Im Teufelskreis:
Beneidet Abu-Mazen nicht!
Uri Avnery
Mein erster Eindruck von Abu-Mazen war der
eines ernsten, methodischen, irgendwie zurückhaltend Introvertierten. Er
erinnerte mich an einen Direktor eines Gymnasiums - sehr verschieden im
Vergleich zu Arafat, dem impulsiv Extrovertierten, der zu persönlichen
Gesten neigt, der auf alle in seiner Umgebung Wärme ausstrahlt.
Ich traf Abu-Mazen das erste Mal vor 21
Jahren. Wir waren geheim in Tunis, um Yassir Arafat zu treffen. Wir waren zu
dritt: Matti Peled, ein General der Reserve, Ya'acov Arnon, ein früherer
Generaldirektor des Finanzministeriums und ich. Wir trafen zunächst
Abu-Mazen, um praktische Vorschläge für gemeinsame Aktionen vorzubereiten,
und sie dann dem "Alten", wie Arafat - damals 54 - genannt wurde,
vorzulegen.
Ich hatte die Erwähnung des Namens Abu-Mazen
schon neun Jahre früher gehört, bei meinen ersten geheimen Kontakten mit
ranghohen PLO-Vertretern. Sie sagten mir, dass die Fatah-Führung ein Komitee
von drei Leuten für Kontakte mit Israelis bestimmt hat. Es waren die "drei
Abus" (wie ich sie nannte) Abu-Amar (Yasser Arafat), Abu-Iyad (Salah Halaf)
und Abu-Mazen (Mahmud Abbas).
Abu-Mazen war direkt für die Kontakte
verantwortlich, die 1974 begannen. Im ersten Stadium wurden sie mit mir
persönlich geführt. Aber vom Herbst 1976 an war der israelische Partner der
"Israeli Council for Israeli-Palestinian Peace". Die Palästinenser, mit
denen wir zusammentrafen, waren Sa'id Hamami und Issam Sartawi, die beide
von dem durch den vom Irak unterstützten palästinensischen Erzterroristen
Abu Nidal, einem Todfeind Arafats, ermordet wurden (1978 bzw. 1983).
Wenn beide, Arafat und Abu-Mazen, bei den
Treffen mit uns anwesend waren, erhielt ich ein klares Bild, in welchem
Range sie zu einander standen. Die detaillierte Diskussion wurde von
Abu-Mazen geführt, der gute Kenntnisse über israelische Belange hatte. Aber
es war Arafat, der letzten Endes die Entscheidung traf. Mehr als einmal
hatte ich den Eindruck, dass die ranghohen PLO-Führer damit ganz
einverstanden waren, die Verantwortung für gefährliche und unpopuläre
Entscheidungen, die zu einem Abkommen mit Israel führten, Arafat zu
überlassen.
Jetzt gibt es eine neue Situation. Arafat hat
zugestimmt, dass Abu-Mazen Ministerpräsident wird. (Die reine Tatsache, dass
die ganze Welt, einschließlich Israel, die palästinensische "Regierung" und
den "Ministerpräsident" willkommen heißt, ist ein großer Schritt in Richtung
der Gründung eines Staates von Palästina. In Oslo hat sich Israel noch den
Bezeichnungen "Präsident" "Regierung" und "Parlament" für die Palästinenser
widersetzt.)
Abu-Mazen hat gegenüber seinem Volk und
gegenüber der Welt eine große Verantwortung auf sich genommen. Er hat sich
selbst in eine nahezu unmögliche Situation begeben.
Sharon & Co verlangen, dass er zuerst allem
"Terrorismus" ein Ende setzt (in palästinensischer Ausdrucksweise
"bewaffneter Kampf"), die "terroristischen Organisationen" liquidiert, ihre
Waffen einsammelt und "Aufwiegelung" verhindert. Erst nach erfolgreicher
Erfüllung von all dem könnten reale Verhandlungen beginnen. Das Einfrieren
des Siedlungsbaus wird in diesem Stadium natürlich nicht einmal erwähnt.
Die palästinensische Öffentlichkeit
andrerseits fordert, dass die israelische Armee zuerst die palästinensischen
Städte verlässt, dass "gezielte Attentate", die Siedlungstätigkeit, das
Zerstören von Häusern und all die anderen Akte der Besatzung beendet werden
und reale Verhandlungen für die Errichtung eines Staates Palästina beginnen.
