Uri Avnery
Der „Rechtsberater der Regierung“ ist ein merkwürdiges Tier. In
letzter Zeit sind auch seine Aktivitäten merkwürdig geworden. Wie der
mythologische Zentaur, der halb Mensch und halb Pferd war, besteht das Büro
des Rechtsberaters aus zwei Teilen.
Einerseits gibt die Person, die hinter diesem Titel steht, der Regierung
rechtliche Beratung. Die Regierung ist natürlich eine politische
Körperschaft, die aus Politikern zusammengesetzt ist. Wenn eine Regierung
seinen Rechtsberater ernennt, dann wählt sie eine Person, die mit ihrer
Auffassung und Meinung überein stimmt.
Andererseits ist der Berater auch der höchste Beamte des Landes bei der
Rechtsvollstreckung. Als solcher hat er immense Macht. Er hält das Schicksal
vieler Menschen in seiner Hand, entscheidet, wer angeklagt wird oder nicht,
gegen wen ermittelt wird oder nicht. Seiner Stellung entsprechend, erwartet
man von ihm vollständige Unabhängigkeit, frei von irgendwelchen politischen
und Partei gebundenen Neigungen. Weder die Regierung noch der Justizminister
oder ein anderer Minister, hat das Recht, ihm Befehle zu erteilen.
Auf den ersten Blick sind dies zwei sich widersprechende Funktionen. Eine
Person, die von einer Gruppe Politiker, „Regierung“ genannt, gewählt wurde,
kann nicht unabhängig sein. Aber eine unabhängig eingestellte Person kann
die Regierung nicht zufrieden stellen. Deshalb ist mehrfach vorgeschlagen
worden, diese beiden Funktionen von einander zu trennen. Die Regierung würde
weiter ihren Rechtsberater wählen, während der Oberstaatsanwalt vom
Präsidenten des Obersten Gerichtshofes oder einem unabhängigen Komitee
ernannt werden würde. Diese Vorschläge wurden zurückgewiesen, weil alle
Regierungen den Status quo bevorzugen.
Jeder Rechtsberater hat bis jetzt versucht, dieses Problem auf seine
eigene Weise zu lösen. Als der inzwischen verstorbene Chaim Cohen diese
Funktion während der 50er Jahre ausgeübt hat -bevor er zum Richter des
Obersten Gerichthofes ernannt wurde - war er gegenüber David Ben Gurion, dem
damaligen Premierminister, vollkommen unterwürfig. Meir Shamgar, Aharon
Barak und Yitzhaq Zamir andrerseits achteten eifersüchtig auf ihre
Unabhängigkeit und agierten mit großer Integrität. Der augenblickliche
Rechtsberater Elyakim Rubinstein ....
Nun mit Elyakim Rubinstein ist es etwas anderes. Er ist ein besonderer
Typ.
Von seinen ersten Anfängen an war er in die staatlichen Angelegenheiten
verwickelt. Er war ein Handlanger von Moshe Dayan, der den Kipa tragenden
jungen Mann als hervorragend beurteilte. Danach diente er Menahim Begin in
Camp David 1 (bei den Verhandlungen mit Sadat). Er war mehr als nur ein
Rechtsberater. Da Begin seinen Justizminister, Shmuel Tamir nicht ertragen
konnte, beförderte er Rubinstein. Von da ab wurde „Elyokim“, wie seine
Freunde ihn nennen, eine zentrale Figur in den vielen Runden von
Friedensverhandlungen.
Es mag erscheinen, dass sein hautsächlichster Beitrag auf dem Gebiet des
Humors liegt. Er ist randvoll mit jüdischen Witzen, die er bei jeder
Gelegenheit von sich gibt. Nicht jeder teilt diese Leidenschaft. Arabische
Unterhändler haben sich wiederholt beklagt, dass seine Witze kränkend und
beleidigend sind. Von Präsident Clinton wird gesagt, dass er diesen Mann
unerträglich findet.
Nachdem Binyamin Netanyahu ihn zum Rechtsberater ernannte, hielt sich
Rubinstein zunächst zurück. Aber in letzter Zeit ist seine politische Agenda
klar zum Vorschein gekommen.
Ich selbst kann es bezeugen. Als Gush Shalom warnte, dass gewisse
IDF-Aktionen als Kriegsverbrechen betrachtet werden können, und die
verantwortlichen Offiziere das Risiko der gerichtlichen Verfolgung im
Ausland eingehen, hatte Sharon einen Wutanfall und forderte, das
Gush-Aktivisten wegen Hochverrat vor Gericht gebracht werden sollen. Der
Rechtsberater war gezwungen festzustellen, dass es keine rechtliche Basis
dafür gibt; aber er drohte damit, sie wegen „Einschüchterung“ der Offiziere
anzuklagen. (Vielleicht war das eine Art jüdischer Witz: die Gush-Aktivisten
einzuschüchtern, indem man sie der Einschüchterung der am besten geschützten
Leute Israels verklagt.)
Aber das war nur eine sehr kleine Affäre, verglichen mit dem letzten
Ausbruch Rubinstein’scher Aktivitäten: er hat gefordert, dass das Zentrale
Wahlkomitee die (arabische) Wahlliste der Balad-Partei, die von MK Azmi
Bishara angeführt wird, verbietet (zusammen mit dem rechtsextremen
(jüdischen)Rowdi, Baruch Marzel).
