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Räumung illegaler Außenposten:
Die beste Show
Uri Avnery
Matthew Gutman - The Jerusalem Post - berichtet:
Fighting broke out today when about 1,000 Israeli
soldiers and police dismantled an illegal outpost Thursday near
Nablus on the West Bank.
Only 10 people lived in Mitzpe Yitzhar, but more than 1,000 settlers
arrived to resist its removal.
Despite requests by Knesset members Uri Ariel and Yuri Stern, and
Samaria Regional Council head Bentzi Lieberman asking the protesters
not to respond violently, the scuffles broke out when security
forces attempted to take down a tent that was used as the outpost
synagogue.
Some 30 security personnel and pro-settlement activists were lightly
injured in the fighting. Some of the wounded were taken to hospital;
others received treatment at the scene...
thejewishweek.com |
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Selbst der talentierteste Regisseur hätte es nicht besser arrangieren
können. Die Show war perfekt.
Die Fernsehzuschauer in aller Welt sahen auf ihren Bildschirmen
heldenhafte Soldaten, wie sie mit fanatischen Siedlern kämpften. In
Nahaufnahmen: vor Leidenschaft verzerrte Gesichter, ein Soldat auf einer
Tragbahre, eine junge Frau schreit verzweifelt, Kinder weinen, junge Leute
stürmen wütend vorwärts, eine Menge Leute kämpfen miteinander. Eine
Schlacht, in der es um Leben und Tod geht.
Zweifellos, Ariel Sharon kämpft einen heroischen Kampf gegen die
Siedler, um sein Versprechen zu halten, "illegale, nicht genehmigte", sogar
"bewohnte" Siedlungsaußenposten zu entfernen. Der alte Krieger trotzt wieder
einmal - ohne zurückzuschrecken - einem entschlossenen Feind. |
Selbstverständlich folgert man in Israel und in aller Welt daraus: wenn
solch eine tumultartige Auseinandersetzung wegen eines winzigen
Außenpostens, der von kaum einem Dutzend Leuten bewohnt ist, stattfindet,
wie kann man dann von Sharon erwarten, dass er neunzig Außenposten entfernt,
wie in der Road Map (Friedens-Fahrplan von Akaba) versprochen wird. Wenn die
Dinge so liegen, wenn es nur um ein paar Zelte und ein kleines Haus aus
Stein geht, wie kann man dann davon träumen, eine richtige Siedlung zu
evakuieren, in der Dutzende, Hunderte oder gar tausend Familien leben?
Dies muss George Bush und seine Leute sehr beeindruckt haben.
Unglücklicherweise hat mich dies gar nicht beeindruckt - ich musste lachen.
In den letzten Jahren war ich Zeuge von Dutzenden von Konfrontationen mit
Soldaten. Ich weiß, wie diese sich wirklich abspielen.
Die israelische Armee hat in den besetzten Gebieten schon Tausende von
palästinensischen Häusern zerstört. Das geht folgendermaßen vor sich: früh
am Morgen umstellen Hunderte von Soldaten das Land. Hinter ihnen kommen die
Panzer und Bulldozer. Dann beginnt die Aktion. Wenn die Einwohner aus
Verzweiflung Widerstand leisten, schlagen die Soldaten mit Knüppeln, werfen
Tränengasgranaten, schießen mit Gummi ummantelten Metallkugeln, und wenn der
Widerstand noch größer ist, wird auch scharf geschossen. Alte Leute werden
auf den Boden geworfen, Frauen weggezerrt, junge Leute mit Handschellen
gefesselt und gegen eine Wand gestoßen. Nach ein paar Minuten ist alles
vorbei.
Gut, so behandelt man Araber - aber das werden sie doch Juden gegenüber
nicht tun, sagt man. Stimmt nicht. Natürlich tun sie das auch gegenüber
Juden. Das hängt davon ab, wer die Juden sind.
Ich z.B. bin Jude. Ich bin inzwischen fünf Mal mit Tränengas angegriffen
worden. Einmal war es ein spezielles Gas - ein paar Augenblicke lang
fürchtete ich, wirklich zu ersticken.
