JERUSALEM- Ahmad kämpft, er kämpft gegen den Sog der Gewalt,
aber der palästinensische Oberschüler gerät schwer ins Straucheln. Er
schwänzt die Schule, er trennt sich von seiner Freundin, und in ihm kocht
der Zorn hoch, der Zorn, der ihm sagt, dass nur noch der Weg der Gewalt
bleibt, um Israels Präsenz in den besetzten Gebieten zu beenden.
In dem Café, in dem Ahmad einen Teilzeitjob hat, machen sich
die Stammkunden Sorgen, vor allem, nachdem er durch seine Prüfungen
durchfällt. Wird Ahmad dem Ruf der Gewalt widerstehen ? Oder sollte es am
Ende doch noch einen anderen Weg geben ?
13 Wochen lang beschäftigten diese Fragen die Fantasie der
palästinensischen Jugendlichen letzten Sommer. Man konnte sie zweimal pro
Woche am Radio kleben sehen, wie sie den Äther nach Sendern durchforsteten,
die "Die Heimat ist unsere Heimat", die Seifenoper über Ahmad, seine Freunde
und seine Familie ausstrahlten.
Die Radioserie ist die erste ihrer Art hier und hat die
Absicht, friedliche Formen der Konfliktlösung zu fördern. Ähnliche Programme
in Afrika haben geholfen, ethnische Spannungen abzubauen und den dortigen
Gesellschaften neue Wege der Koexistenz aufgezeigt.
Nach dem großen Erfolg von "Die Heimat ist unsere Heimat" legen
die Macher des Programms jetzt eine zweite Serie auf, die die Kreativität
der Palästinenser anregen soll, damit sie sowohl im Konflikt mit Israel als
auch im Streit untereinander neue Lösungen finden können.
"Wir wollen versuchen, alles und jeden in den Versuch
einzubinden, diese völlig verfahrene Situation zu verändern. Die Menschen
müssen endlich gewaltlose Wege erkunden, um dies zu erreichen" , meint Lucy
Nusseibeh, die Direktorin von MEND (Middle East Non-violence and Democracy),
der Gruppe, die hinter der Serie steckt. "Die Form, in der das geschieht,
ist uns dabei vollkommen egal."
Die Organisation MEND, die ihren Sitz in Jerusalem hat,
trainiert politisches Führungspersonal und engagierte Mitbürger darin,
friedliche Wege zu beschreiten und war schon länger auf der Suche danach,
einen Weg zu finden, um ihre Botschaft einem breiteren Publikum zu
vermitteln.
Als die Idee einer Seifenoper im Jahr 2001 geboren worden war,
trat dann die amerikanische Organisation SFCG (Search for Common Ground) mit
Sitz in Washington mit auf den Plan.
SFCG betreibt Programme zur Konfliktlösung in Asien, Afrika,
Europa und dem Nahen Osten. Nachdem die Verantwortlichen schon sieben
Hörspiele in anderen Konfliktgebieten produziert haben, wissen sie um die
subtile Heilkraft, die im Erzählen von Geschichten liegt.
In Burundi schalten stolze 85 % der Bevölkerung ein, wenn
"Unsere Nachbarn, wir", die Seifenoper der Gruppe über Hutu- und
Tutsi-Familien im Radio läuft.
Eine unabhängige Auswertung bescheinigte der Sendung, die seit
1997 läuft, einen fundamentalen Eindruck auf die Mentalität seiner Hörer zu
machen. Die Seifenoper hat "positive Auswirkungen auf die Beziehungen der
beiden Völker gehabt", schrieb "Management Systems International", ebenfalls
mit Sitz in Washington, in einer Einschätzung, die im September des Jahres
2000 für die USAID (United States Agency for International Development)
erstellt wurde, die das Programm finanzierte.
Das Programm sprach offen Tabuthemen an. "Die Soap hat den
Leuten überhaupt erst einmal das sprachliche Rüstzeug gegeben, mit dem sie
Dinge wie Völkermord, die Verwicklung von Politikern, Konfliktabläufe und
Volkstum überhaupt diskutieren können", sagt Francis Rolt, der Direktor des
"Common Ground Radio" und Berater des palästinensischen Projekts.
Er fügt hinzu, dass einige der burundischen Charaktere schon so
etwas wie Archetypen geworden sind. "Wenn sie sich unterhalten, sagen die
Leute ab und zu: "Du benimmst dich genau wie Pierre!" meint Rolt.
