Jüdisches Leben in EuropaMit der Hilfe des Himmels

Promises - endlich auf Video!


 

"Sie legen eine Landmine.
Eines Tages werden Sie sie demontieren müssen"

Auf dem Weg zum Bürgerkrieg

Uri Avnery

In Israel spricht im Augenblick jeder über den nächsten Krieg. Im populärsten Fernsehkanal läuft darüber sogar eine ganze Serie. Nicht über noch einen Krieg gegen die Araber. Nicht über die nukleare Bedrohung aus dem Iran. Nicht über die fortdauernde blutige Auseinandersetzung mit den Palästinensern.
Man spricht über einen bevorstehenden Bürgerkrieg.

Vor nur wenigen Monaten hätte dies absurd geklungen. Auf einmal wird dies nicht nur denkbar, sondern eine sehr reale Möglichkeit. Es ist nicht eine weitere aufgebauschte Mediensensation. Es sind keine weiteren politischen Manipulationen Ariel Sharons. Nicht nur ein weiterer Erpressungstrick der Siedler – sondern eine reale Angelegenheit.
Man spricht darüber bei Kabinettstreffen und in der Knesset, bei Fernseh-Talkshows, in Leitartikeln und auf den Nachrichtenseiten. Der General-stabschef hat öffentlich davor gewarnt, die Armee könne aus einander fallen. Einer der Minister sagt, sogar die Existenz Israels stehe auf dem Spiel. Ein anderer Minister prophezeit ein Blutbad wie im Spanischen Bürgerkrieg.

Mal still, mal weniger still bereitet sich der Geheimdienst (Shin Bet) mit Vorbeugemaßnahmen vor. Der Gefängnisverwaltung ist befohlen worden, Einrichtungen für Massenverhaftungen vorzubereiten. Die Armeeführung plant, zehntausend Reservesoldaten einzuziehen, und denkt nach, welche Schritte im Fall eines Falles unternommen werden müssten.

Es ist tatsächlich eine sehr ernste Bedrohung.
Auf den ersten Blick hin, mag es aussehen, als käme sie aus dem Nirgendwo. Doch wer Augen hat, die sehen, wusste, dass dies früher oder später eintreten werde.
Die Saat für einen Bürgerkrieg wurde gesät, als die erste Siedlung in den besetzten Gebieten errichtet wurde. Damals sagte ich zum Ministerpräsidenten in der Knesset: "Sie legen eine Landmine. Eines Tages werden Sie sie demontieren müssen. Als früherer Soldat möchte ich Sie davor warnen, denn das Demontieren von Landminen ist ein sehr unangenehmer Job." Seitdem sind Hunderte von Minen gelegt worden. Und noch immer werden die Minenfelder ausgeweitet.

Der Prozess wurde von religiösen Spinnern angeführt. Ihr erklärtes Ziel sei es - so sagten sie damals und werden nicht müde, dies zu wiederholen - alle Araber aus dem Land zu treiben, das uns Gott versprochen hat. Und das uns von Gott verheißene Land ist, woran uns neulich wieder einmal einer von ihnen im Fernsehen erinnerte, nicht das "Palästina" des britischen Mandats - nein, das Land der Verheißung schließt Jordanien, den Libanon und Teile von Syrien und den Sinai mit ein. Ein anderer zitierte aus der Bibel und erklärte, wir seien in dieses Land gekommen, nicht nur um es zu erben, sondern um andere zu enterben, sie zu vertreiben und ihren Platz einzunehmen.

