Nach Akaba und zurück:
Erste Gedanken nach dem Akaba-Treffen
Uri Avnery
Solo-Vorstellung. Falls es ein gedrucktes
Programm gegeben hätte, würde es etwa so ausgesehen haben:
"Frieden im Heiligen Land" von George W. Bush
Direktor: George Bush
Hauptdarsteller: W.B.George
Musik: G.W. Bush
Bühnenbild: Bush W.George.
Reden: G.W.B.
Was führt Bush im Busch? Was veranlasst Bush
so zu handeln?
Warum auf einmal diese Begeisterung für die persönliche Intervention im
israelisch-palästinensischen Konflikt?
Ein rein politischer Gesichtspunkt: In Afghanistan herrscht Anarchie. Im
Irak sind alle hochtrabenden Pläne für eine "demokratische irakische
Regierung" zurückgestellt worden. In den USA zirkulieren hässliche
Zeitungs-Stories, die andeuten, dass die Bush-Regierung die Öffentlichkeit
absichtlich über die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen getäuscht
habe.
Bush benötigt ein unbestrittenes
Erfolgserlebnis im Nahen Osten. Was könnte es im Fernsehen Besseres /
Schöneres geben als ein Bild des Präsidenten der USA, der zwischen den
Ministerpräsidenten von Israel und Palästina steht - mit dem Hintergrund des
blauen Meeres und sich im Winde wiegender Palmen - und der den beiden
leidenden Völkern den Frieden bringt?
Zu diesem Zweck hat Bush eine brutale
Dampfwalze in Bewegung gesetzt, die jeden Widerstand zermalmt, den
palästinensischen genau so wie den israelischen. Bush diktierte praktisch
alle vier Reden selbst. Dies ist kein einmaliger Auftritt. Dies wird bis zu
den amerikanischen Wahlen im November 2004 so weitergehen. Bush möchte
wiedergewählt werden und diesmal wirklich mit echter Mehrheit. Deshalb
werden wir wahrscheinlich anderthalb Jahre lang im Schatten der
Bush-Initiative leben, die von Colin Powell und Condoleezza Rice
durchgesetzt wird. Die Israelis genau so wie die Palästinenser werden ihre
Pläne deshalb innerhalb dieses Rahmens auszuführen haben.
Und man bedenke, bitte: Bush ist nicht
Clinton. Clinton war ein attraktiver, sympathischer, sehr intelligenter,
idealistischer und hingebungsvoller Präsident. Er wollte wirklich das
Problem lösen. Aber es fehlte ihm an sittlichem Ernst und moralischer Kraft.
Bush hingegen ist kein Intellektueller. Ja, er ist sogar ziemlich primitiv.
Aber er hat eine brutale Willenskraft, die keinen Widerstand duldet. Wenn er
etwas will, dann entfesselt er die Macht der USA und erreicht es.
Nun wünscht er ein sichtbares Ergebnis in der israelisch-palästinensischen
Arena, ein Abkommen, das im Fernsehen gut aussieht und das für jeden
US-Wähler klar und deutlich ist. Jeder, der ihm in den Weg tritt, wird
zermalmt.
Es ist unmöglich, zu wissen, wie lange dieser Druck andauern wird. Manch
einer mag hoffen, dass dies bis zum Endabkommen währt. Andere rechnen mit
einigen Wochen. Aber in unserer verzweifelten Situation zählt jede einzelne
Woche.
Der Flugzeugträger wendet sich. Bushs
persönliche Kalkulationen müssen natürlich im nationalen Kontext gesehen
werden.
Unmittelbar nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme des Welthandelszentrum
(11.9.2001) schrieb ich in dieser Kolumne, dass dieses traumatische Ereignis
die US zwingen würde, ihre Politik im israelisch-palästinensischen Konflikt
zu ändern. Solch eine Gräueltat wäre unmöglich gewesen, ohne die in der
arabischen - ja, in der gesamten muslimischen Welt - ungeheuerlich
angestaute Wut und den Hass gegen die USA.
Da gibt es viele Ursachen. Vor allem aber ist
es die US-Unterstützung für Sharons Brutalität in den palästinensischen
Gebieten, die täglich von Millionen von Arabern und anderen Muslimen im
Al-Jazirah-Fernsehen zu sehen sind.
Damals sagte ich voraus, dass die USA schnell
agieren würden, um diese Politik zu ändern. Ich machte die Voraussage - und
nichts geschah. Ich musste ( wenigstens mir selbst gegenüber) eingestehen,
dass ich unrecht hatte, dass die amerikanische Logik nicht in der Weise
arbeitet.
Und nun geschieht es trotz allem. Zwei Jahre später änderten die USA ihren
Kurs. Ich hatte den Zeitfaktor nicht berücksichtigt. Ein Schnellboot wie
Israel kann innerhalb von Wochen seinen Kurs ändern - ein Flugzeugträger wie
die USA benötigt Jahre dazu.