Während einer der Blockaden von Ramallah beschlossen wir, Nahrungsmittel in
die belagerte Stadt zu bringen. Wir waren ein paar tausend israelische
Friedensaktivisten, Juden und Araber. Am A-Ram-Checkpoint, nördlich von
Jerusalem, stoppte uns eine Reihe Polizisten und Soldaten. Beschimpfungen
von beiden Seiten wurde laut und viel Geschrei. Plötzlich wurden wir mit
Tränengas überschüttet. Tausende rannten hustend und würgend in Panik
auseinander, einige wurden überrannt und getreten, einer aus unserer Gruppe,
ein 82 jähriger Jude aus einem Kibbuz, wurde verletzt.
Ich habe Demonstrationen miterlebt, in denen auf israelische Bürger - im
allgemeinen Araber - mit Gummigeschossen geschossen wurde. Einmal war ich in
einem Klassenzimmer in Um-al-Fahem in Israel - es war voller Tränengas.
Wenn die Armee wirklich schnell und wirksam Mitzpe-Yitzhar evakuieren
wollte, hätte sie Tränengas benutzt. Die ganze Sache wäre in wenigen Minuten
vorbei gewesen. Aber dann hätte es keine dramatischen Bilder im Fernsehen
gegeben, und George W. hätte seinen Freund Arik gefragt: "He, warum machst
du nicht innerhalb einer Woche Schluss mit den Siedlungen?"
In andern Worten: dies war eine gut produzierte Show fürs Fernsehen.
Ein paar Tage vorher trafen sich die Verantwortlichen der Siedler mit Ariel
Sharon. Als sie herauskamen und sich Kameras gegenüber sahen, stießen sie
Drohungen aus, aber wer diese Leute kennt und in ihre Gesichter auf dem
Fernsehschirm schaute, konnte erkennen, dass keine starken Gefühle dahinter
steckten. Natürlich riefen die "Yesha*-Rabbis", eine Gruppe bärtiger
politischer Funktionäre, die Soldaten auf, den Befehlen nicht zu gehorchen
und baten den HERRN und Messias, ihnen zu Hilfe zu kommen - aber selbst hier
fehlte wirkliche Leidenschaft.
Warum? Weil alle wussten, dass alles mit Zustimmung im Voraus geplant war.
Die militärischen Führer und die der Siedler sind seit langem Kameraden und
Partner. Sie saßen zusammen und berieten, was geschehen solle - und was noch
wichtiger ist - was nicht geschehen dürfe: kein plötzlicher Angriff, keine
Bemühung, um Tausende junger Leute daran zu hindern, vorher den Ort zu
erreichen, keine Anwendung von Stöcken, Tränengas, Gummigeschossen oder
anderer Mittel außer den bloßen Händen. Die Soldaten würden nicht mit
Schutzhelmen oder -schilden ausgerüstet sein. Die Siedler würden schreien
und stoßen, würden die Soldaten aber nicht ernsthaft angreifen. Die ganze
Show würde weniger gewalttätig sein als eine normale Balgerei mit britischen
Fußball-Hooligans, würde aber im Fernsehen wie ein verzweifelter Kampf
zwischen titanischen Kräften aussehen.
Ariel Sharon hat einige Erfahrung mit solcherlei Dingen. Vor etwa 12 Jahren
leitete er eine ähnliche Show, als ihm nach dem Friedensvertrag mit Ägypten
vom Ministerpräsidenten Menahem Begin befohlen wurde, die Stadt Yamit auf
der nördlichen Sinaihalbinsel zu evakuieren. Zu jener Zeit war Sharon
Verteidigungsminister. Und wer war wohl einer der Führer des dramatischen
Widerstands? Tsachi Hanegbi, der jetzige Minister, der für die Polizei
verantwortlich ist.
Alle Bereiche des Establishments wirkten in dieser großen Show zusammen. Die
Medien widmeten dieser "Schlacht" viele Stunden. Dutzende Siedler wurden in
die Studios eingeladen und redeten endlos - während, so wie ich es sah,
keine einzige Person, die dem aktiven Friedenslager angehört, ans Mikrophon
gerufen wurde.