Dieser Akt allein ist schon ohne Präzedenzfall. Der Rechtsberater hat
keinen Rang in diesem Wahlkomitee, einer unabhängigen Körperschaft, die
zusammengesetzt ist aus Vertretern der verschiedenen Parteien und angeführt
von einem Richter. Jedes Mitglied dieses Komitees kann verlangen, dass eine
Wahlliste oder ein einzelner Kandidat nicht zugelassen wird. Aber das Gesetz
gewährt dieses Recht nicht dem Rechtsberater, eines Beamten der Regierung,
weil dies Einmischung durch die Exekutive in die parlamentarischen
Angelegenheiten bedeuten würde.
Rubinstein behauptet, dass Bishara und seine Partei zwei Paragraphen
eines Gesetzes verletzt hätten, das kürzlich von der rechten Mehrheit der
Knesset angenommen wurde: a) Sie erkennen Israel nicht als „jüdischen und
demokratischen Staat“ an und b) sie unterstützen den bewaffneten Kampf der
Feinde Israels. Zu dem Zweck zitierte er geheime Berichte des Geheimdienstes
(auch als Shin Beth oder Shabak bekannt).
Ich habe damit ein persönliches Problem. Um es milde auszudrücken: ich
glaube nicht ein einziges Wort, das vom Geheimdienst geäußert wird. Ich sage
- Gott bewahre - nicht, dass der immer lügt. Manchmal sagt er wahrscheinlich
auch die Wahrheit. Aber jede gut informierte Person weiß, dass der
Geheimdienst und die Armeesprecher Desinformationen en gros produzieren. Ich
glaube keinem käuflichen oder erpressten Kollaborateur, noch durch Folter
erzwungene Informationen und ganz sicher nicht politischen Analysen, die von
Sachbearbeitern erstellt werden, deren Förderung vom Premierminister
abhängen.
Den bewaffneten Kampf der Feinde Israels zu unterstützen, ist eine
kriminelle Straftat. Es gibt viele Gesetze, die dafür bestimmt sind, diese
zu verfolgen. Jedoch jede Person - sogar ein Araber - ist so lange
unschuldig, bis er für schuldig befunden wird. Man sollte ihm seine
Kandidatur nicht entziehen, bevor dies nicht geklärt ist.
(Rubinsteins jüdischer Humor weiß, die Ironie zu schätzen: er hat schon
Strafverfahren gegen Bishara eingeleitet. Falls das Wahlkomitee jetzt
Bishara das Recht, für die Knesset zu kandidieren, verbietet, wird er zum
Obersten Gerichtshof gehen. Dann wird der Oberste Gerichtshof über Bisharas
Unschuld/ Schuld entscheiden müssen, bevor die untere Gerichtsbehörde den
Fall angehört hat.
Was den Charakter des Staates betrifft, ist es wohl bekannt, dass Bishara
ein Israel wünscht, der ein „Staat ist, der all seinen Bürgern gehört“
(einschließlich der arabischen Bürger, die fast 20% der Bevölkerung
ausmachen). Man mag damit einverstanden sein oder nicht ( ich tue es ganz
sicherlich), aber das ist ein legitimes Problem für eine Debatte. In einer
demokratischen Gesellschaft hat jede Person das Recht, das Gesetz mit
legitimen Mitteln zu ändern. Die Knesset existiert unter anderem deshalb, um
für solche Debatten eine Arena bereitzustellen. Als ich ein Mitglied war,
versuchte ich verschiedene Male, solche Diskussionen in die Wege zu leiten.
Nun scheint es, dass nach dem Fall des kommunistischen Regimes in der
Sowjet Union, Israel, Iran, China, und Nord-Korea die letzten Länder in der
Welt sind, die Bemühungen verbieten, die regierende Ideologie mit legitimen
Mitteln zu ändern.
Rubinstein behauptet, dass Bishara nicht wirklich einen Staat wünscht,
der „all seinen Bürgern gehört“ sondern einen bi-nationalen, säkularen und
demokratischen Staat im ganzen Land zwischen Jordan und Mittelmeer. Selbst
wenn dies wahr wäre, sollte er nicht zum Schweigen gebracht werden. Ich bin
sehr gegen diese Idee und betrachte sie als äußerst unrealistisch. Aber
solange er innerhalb der Gesetzesgrenzen handelt - soll er das Recht haben,
sie zu propagieren.
Die ganze Angelegenheit hat jedoch eine versteckte Agenda. Bishara hat
damit gedroht, dass wenn seine Wählerliste verboten wird, dann wird er die
arabischen Wähler aufrufen, die Wahlen zu boykottieren. Da würde Sharon sich
ins Fäustchen lachen: ein Fünftel der Wähler, die alle links wählen würden,
wollen sich enthalten..... das würde einen Rechtsrutsch garantieren.
Ich verstehe die Logik von Sharon. Ich verstehe die Logik von Rubinstein.
Es gelingt mir in diesem Falle nicht, die Logik von Bishara zu verstehen.
Generalstaatsanwalt Elyakim Rubinstein:
Ausschluß der Balad-Partei von den Wahlen zur Kneseth
Laut Rubinstein widersprechen die Ziele der Balad der jüdisch-demokratischen
Gestalt des Staates Israel...