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Promises - endlich auf Video!


 

Noch ist der Tunnel vor uns dunkel. Aber nach zwei Jahren von Angst und Verzweiflung scheint wenigstens ein kleines Licht am Ende des Tunnel zu erscheinen. Um noch einmal Winston Churchill zu zitieren: "Dies ist nicht das Ende. Es ist nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs".

Es beginnt sich etwas zu ändern:
Warum verbirgt der Leopard seine Flecken?

von Uri Avnery

Ich bin gegen Binyamin Netanyahu, und deshalb hoffte ich, dass er als Führer des Likud gewählt würde. Ich bedaure, dass Sharon die Vorwahlen gewonnen hat.

Wie kam’s dazu? Immerhin hatte Bibi sich als Mann der extremen Rechten präsentiert und gefordert, dass Yasser Arafat zu beseitigen sei. Er selbst zeigte sich bereit, bis zum letzten Tropfen (unseres) Blutes gegen die Schaffung eines palästinensischen Staates zu kämpfen. Nicht wie Sharon, der sagt, dass er bereit sei, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren, und der nicht mehr davon spricht, Arafat zu vertreiben. Warum also hätte ich Netanyahu vorgezogen?

Weil Netanyahu ein prinzipienloser Politiker ist, der bereit ist, jederzeit seine Positionen zu ändern. Er erinnert mich an Groucho Marx, der einmal erklärte: "Dies sind meine Ansichten. Wenn sie dir nicht gefallen, dann hab ich auch noch andere." Er kann leicht seinen rechts gerichteten Slogan in einen links gerichteten auswechseln.

Sharon ist ganz anders: er ist unbeugsam, und er hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert. Er ähnelt einem Militär-Bulldozer in Jenin, der alle ihm im Wege stehenden Mauern niederwalzt und Häuser über ihren Bewohnern einstürzen lässt. Sein Lebensziel ist es, die palästinensische Nation zu zerstören und die Palästinenser in isolierte Enklaven einzusperren, bis die Zeit für die Vertreibung aller aus dem Lande reif ist. Im Augenblick versteckt er seine unerschütterliche Neigung zu diesem Plan hinter der Maske eines gütigen, milden Großvaters, der sich niedergelassen hat und nichts anderes wünscht, als seine Karriere mit Frieden machen zu krönen.

An der Spitze vom Likud wäre mir ein prinzipienloser Politiker lieber gewesen als ein verkappter konsequenter Fanatiker. Es wäre für Mitzna leichter gewesen, ihn zu besiegen. Im Konkurrenzkampf um die Likudführung war Netanyahu ein Schaf im Wolfspelz, während Sharon ein Wolf im Schafsfell war. Die Likudleute zogen das Schafsfell dem Wolfspelz vor. Und das ist bedeutsam.

Netanyahu hatte nicht begriffen, dass die Meinung der Likudmitglieder sich geändert hatte. Er machte einen großen Fehler - einen von vielen - als er mitten in der Wahlkampagne entschied, eine ultrarechte Position einzunehmen, Arafats Ausweisung forderte und sich gegen einen palästinensischen Staat aussprach. Es scheint, dass die meisten Likudmitglieder nicht mehr daran glauben, dass dies durchführbar ist. Am nächsten Tag bestätigte diese Folgerung eine öffentliche Meinungsumfrage: Die Hälfte der Likudanhänger würden einen palästinensischen Staat akzeptieren und wären mit der Räumung von Siedlungen einverstanden.

Sharon andererseits weiß, wie man eine Landkarte liest. Er gibt vor, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren und "schmerzvolle Konzessionen" zu machen. Dies ist natürlich nur eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Er machte seine Akzeptanz eines palästinensischen Staates von so vielen unmöglichen Bedingungen abhängig, dass sie von jeglichem Inhalt entleert ist. Sharon bleibt derselbe Sharon und wird immer derselbe Sharon bleiben. Der Leopard wird seine Flecken nicht ändern (Jer.13,23), aber es ist ihm klar, dass er sie verbergen muss. Der ihm vertrauenden Öffentlichkeit zeigt er sich wie ein Gemäßigter im Gegensatz zum extremen Netanyahu. Und Wunder über Wunder: der Likud, die Partei der Rechten zieht den Kandidaten, der sich moderat gibt, demjenigen vor, der sich als Extremist vorstellt.