Sogar die Gerichte taten ihre Pflicht: die Handvoll Siedler, die wegen
gewalttätigen Widerstandes verhaftet wurden, wurden nach einem oder zwei
Tagen Gefängnis wieder nach Hause entlassen. Die Gerichte, die niemals
irgendeine Gnade gegenüber Arabern zeigen, behandelten die fanatischen
Siedler wie verirrte Söhne.
Die ganze Komödie wäre lustig gewesen, wenn es nicht ein sehr ernstes
Problem beträfe.
Solch ein "Außenposten" sieht wie ein harmloser Haufen von Wohnwagen auf der
Kuppe eines gottverlassenen Hügels aus - aber es ist weit entfernt davon,
harmlos zu sein. Es ist ein Symptom für ein ständig weiter wachsendes
Problem. Nicht umsonst rief Sharon - ja derselbe Sharon - vor ein paar
Jahren die Siedler auf, "soviel als möglich der Hügel von "Judäa und
Samaria" zu schnappen".
Das Übel entwickelt sich derart, dass eine Gruppe von Rowdys eine
Hügelkuppe, ein paar km von einer bestehenden Siedlung entfernt, besetzt und
dort einen Wohnwagen hinstellt. Nach einiger Zeit besteht der "Außenposten"
aus einigen Wohnwagen. Ein Generator und ein Wasserturm werden gebracht. Und
Frauen mit Babys erscheinen auf dem Schauplatz. Ein Zaun wird errichtet. Die
Armee sendet einige Militäreinheiten, um sie zu verteidigen. Aus
Sicherheitsgründen, so wird erklärt, sei es Palästinensern nicht erlaubt,
sich zu nähern, um zu verhindern, dass sie spionieren und einen Angriff
vorbereiten. Die Sicherheitszone wird immer größer. Die Einwohner der
benachbarten palästinensischen Dörfer können ihre Obst- und Olivenhaine und
ihre Felder nicht mehr erreichen. Wenn es trotzdem jemand versucht, ist er
in Gefahr, getötet zu werden. Jeder Siedler hat eine Waffe, und er hat vom
Gesetz her nichts zu befürchten, wenn er sie gegen einen verdächtigen Araber
anwendet. Natürlich sind alle Araber verdächtig.
Zufälligerweise habe ich einige Erfahrungen mit Mitzpe Yitzhak, dem
speziellen Außenposten, der in dieser Woche die Show abgab. Vor einigen
Monaten waren wir von den Bewohnern des palästinensischen Dorfes Habala
gerufen worden, um ihnen bei der Olivenernte
nahe dieses Außenpostens behilflich zu sein. Als die Pflücker in die Nähe
des Außenpostens kamen, eröffneten die Siedler das Feuer. Ein Israeli aus
unserer Gruppe wurde verletzt, als eine Kugel einen Stein vor seinen Füßen
traf.
Die "nicht genehmigten" Außenposten waren tatsächlich aber systematisch
errichtet worden - mit Hilfe der Armee und nach deren Plänen. Wenn mehrere
Außenposten in einer Region Wurzeln fassen, werden die palästinensischen
Dörfer dazwischen abgewürgt. Ihr Leben wird zur Hölle. Die Siedler und die
Armee hoffen verständlicherweise, dass die Dorfbewohner am Ende aufgeben und
das Land verlassen.
Will Sharon die Außenposten wirklich zu Dutzenden evakuieren? Das hängt
natürlich von seinem Freund George W. ab. Wenn die "hudna"
(Waffenstillstand) zwischen der Palästinensischen Behörde und Hamas erreicht
wird, mag Bush vielleicht ernsthaften Druck auf Sharon ausüben. Als ich
gestern Yassir Arafat besuchte, schien er vorsichtig optimistisch. Aber auch
er sagte, dass es nur noch vier Monate seien, um die Dinge in Bewegung zu
setzen. Ab November wird der amerikanische Präsident damit beschäftigt sein,
wieder gewählt zu werden.
Das bedeutet, dass Sharon nur noch ein paar Vorstellungen dieser Art im
Fernsehen zu produzieren hat - und dann können er und die Siedler wieder
aufatmen.
*YeSha = in der
Siedlersprache: Judäa und Samaria
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
uri-avnery.de
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hagalil.com 24-06-2003 |
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