Seitdem der damalige Verteidigungsminister, Shimon Peres Kedumim, die erste Siedlung mitten in die palästinensische Bevölkerung auf der Westbank eingepflanzt hat, breiten sie sich aus. Jede Siedlung hat nach und nach das Land und Wasser der benachbarten palästinensischen Dörfer gestohlen, ihre Bäume entwurzelt, ihre Straßen blockiert und neue Straßen gebaut, die für Palästinenser gesperrt sind. Fast alle Siedlungen haben Ableger auf den benachbarten Hügeln angelegt.
Dies hat sich bis heute fortgesetzt. Nachdem Sharon Präsident Bush feierlich versprochen hat, einige dieser "Außenposten" aufzulösen, sind Dutzende neue aus dem Boden gesprossen. Alle Ministerien helfen den Außenposten, die offiziell als "illegal" definiert werden. Die Armee verteidigt sie nicht nur – und setzt so ihre Soldaten Gefahren aus – tatsächlich sagt sie der selbsternannten "Hügeljugend" sogar, wo sie ihre Außenposten hinsetzen soll und berät sie insgeheim.

Als wir vor der Gefahr warnten, wurde uns gesagt, wir sollten dies nicht so ernst nehmen. Nur eine Minderheit der Siedler seien fanatische Freaks, beruhigte man uns: "Die sind wirklich verrückt und sie werden jedem Versuch, sie zu entfernen, gewaltsam Widerstand leisten. Aber das wird kein großes Problem sein, weil der größte Teil der israelischen Bürger sie verabscheut und sie für eine Sekte von Spinnern hält."
Die meisten Siedler seien keine Fanatiker, wurde uns gesagt. Sie gingen dorthin, weil ihnen die Regierung teure Villen geschenkt hat, die sie sich in Israel selbst nicht mal im Traum hätten vorstellen können. Sie suchten "Lebensqualität". Wenn die Regierung ihnen sagen werde, sie sollen weggehen, werden sie ihre Kompensationen nehmen und wegziehen.

Das ist natürlich eine gefährliche Täuschung. Wie Karl Marx sagte, wird das Bewusstsein der Leute von ihrer Situation bestimmt. Die guten Sozialdemokraten, die von der sozialdemokratischen Regierung (Awodah) auf die Westbank und in den Gazastreifen verpflanzt wurden, reden und benehmen sich jetzt wie die schlimmsten Jünger der faschistischen Lehren des Meir Kahane.
Außerdem wurde uns gesagt: "Sogar die irren Typen erkennen die israelische Demokratie an. Keiner wird seine Hand gegen die Soldaten der israelischen Armee erheben. Wenn die Regierung und die Knesset entscheidet, die Siedlungen müssten geräumt werden, dann werden sie gehorchen. Sie werden wohl Radau machen und eine Show des Widerstandes abziehen, wie sie es bei der Räumung der Siedlungen im Nordsinai 1982 machten, aber letzten Endes werden sie nachgeben. Schließlich hat sich auch im Sinai kein einziger Siedler zu guter Letzt geweigert seine Entschädigungen anzunehmen.

Aber diese Geringschätzung der Siedler ist nicht weniger gefährlich als die Geringschätzung der Araber. Was die ganze Zeit verborgen gehalten wurde, ist nun deutlich geworden: Den Siedlern sind die Demokratie und die Institutionen des Staates völlig egal. Ihr harter Kern legt es folgendermaßen aus: Wenn die Resolutionen der Knesset der Halachah - dem jüdisch religiösen Gesetz – widersprechen, dann hat die Halachah Priorität. Die Knesset bestünde schließlich nur aus einer Bande korrupter Politiker. Und welchen Wert haben säkulare Gesetze, ein Abklatsch der Goyim (Nicht-Juden), im Vergleich zum Wort Gottes: Gelobt sei sein Name?

Viele Siedler reden noch nicht so offen und tun so, als wären sie beleidigt, wenn man ihnen diese Haltung vorwirft. Tatsächlich aber werden sie vom harten Kern mitgezogen, der schon alle Masken hat fallen lassen. Sie fordern nicht nur die Politik der Regierung heraus, sondern auch die israelische Demokratie als solche. Sie erklären offen, ihr Ziel sei es, den Rechtsstaat zu stürzen und an seine Stelle den Staat der Halachah einzusetzen.
Der Rechtsstaat ist dem Willen der Mehrheit unterworfen, die die Gesetze erlässt und, wenn notwendig, ändert.
Der Staat der Halachah ist der nationalreligiösen Lehre und ihrer Auslegung der Torah unterworfen, die angeblich ein für alle Mal so am Berg Sinai zu verstehen war und unveränderlich ist. Nur eine sehr kleine Anzahl von herausragenden Rabbinern hat die Autorität, die Halachah auszulegen. Das ist das Gegenteil von jüdischer Diskussionskultur und natürlich auch von Demokratie. In einem anderen Land würde man diese Leute Faschisten nennen. Dass sie sich gerne eine religiöse Färbung geben, ändert nichts daran.

