe der Palästinenser schoss die Armee Luft-Boden-Raketen auf ein Auto, in dem sich zwei militante Mitglieder der Hamas befanden. Als sich die Leute aus der Nachbarschaft um den zerstörten Wagen versammelten, um festzustellen, ob sie den Opfern helfen konnten, wurden sie durch eine weitere Rakete angegriffen. Insgesamt wurden 14 Palästinenser getötet, unter anderem ein Arzt, der herbeigeeilt war zu helfen und Dutzende andere, einschließlich vieler Frauen und Kinder, wurden verletzt.

"Eine große Lüge!" verkündete der Sprecher der Armee wütend. Die Armee schoss überhaupt keine weitere Rakete. Sie verletzte keine Zivilisten! Es handelt sich um eine weitere palästinensische Verleumdung!

Es gibt also zwei sich widersprechende Versionen, die völlig gegensätzlich sind. Eine Entweder-Oder-Angelegenheit. Eine der beiden Seiten lügt. Aber welche?

Die palästinensische Version wird unterstützt durch die Fernseh- und Videoberichterstattung von den Toten, den Beerdigungen, den Verletzten, die in die Krankenhäuser gebracht wurden, sowie von Ärzten und einheimischen und ausländischen Journalisten. Die Armeeversion wird von der Masse der israelischen "Militärkorrespondenten" und "Reporter für arabische Angelegenheiten" im Fernsehen, im Radio und den Zeitungen unterstützt, die fast einmütig die offizielle Linie wie Roboter wiederholen, als ob sie selbst nachgeforscht hätten und zu der Schlussfolgerung gekommen seien.

Diesmal schloss sich sogar die schwere Artillerie unter Führung von Ze'ev Shiff, dem Militärkommentator von Haaretz, dem Kampf an, dessen unabhängige Urteile oft unheimlich sind, ähnlich wie die der Armeeführung. Der Kommandeur der Luftwaffe, der schon bis zum Hals in der Affäre um seine rebellierenden Kampfbomberpiloten steckt, machte einen beispiellosen Schritt und ließ die offizielle Version auf allen Luftwaffenstützpunkten verbreiten und leugnete die palästinensische Darstellung.

Um die eigene Darstellung zu bekräftigen, veröffentlichte die Luftwaffe mit 24stündiger Verspätung einen Videoclip, der während der Aktion von einer Armeedrohne (unbemannter Flugkörper) aufgenommen worden war. Diese zeigt ganz klar zwei Raketen, die auf den verdächtigen Wagen geschossen wurden, in der Nähe halten sich kaum Zivilisten auf. Die treuen Militärkorrespondenten benutzten sogar ihre Stoppuhren, um die Sekunden zwischen Rakete A und Rakete B zu messen.

Somit haben wir es mit einem perfekten Rätsel zu tun. Ein faktischer Videoclip gegen den Augenzeugenbericht der Journalisten. Was hätte Sherlock Holmes da gesagt?

Na ja. Vielleicht hat ein genialer palästinensischer Propagandist die ganze Sache erfunden. Die Zivilisten haben Selbstmord begangen oder sich gegenseitig erschossen und Dutzende andere haben sich selbst verletzt, alles um die IDF mit einer ungeheuerlichen Lüge zu beschmutzen.

Eine weitere Möglichkeit ist, dass nicht zwei, sondern drei Raketen benutzt wurden - die beiden, die man auf dem Videoclip gesehen hat und eine dritte später. Um das herauszufinden, muss man den gesamten Film sehen und nicht nur einen Ausschnitt. Und vielleicht haben wir es mit zwei insgesamt verschiedenen Ereignissen zu tun.

Wenn die israelischen Medien wirklich unabhängig wären, anstatt eine Abteilung der Sicherheitsbehörde zu sein, dann wären ein Dutzend israelischer Journalisten am gleichen Tag nach Gaza geeilt, hätten die Dutzende von Verletzten in den Krankenhäusern interviewt, die Zeugenaussagen verglichen, die Familien der Toten besucht und Aussagen von Augenzeugen festgehalten und diese der Armeeversion gegenübergestellt. Aber außer bei Amira Hass und einem palästinensischen Korrespondenten von Channel 2 ist diese Art von unabhängiger Nachforschung schon lange aus unseren Medien verschwunden (und hat vielleicht nie existiert).

Da bleibt die rhetorische Frage, die General Amidror aufwarf: Wem können wir glauben?

Innenminister Avraham Poraz (Shinui Partei) und das Knesset-Mitglied Zahava Gal'on (Meretz Partei) haben sich, so scheint es, für die palästinensische Version entschieden und entsprechend gehandelt. Ebenso eine große Anzahl Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Das führte dazu, dass der Armee die Nackenfedern zu Berge standen.

Aber selbst, wenn wir die offizielle Version als wahr betrachteten, müssten wir eine weitere Frage stellen: WARUM glauben so viele Menschen in Israel und überall auf der Welt den Palästinensern? Mit anderen Worten, warum glauben sie dem Armeesprecher nicht?

Es gab Zeiten als dem Sprecher der Armee ohne Vorbehalt geglaubt wurde. In den 50ern wurde ich oft von ausländischen Journalisten gefragt, ob man den Erklärungen der Armee Glauben schenken dürfe. Meine Antwort lautete stets: Gewiss, unsere Armee lügt nicht.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Besatzung, die alles korrumpiert hat, hat auch die Erklärungen der Armee korrumpiert. Während der ersten Intifada veröffentlichte die IDF Hunderte von Erklärungen, die offenbar verlogen waren. Kinder "verloren ihr Leben" als die Armee "in die Luft schoss" (was zu bitteren Witzen über "fliegende Kinder" führte). Palästinenser wurden getötet, als sie versuchten, "Waffen aus den Händen der Soldaten zu entreißen". Unglaubliche Geschichten. Baron von Münchhausen wäre neidisch gewesen. Seitdem ist die Lage noch schlimmer geworden.

In den letzten 20 Jahren habe ich die Arbeit der ausländischen Korrespondenten verfolgt, ob neutral, pro-palästinensisch oder pro-israelisch, und fast alle glauben den Palästinensern mehr als offiziellen israelischen Sprechern.

Wenn es hart auf hart kommt, bringen die offiziellen Sprecher die Dschenin-Affäre zur Sprache. Die Palästinenser behaupteten, dass während der Operation "Verteidigungsschild" im April 2002 dort ein Massaker verübt worden sei. Dies stellte sich als Übertreibung heraus, aber die Dinge, die tatsächlich passierten, waren schlimm genug. Viele Häuser wurden zum Beispiel von dem betrunkenen Fahrer einer riesigen Armee-Planierraupe zerstört, ohne die geringste Ahnung, ob sich die Bewohner noch im Inneren befanden. Die Wortschlacht über das Wort "Massaker" lenkte davon ab, was wirklich passiert war.

Glaubwürdigkeit ist wertvoller als Gold. Es braucht Jahre, um sie aufzubauen, aber nur wenige Minuten, um sie zu zerstören. Diese Affäre zeigt, dass die Glaubwürdigkeit des Armeesprechers in einen Abgrund gefallen ist.

"Wem glauben Sie?" fragte der General. Nun ja, es ist nicht angenehm zu sagen, aber ...

(Aus dem Englischen übersetzt: Tony Kofoet)
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hagalil.com 28-10-2003

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