Es wird gesagt, dass die amerikanische
Öffentlichkeit an Außenpolitik nicht interessiert sei, dass bei Wahlen nur
innenpolitische Probleme eine Rolle spielten. Das stimmt für normale Zeiten
wie die des George Bush sen. Aber die Ereignisse des 11.9. 2001 haben den
Nahen Osten in jedes amerikanische Wohnzimmer gebracht - so wie der
japanische Angriff auf Pearl Harbor. Nun ist dies zu einer innenpolitischen
Angelegenheit geworden.
Die Flecken des Leoparden. Hat Sharon seine
Haut gewechselt? Anscheinend. Er hat über die "Besatzung" gesprochen (und
postwendend verleugnet) Er ist dabei, "Außenposten" abzubauen (aber nur
Schein-"Außenposten") Er spricht von einem palästinensischen Staat (aber
nicht von einem "Staat Palästina"). Also was ist geschehen? Ist er alt
geworden? Verzweifelt? Weise?
Nichts von alledem. Als geborener Bauer ist er
empfindlich für Wetterwechsel. Er bemerkt die neuen Winde aus Washington.
Der lächelnde George W., sein großer Kumpel nimmt in privaten Gesprächen
einen rauen Ton an. Statt zu diskutieren, diktiert er. Er setzt Ultimaten.
Was soll nun getan werden? Sharon benimmt sich wie der Jude, der mit dem Tod
bedroht wird, wenn er nicht dem geliebten Pferd des polnischen Edelmannes
Lesen und Schreiben beibringt.. Der Jude bittet um drei Jahre Zeit, weil es
ein schwerer Job sei "Bis dahin wird entweder das Pferd oder der Edelmann
tot sein", beruhigt er sein jammerndes Weib.
Sharon akzeptierte das Bush-Ultimatum, aber
nur scheinbar. Er versucht, Zeit zu gewinnen, wenigstens bis nach den
US-Wahlen. Vielleicht wird Bush nicht wieder gewählt, vielleicht wird er
andere Probleme haben, mit denen er sich beschäftigen muss. Inzwischen wird
Sharon das unvermeidliche Minimum tun, all das verschieben, was verschoben
werden kann, betrügen, wo betrogen werden kann, verändern, was verändert
werden kann. Sein Hauptassistent Dov Weissglass ist ein großer Meister in
all diesen Dingen.
Sharons Endziel hat sich nicht geändert, und
in Akaba hat er nichts gesagt, was dem widerspricht. Wenn die Araber nicht
aus dem Lande fortgebracht werden können, dann müssen sie in isolierten
Enklaven eingesperrt werden, die mit künstlich geschaffenen Streifen Land
untereinander verbunden werden, um - wie versprochen - einen Zusammenhang
herzustellen. Er ist bereit, dies einen "palästinensischen Staat"zu nennen.
Er wird aus 42% der besetzten Gebiete bestehen, die im Ganzen 22% des
ursprünglichen Palästinas (also vor 1948) ausmachten. Die
Hauptsiedlungsblöcke werden bleiben, wo sie sind und schließlich von Israel
annektiert werden. Von Jerusalem und den Flüchtlingen wird gar nicht
geredet.
Wie wir viele Male gesagt haben: Hört nicht
auf das, was Sharon sagt, schaut auf das, was seine Hände tun. Wird er die
Siedlungen stoppen, wie der Fahrplan (Road Map) es verlangt? Wird er den
Ausbau von Ma’ale Adumin stoppen, wo jetzt Hunderte von neuen Häusern
geplant sind? Wird er den Bau des sog. "Trennungszauns" stoppen, dessen
alleiniger Zweck es ist, große Teile der Westbank abzutrennen? Wird er
sofort die 60 Siedlungs-Außenposten auflösen, die seit seiner Machtübernahme
gebaut wurden? Wird er die Armee aus der Zone A herausholen und die
Absperrungen und Blockaden der palästinensischen Städte und Dörfer beenden?
Alles andere würde nur Schwindel sein.
Der Gute und der Böse. Auf der
palästinensischen Seite hat sich etwas Interessantes zugetragen.
Ohne dass es jemand geplant hat, hat sich das Spiel "guter Polizist - böser
Polizist" entwickelt.
Die Amerikaner und die Israelis haben das Märchen vom "bösen Arafat"
aufgenommen, das von Ehud Barak erfunden worden war, um seinen enormen
Fehlschlag zu vertuschen. Um also nicht mit dem "bösen Arafat" reden zu
müssen, haben sie erklärt, dass Abu-Mazen die Inkarnation von allem Guten
und Schönen sei.
Das Ergebnis: um seinen Stand gegenüber Arafat
zu stärken, sind sie gezwungen, Abu-Mazen Dinge zuzugestehen, die sie Arafat
verweigerten. Die palästinensische Öffentlichkeit gab Abu-Mazen
eingeschränkte Unterstützung und wartet darauf, was er von Bush und Sharon
erlangen kann. Abu-Mazen kann sich ohne Arafat nicht bewegen. Aber die
Ergebnisse verpflichten Arafat nicht, der jederzeit erklären kann, dass er
kein Partner dieses Deals war. Eine ideale Situation für ihn.