Das ist ein Teufelskreis.
Wenn die USA und Europa massiven Druck auf
Sharon ausüben, in der Art, wie sie auf Arafat Druck ausübten, dann könnte
der Teufelskreis überwunden werden. Die israelische Armee würde sich
zurückziehen, die Situation in den besetzten Gebieten würde sich vollkommen
verändern, die Palästinenser wären wieder in der Lage aufzuatmen, und
Abu-Mazen würde als der Führer erscheinen, der schon eine Menge erreicht
hat. Die Popularität der extremen Organisationen würde sich verringern.
Selbst wenn dies geschehen würde, kann
Abu-Mazen keineswegs davon träumen, eine Massenverhaftung vorzunehmen, die
Organisationen zu zerstören und ihre Waffen einzusammeln. Es gibt nichts,
was die Palästinenser mehr fürchten als einen Bruderkrieg. Aber der Druck
der palästinensischen öffentlichen Meinung würde wenigstens zu einem
wirksamen Waffenstillstand führen. Sogar die extremen Organisationen
reagieren auf die Einstellung ihrer Öffentlichkeit - wenn diese Ruhe
wünscht, dann verhalten sie sich ruhig. So war es schon einmal während der
ersten Phase nach dem Oslo-Abkommen.
Nehmen wir an, dass dies geschieht: Die
palästinensischen Angriffe würden fast vollkommen aufhören. (Es wird immer
einige Einzeltäter oder lokale Gruppen geben, die nach eigenem Ermessen
handeln) Die Abu-Mazen-Regierung würde in den palästinensischen Städten und
Dörfern gut funktionieren. Was dann?
Nach Veröffentlichung des Fahrplans, der sog.
"road-map", wird Sharon Dutzende von "Korrekturen" vorschlagen, obwohl der
Plan sich schon jetzt sehr nach Sharon richtet. Während die Palästinenser
bei den Oslo-Abkommen schon 78% ihres Landes aufgegeben und akzeptiert
haben, ihren eigenen Staat auf den restlichen 22% zu gründen und erklärt
haben, dass sie in friedlicher Koexistenz mit Israel leben wollen, redet
Sharon von "schmerzlichen Konzessionen" ohne auszusprechen, was er in
Wirklichkeit damit meint.
Sollten Sharons "Korrekturen" auch nur
teilweise akzeptiert werden, würde der Plan den größten Teil seines Gehaltes
verlieren, dann würde Abu-Mazen mit leeren Händen dastehen. Die
Verhandlungen würden wie bei früheren Runden stagnieren. Nach und nach
würden die Palästinenser zu der Folgerung kommen, dass sie ohne Gewalt
nichts erreichen, die kämpfenden Organisationen werden wieder die Initiative
ergreifen, und der bewaffnete Kampf wird wieder aufgenommen.
Sharon und Bush werden natürlich den
Palästinensern die Schuld zuweisen. Sie werden sagen, dass Abu-Mazen die
Ware nicht geliefert hat. Die Palästinenser werden ihrerseits sagen, dass
Abu-Mazen naiv ist, dass er sich in die amerikanisch-israelische Falle hat
locken lassen. Er wird zurücktreten. Arafats Ansehen wird sich zu neuen
Höhen erheben.
Das nächste Kapitel kann vorausgesehen werden.
Die christlichen Fundamentalisten und die zionistischen Neo-Konservativen,
die zur Zeit Washington beherrschen, werden fordern, dass man Sharon freie
Hand gibt. Die Palästinenser werden sich auf die dritte Intifada einlassen,
noch extremer als die vorhergehenden. Blut und Feuer und Rauchsäulen!
Es könnte anders kommen. Zum Beispiel: Die USA
hören damit auf, die andern Quartett-Mitglieder (EU, die UNO, Russland) mit
Verachtung zu behandeln; sie üben dagegen Druck auf Sharon aus; Bush wird
nicht wieder gewählt; die Verhandlungen kommen zu positiven Ergebnissen; das
israelische Friedenslager gewinnt und der palästinensische Staat wird im
Frieden gegründet.
Im Heiligen Land haben sich schon Wunder
ereignet.
Aber vorläufig ist Abu-Mazen nicht zu beneiden.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser
autorisiert)
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22.03.03
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