Die religiös-rechten Rebellen sind stark motiviert. Viele von ihnen glauben an die Kabbala – nicht die modische Kabbala von Madonna, sondern an "die wirkliche". Diese besagt, die heutigen nicht-orthodoxen Juden seien Amalekiter, denen es nach dem Auszug aus Ägypten gelungen sei, sich in das Volk Israel einzuschleichen.* Gott selbst hat – wie jeder weiß – den Befehl gegeben, die Amalekiter vom Antlitz der Erde zu vertilgen. Kann es eine vollkommenere Ideologie für einen Bürgerkrieg geben?

Warum ist dies zu diesem Zeitpunkt eine Bedrohung geworden? Es ist noch nicht klar, ob Sharon wirklich beabsichtigt, die wenigen Siedlungen im Gazastreifen zu räumen. Aber so, wie die Siedler es sehen, ist allein der Gedanke, eine einzige Siedlung zu räumen, ein casus belli. Dies würde alles angreifen, was ihnen heilig ist. Sharon versucht, sie zu überzeugen, dies sei nur ein Trick – ein paar kleine Siedlungen zu opfern, um all die anderen zu retten. Vergeblich.
Die Siedler haben, um ihre große Rebellion vorzubereiten, ihr Potential aufgedeckt. Die bekanntesten Rabbiner der "religiös zionistischen Bewegung" haben erklärt, die Evakuierung einer Siedlung sei eine Sünde gegen Gott und die Soldaten aufgerufen, sich den Befehlen zu widersetzen. Hunderte von Rabbinern, einschließlich der Rabbiner der Siedlungen und der religiösen Armeeeinheiten, haben sich diesem Aufruf angeschlossen.
Die Stimme der wenigen Opponenten ist im Lärm untergegangen. Sie zitieren den Talmud und sagen "Das Gesetz des Königreichs ist Gesetz". Das heißt, man muss der Regierung des Staates gehorchen. Aber wer hört jetzt noch auf diese "moderaten Rabbiner"?**
Längst ist die Armee von innen erobert worden. Die "Vereinbarung" mit den Yeshivot Hesder, religiöse Akademien, die in der Armee als getrennte Einheiten ihren Dienst tun, hat einem riesigen trojanischen Pferd erlaubt, einzudringen. Bei jeder Auseinandersetzung zwischen ihren Rabbinern und den Armeekommandeuren werden die Soldaten der Yeshivot den Rabbinern gehorchen. Es ist aber noch schlimmer: seit Jahren sind die Siedler systematisch in die Ränge des Offizierskorps eingedrungen, wo sie nun sogar ein noch größeres Trojanisches Pferd darstellen.

Die Verweigerung derjenigen vom rechten Flügel, Befehlen zu gehorchen, hat nichts mit der Verweigerung der vom linken Flügel zu tun, die aus Gewissensgründen verweigern. Die Verweigerung der Linken ist persönlich. Die Verweigerung der Rechten ist eine kollektive Meuterei. Bei den Linken sind es nur ein paar Hundert, die sich weigern, der Besatzung zu dienen. Auf der Rechten sind es viele Tausend, sogar zehntausend, die den Befehlen ihrer Rabbiner gehorchen. Wie der Generalstabschef gewarnt hat, kann sich die Armee aufspalten.

Alle zusammen mögen die Siedler mit ihren engsten Verbündeten in Israel einschließlich den Yeshivot-Studenten etwa eine halbe Million Leute sein – eine mächtige Phalanx der Rebellion.