Ein junges Publikum ansprechen
Die Leute hinter "Die Heimat ist unsere Heimat" streben den
gleichen Kultstatus für ihre Sendung an, die für 15- bis 25-jährige
geschrieben ist.
"Die Grundbotschaft ist die, dass aktive Gewaltlosigkeit
unterstützt werden muss. Sowohl als alternative Widerstandsstrategie als
auch als Grundhaltung", sagt der Projektkoordinator von MEND Fadi Rabieh.
"Es geht dabei um Respekt, die Verantwortung des Einzelnen, Selbstvertrauen
und die Erziehung der Bürger, damit sie die Gewaltlosigkeit als Mittel
erkennen, eine zivile, demokratischen Gesellschaft aufzubauen. Wenn die
Leute gewaltsam Widerstand leisten, werden sie in einem eigenen Staat
genauso ihre Streitigkeiten austragen."
In den letzten drei Jahren der Auseinandersetzung mit Israel
war es schwer für Palästinenser, öffentlich dem gewaltsamen Treiben von
Gruppen wie der Hamas und der mit Arafat verbundenen Al Aqsa Brigaden
entgegenzutreten. Bei andauernder Gewalt schwand jedwede Neigung zum
Widerspruch.
Dieser Umstand besorgte Fuad Najab, der Chef der "Sky
Advertising Co." mit Sitz in Ramallah, die die Serie sponserte.
"Wir hatten eine Menge Bedenken, das Thema Gewaltlosigkeit zu
diskutieren, während die ersten Nachrichten jeden Morgen im Radio von durch
Israel zerstörten Häusern und bei israelischen Einmärschen getöteten
Menschen handeln." sagt er. "Die Sender äusserten sich besorgt, dass sie
angegriffen würden für die Ausstrahlung einer Seifenoper, die von der USAID
gesponsert würde. Wenn die Leute an die USA denken, denken sie an deren
Truppen im Irak und auch an ihre Politik , die, obwohl sie nicht direkt
gegen die Palästinenser gerichtet ist, so doch die Handlungen von Premier
Sharon deckt."
Najab sagt auch, dass es Zeit ist, den jungen Palästinensern zu
zeigen, "sie könnten sehr wohl mit ihrer Familie, ihren Nachbarn, ihren
Freunden Hand in Hand arbeiten und ihre Überzeugungen gewaltfrei umsetzen."
Nichtsdestotrotz erwartete er "Widerstand".
Es geht nicht darum, für eine Seite Partei zu nehmen: Der
Schlüssel dazu, dieser Art Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, liegt
laut Holt im Drehbuch. "Man geht die Probleme nicht direkt an, sondern zeigt
vielmehr Parallelen auf, so dass die Zuhörer sich mit Ideen identifizieren,
nicht mit einer Seite und erkennen, dass sie sich genau in der Mitte
befinden."
Holt vertritt die Auffassung, dass realistisch gezeichnete
Charaktere mit Identifikationspotenzial, die sich in ihren Einstellungen
entwickeln, die Zuhörer mit in ihre Welt hereinziehen.
In "Die Heimat ist unsere Heimat" gelangt Ahmad an den
Tiefpunkt, als er in der Schule durchfällt, seine Zukunft unendlich trostlos
erscheint und seine Beziehung zerbricht.
Einer seiner Freunde wandert ins Gefängnis, eine Freundin, die
durch eine Scheidung ihr Gesicht verloren hat, hat einen Selbstmordversuch
unternommen. Die Soap folgt ihren Lebensläufen.
"Die Heimat ist unsere Heimat" ging im Juni bei neun Sendern in
der West Bank und in Gaza in
15-Minuten Folgen auf Sendung. Najab schätzt, dass sie etwa 60 Prozent der
Zielgruppe erreicht.
Wir wollen mehr:
Die Reaktion kam prompt.
Die Hörer forderten mehr und längere Folgen, öfters pro Woche.
"Wir bekamen jede Menge Anrufe, die nach der Sendung fragten",
sagt Kifah Awad von Amwaj Radio in Ramallah. "Es kam richtig gut an, weil
das Material uns an unsere eigenen Leben erinnert hat."
MEND Projektkoordinator Rabieh setzt große Hoffnungen auf die
zweite Staffel.
"Sie wird eine Menge verändern", meint er. "Vielleicht nicht
sofort, aber die Menschen waren praktisch süchtig nach der ersten Staffel.
Es sprach Kernprobleme von uns an, darunter, wie wir der Besatzung begegnen
können, wie wir Frauen behandeln und wie wir miteinander umgehen."