Vom israelischen Gesichtspunkt aus, ist dies idiotisch. Falls wir zu
verhandeln und den Preis zu zahlen bereit wären, wäre es dann nicht besser,
dies mit der Person zu tun, die die Ware liefern kann?
Eine enorme Leistung. Falls die bewaffnete
Intifada endet, von welcher Seite könnte gesagt werden, dass sie den 32
Monate langen blutigen Kampf gewonnen habe?
Die objektive Antwort: unentschieden!
Die Palästinenser haben schrecklich gelitten. Ihre Infrastruktur ist
zerstört worden. Ihre Würde wurde mit Füßen getreten. Mehr als 2000 Männer,
Frauen und Kinder sind getötet worden, Zehntausende verletzt, Zehntausend in
Gefängnisse gesteckt. Ihre Häuser sind zerstört worden, ihre Bäume
ausgerissen, ihr Lebensunterhalt zerstört. Aber ihr Widerstand ist nicht
gebrochen worden - er ist am letzten Tag so stark wie am ersten.
Die Israelis haben viel weniger gelitten, aber
auch sie haben eine Menge gelitten: etwa 800 Israelis getötet, Hunderte
verletzt. Die Angst beherrscht die Straßen, Einkaufszentren, die Busse.
Private Wachmänner -- 100 000 von ihnen - sind überall. Die Intifada hat uns
etwa 20 Milliarden $ gekostet. Die Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise,
es gibt keinen Tourismus, keine ausländischen Investitionen, die
Lebensqualität ist gesunken. Der Wohlfahrtsstaat ist dabei,
zusammenzubrechen, die sozialen Spannungen wachsen. Aber die Armee fährt
fort, der palästinensischen Bevölkerung Schläge auszuteilen, und das
Siedlungsunternehmen ist in vollem Schwung.
Das "Unentschieden" hat eine Stimmung von
Hoffnungslosigkeit auf beiden Seiten geschaffen. Beide sind zu dem Schluss
gekommen, dass es keine militärische Lösung gibt.
Aber wenn es auch ein Unentschieden für beide Seiten gibt, von denen eine
1000 mal stärker als die andere ist - so ist es ein phantastisches Ergebnis
für die schwächere Seite.
Was ist erreicht worden? Welches Ergebnis
brachte Akaba? Was bedeutet die Road Map?
Die simple Antwort lautet nichts Substantielles, nur Wörter, Wörter, Wörter.
Aber auch Wörter haben Bedeutung.
Das Oslo-Abkommen hatte einen Geburtsfehler, weil das Endziel nicht beim
Namen genannt wurde: den Staat Palästina neben dem Staat Israel. Die Road
Map definiert klar dieses Ziel, das von der ganzen Welt bestätigt wurde und
mit dem Zugeständnis der rechtesten Regierung Israels, die es jemals hatte.
Dies ist ein großer Schritt nach vorne, eine Reise ohne Rückfahrkarte.
Der Sprecher der Siedler hat erklärt, dass dies "eine Belohnung für die
Terroristen" sei. Und tatsächlich ist dies das Ergebnis der Intifada. Ohne
sie würden die Palästinenser nichts erhalten haben.
Das Erscheinen eines Inspektionsteams ( bis jetzt nur Amerikaner) ist auch
sehr wichtig. Wir haben seit Jahren darum gebeten. Die Ära der Täuschung
geht dem Ende zu.
Die Auflösung der Außenposten ist ebenfalls
bedeutsam. Gewiss, dies betrifft nur wenige, die an sich unwichtig sind.
Aber - um noch einmal den Siedler zu zitieren: Selbst die Auflösung eines
einzigen Außenpostens bricht ein nationales Tabu. Es beweist, dass
Siedlungen aufgelöst werden können. Es schafft ein Beispiel, einen
Präzedenzfall.
Die Road Map sagt nichts über eine endgültige Grenze zwischen Israel und
Palästina. Das wird der Streitpunkt der nächsten Schlacht sein.
Aber wir bewegen uns vorwärts. Vielleicht nur mit einem kleinen Schritt.
Vielleicht mit einem größeren, als es scheint. Aber selbst bei
pessimistischster Einstellung ist dies ein Schritt in die richtige Richtung
- auf das Ende der Besatzung zu, in Richtung Frieden.
Betet für die Road Map! Dies ist das
traditionelle Gebet für Juden, die sich auf eine Reise begeben (in meiner
Übersetzung):
"Möge es Dir, unserm Gott und dem Gott unserer Väter, gefallen,
uns den Weg des Friedens zu zeigen
und unsere Schritte zum Frieden zu wenden
und unser Reisen im Frieden zu lenken,
damit wir unsere Reise in Freude und Frieden vollenden
und unterwegs vor allen Feinden und Gefahren
und vor allen Katastrophen dieser Welt bewahrt bleiben ...."
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
uri-avnery.de /
avnery-news.co.il
07.06.03
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