Das ist nicht das einzige Wunder: ein paar Tage vorher ereignete sich etwas Ähnliches in der Arbeitspartei, als Binyamin Ben-Eliezer von Amram Mitzna geschlagen wurde. Es gibt Ähnlichkeiten zwischen den beiden Binyamins, Ben-Eliezer ist wie Netanyahu ein prinzipienloser Geselle, der bereit ist, seine Ansichten wie die Socken zu wechseln. Mitzna dagegen ist ein Mann von klaren Prinzipien.

Mitzna ist eine ausgesprochene Taube. Im Gegensatz zu der Linie des rechten Flügels von Ben Eliezer, stellt sich Mitzna seinen Wählern als klare Alternative des linken Flügels dar: Verhandlungen mit Arafat, Räumung der meisten Siedlungen, sofortiger Rückzug aus dem ganzen Gazastreifen, ein Kompromiss über Jerusalem, ein palästinensischer Staat. Dennoch hat eine überwältigende Mehrheit der Wähler der Labourpartei statt Ben-Eliezer ihn, Mitzna, gewählt.

Lassen wir kein Missverständnis aufkommen. Mitzna ist kein Gush Shalom-Mitglied. Einige seiner Slogans sind für mich unannehmbar. Aber er steht in der politischen Arena fest auf der Linken. Wenn man nicht die besondere Bedeutung seiner Wahl als Führer der Arbeitspartei begreift, dann hat man nicht begriffen, was unter der Oberfläche der israelischen Gesellschaft passiert.

Neue unterirdische Strömungen sind im Gange

Ein Wunder kann Zufall sein. Zwei dagegen zeichnen eine Tendenz ab. Wenn in beiden großen Parteien - Likud und Labour - die Kandidaten mit dem mehr "links gerichteten" Programm den Kandidaten mit dem eher "rechts gerichteten" Programm besiegen, beweist dies, dass neue unterirdische Strömungen im Gange sind.

Man mag noch das Geschehen in der Nationalreligiösen Partei hinzunehmen. Es gab einmal eine Zeit, in der diese Partei sehr gemäßigt war. In den Fünfzigern, als der gemäßigte Moshe Sharett gegen die extrem ausgerichtete Linie von David Ben-Gurion kämpfte, unterstützte sie im allgemeinen Sharett. Seitdem hat sie, wie fast das ganze religiöse Lager, sich immer mehr zur extremen Rechten bewegt. Vor einem Jahr hat sie sich Effi Eitan als Führer erkoren. Würde man diesen mit Haider und Le Pen vergleichen, dann müssten letztere als feinfühlige Liberale bezeichnet werden.

Doch siehe da! Als in dieser Woche die Kandidaten für die Knessetwahlen ausgewählt wurden, wandten sich diese - die Nationalreligiösen, gegen ihren neuen Führer und füllten die begehrtesten Plätze auf der Liste mit Leuten, die (verhältnismäßig) moderat sind.

Wenn man alle diese Tatsachen zusammensieht, was verraten sie uns dann? Sie zeigen auf, dass das ganze System sich langsam nach links bewegt. Die Leute haben den Krieg, das nicht endende Blutvergießen, die wirtschaftliche Krise und den sozialen Zusammenbruch einfach satt. Das Volk will eine Lösung. Es sucht nach einem Kompromiss. Es ist bereit, dafür zu zahlen.
Dies gibt Mitzna eine Chance. Es wird für ihn sehr schwierig werden, zu gewinnen, aber es ist nicht unmöglich. Und selbst wenn es ihm diesmal nicht gelingt, dann kann er es das nächste Mal, was in einem Jahr oder so sein kann. Vorausgesetzt natürlich, dass er nicht in die Falle einer Nationalen Einheitsregierung fällt.

Es ändert sich etwas in diesem Land. Die Leute reden wieder über Dinge, die anscheinend gestorben waren: die Grüne Linie (67er-Grenze), Evakuierung der (meisten) Siedlungen, Austausch von Land, Gespräch mit Arafat, die Taba- und Clintonpläne, internationale Beobachter.

Noch ist der Tunnel vor uns dunkel. Aber nach zwei Jahren von Angst und Verzweiflung scheint wenigstens ein kleines Licht am Ende des Tunnel zu erscheinen. Um noch einmal Winston Churchill zu zitieren: "Dies ist nicht das Ende. Es ist nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs".

www.uri-avnery.de 01.12.2002
[ Übersetzt von: Ellen Rohlfs | Orginalartikel: "Why Does the Leopard Hide his Spots?"]

hagalil.com 11-12-2002

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