Bis jetzt benutzen die Siedler diese Drohung nur als Instrument der Erpressung und Abschreckung, um von Anfang an jeden Gedanken über die Räumung von Siedlungen und Gebieten abzuwürgen. Aber wenn die Erpressung keinen Erfolg hat, wird die große Rebellion nur eine Frage der Zeit sein.

* bei Kabbala-Forscher Seffi Rachlewski: "Der Esel des Messias" (hebr) nachzulesen.

Bewegung der Befürworter des Abzugs aus Gaza:
Die Vertreter der stillen Mehrheit

Eine neue Bewegung möchte die die Mehrheit des Volkes davon überzeugen, dass sie tatsächlich die Mehrheit des Volkes - und um Himmels willen kein bisschen links ist - tfu, tfu, tfu!...

Umsetzung des Abkopplungsplans:
Er hat ein Mandat
Angesichts der Drohungen und der politischen Agitation, die wie ein Hurrikan über das Land ziehen, gibt es nichts gefährlicheres als die Behauptung, Sharon habe kein Mandat für die Umsetzung des Abkopplungsplans...

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Das Zentralorgan der National-Religiösen Partei, die in erster Linie die Interessen der Siedler vertritt, kontert die Kritik von Generalstabschef Ja’alon...

Die Vorzüge des Referendums:
Ein Lehrstück zum Thema Götzendienst
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Hochspannung in Jerusalem:
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Der "schicksalhafte Dienstag", der Tag der Abstimmung über die Loslösung, rückt näher. Die Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen in der Knesset nimmt zu. Im Regierungsviertel wurden bereits beispiellose Absicherungsmaßnahmen getroffen...

Ein Viertel der Israelis:
"Kahana hatte recht"

Viele Israelis sehen gesteigerte Aussichten auf einen weiteren politischen Mord und knapp 60% der Israelis zwischen 18 und 22 Jahren befürworten den Transfergedanken - die Vertreibung der Araber aus Israel...

Kampf um Leben und Tod:
Die Historie und die Hysterie
Anfang 1952, genau sieben Jahre nach der Niederlage Nazideutschlands, beschloss David Ben-Gurion, es müsse ein Entschädigungsabkommen mit Deutschland unterzeichnet werden, um die Masseneinwanderung aufzunehmen...

Übersetzung des Artikels von Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert

**Anm. haGalil: Ein von National-Religiösen immer wieder in's Feld geführtes eindeutiges Verbot, auf Teile des Landes Israel zu verzichten, existiert überhaupt nicht. Wenn sich ein Verzicht empfiehlt um Leben zu retten, Frieden zu schaffen oder um andere Teile des Staates zu stärken, kann ein Verzicht durchaus geboten sein. In den Heiligen Schriften sind zahlreiche Beispiele bekannt, angefangen bereits bei Awraham, der Lot die Hälfte des Landes gab. Aber auch spätere Beispiel sind erwähnt: König Salomo übergab zwanzig Städte an Hiram, den König von Tyrus. Yochanan Ben Zakai verzichtete auf Jerusalem und bat "Bringt mir Yavneh und Weise".
Es gibt ein von national-religiösen immer wieder angeführtes Gebot, im Land Israel zu leben. Andere Autoritäten widersprechen der Gültigkeit dieses Gebots, zumindest habe es nach halachischer Definition nicht die gleiche Bedeutung wie die Kaschruth oder die Einhaltung des Schabath.
Der frühere Vorsitzende "Meimad"-Bewegung, Rabbiner Yehuda Amital erklärte, dass die Halacha überhaupt kein legitimes Werkzeug sei, das man sich in Sachen Siedlungsaufgabe zu nutze machen könne. "Das ist keine halachische Frage", so Amital, "die Halacha hat entschieden, dass man sich zu Gunsten des Staates Gedanken machen soll, und was für den Staat gut ist, das definieren verschiedene Menschen aus verschiedenen Nöten heraus, hier geht es also um eine politische Meinungsverschiedenheit, und die Halacha hat hier überhaupt keinen Status".

hagalil.com 24-10-2004

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