Unter dem Zirkuszelt:
Wie Koexistenz funktioniert
Von Imtiyaz Delawala
[Text
in English]
Am Trainingscenter der israelischen Zirkusschule Kfar Yehoshua fliegen
Bälle, Keulen und Ringe durch die Luft, man sieht Kinder jonglieren. Andere
laufen auf Stelzen oder fahren auf Einrädern umher, trainieren Akrobatik und
andere Bewegungsabläufe auf Matten und Trampolinen. Das Center, das letzten
Herbst seine Pforten öffnete, beherbergt den neuen Kinderzirkus, ein
Projekt, das den Kindern Nordisraels alles an Fertigkeiten beibringen will,
was die Künstler des Zirkus so können, und zwar allen Kindern, egal ob
jüdischer, moslemischer, christlicher und drusischer Herkunft.
Der gebürtige Australier David Berry ist der Mitbegründer und künstlerischer
Leiter der "Israel Circus School"(ICS), die Vollzeitkurse in Zirkuskünsten
und körperbetonten Darstellungen für junge Erwachsene anbietet, dazu Kurse
für Kinder, geordnet nach Altersklassen und Schwierigkeitsstufen. Der
Kinderzirkus ist der jüngste Versuch, 20 jüdische und arabische Kinder und
Jugendliche im Alter von 9 bis 15 Jahren aus dem Kiryat Tivon Gebiet und den
umliegenden Dörfern zusammenzubringen, um "Zirkuskunst" zu erlernen.
"Die Idee ist es, jüdischen und arabischen Kindern eine gemeinsame
Lernerfahrung zu ermöglichen, die die ganz besondere Umgebung des Zirkusses
nutzt, um eine Athmosphäre zu kreieren, in der sie miteinander spielen und
arbeiten können, unter Bedingungen, die eine Herausforderung darstellen,
aber nicht unter Wettbewerbsbedingugnen", meint der gebürtige Engländer
Graham Jackson, der Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins zur Entwicklung
der Zirkuskünste in Israel, den Berry 2002 mit dem Ziel gründete, sämtliche
Aktivitäten rund um den Zirkus im Land auszuweiten.
Berry und Jackson sagen, dass der Zweck dieses Programms selbstverständlich
nicht primär in der Lehre der Fertigkeiten der Manege liegt, sondern dass
vor dem Hintergrund der Zirkusdarbietung Beziehungen zwischen
unterschiedlichen jungen Menschen zu stiften. "Es ist sehr wichtig, dass
junge Leute miteinander zusammenarbeiten lernen", meint Berry. "Die
jüdischen Kinder verarbeiten ihre Ängste vor Arabern, und die arabischen
Kinder sehen, dass die Juden keine Monster sind."
Jackson fügt hinzu, dass der Kinderzirkus das Vertrauen zwischen den Gruppen
fördert und den Glauben an die Fähigkeiten von ihnen selbst und ihren
Mitschülern durch das Training und die Auftritte vor Publikum bedeutend
stärkt.
Wenn man eine menschliche Pyramide bildet, ist man abhängig von den anderen
Mitgliedern des Teams. "Jeder muss sich auf den anderen verlassen können",
sagt Jackson. "Wenn jeder einzelne seinen Job macht, haben alle zusammen
Erfolg. Wenn sie aber durcheinanderpurzeln, müssen sie sich überlegen, wie
sie sich wieder neu aufbauen."
"Wir stellen die Kinder vor große Herausforderungen", ergänzt Berry. "Sie
müssen eine Menge Konzentration und Können aufbieten. Zuerst klappt gar
nichts so recht, aber schließlich haut es dann doch hin und das
Selbstbewusstsein ist da."
Berry, auch bekannt als "Dharma der Clown", zog 1989 aus Australien, wo er
im Australian Ballet gearbeitet und sich in der Kinder- und
Behindertenbetreuung engagiert hatte, nach Israel. Er begann, seine
darstellerischen Fähigkeiten in der Arbeit mit Kindern in Kiryat Tivon
einfliessen zu lassen. 1993 gründete er mit seiner Frau das MIMOS
Straßentheater für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7 und 17 Jahren,
in dem sie Akrobatik, Tanz, Stelzenlauf und Jonglieren lernen können. Die
Gruppe trat überall in Israel und einmal, im Jahre 2000, auch in Deutschland
auf.
Jackson zog im Jahr 1977 von England nach Israel und unterrichtet derzeit
Marketing und Management am Technion-Israel Institut für Technologie. Er hat
früher als lokaler Koordinator als auch im Zentralsekretariat der
Friedensinitiative "Peace Now" gearbeitet. In Kiryat Tivon war er in der
Gemeindeverwaltung und im Kulturkomitee tätig. Durch seine Tochter, die bei
MIMOS mitgewirkt hatte, kam er in Kontakt mit der Zirkuswelt.
Als die MIMOS Gruppe in den späten Neunzigern expandierte, kamen neue Lehrer
mit umfangreicher Erfahrung wie der gebürtige Russe Roman Linkov hinzu, ein
absoluter Topakrobat, der jahrelang beim Moskauer Staatszirkus gewirkt
hatte. Berry und er beschlossen im Jahr 2000, die Aktivitäten auszuweiten
und gründeteen die ICS, die zusätzlich zu den MIMOS Klassen für
Minderjährige auch junge Erwachsene betreute. Mittlerweile verfügt die
Schule über mehrere Ausbilder in all den verschiedenen Feldern und zog
letztes Jahr in eine neu renovierte Anlage in Kfar Yehoshua um, jetzt also
die Heimat des israelischen Zirkus Centers.
Der Schwerpunkt der Aktivitäten des Kinderzirkusses in den nächsten Monaten
wird in dem Werk "Der Löwe und der Leopard", einer Mischung aus Zirkus und
Theater, liegen, das Berry eigens als "Symbolische Wiedergabe der beiden
Kulturen" entworfen hat. Beide ringen darin um das Recht, das gemeinsame
Kulturerbe vollständig zu beherrschen. Die Premiere wird im April
stattfinden, anlässlich der ersten internationalen Zirkustreffens im
"Free-Dome" Zirkuszelt in Binyamina. Die Gruppe wird auch nach Zypern gehen,
um aufzutreten und einen Workshop für die Kinder von Nikosia abzuhalten.
Berry nennt diese Auftritte mit ihrer humoristischen Interpretation der
Themen der Koexistenz und des Meinungsaustauschs "apolitisch-politisch".
"Ich habe keine ausgeprägten politischen Ansichten, ich glaube, es gibt auf
beiden Seiten Probleme", sagt er, "ich betrachte Kinder als Kinder, nicht
als ethnische Gruppen." Während Jackson von vielen Versuchen zu berichten
weiss, Juden und Araber grade in Nordisrael mit seinen besonders vielen
benachbarten jüdischen und arabischen Dörfern zusammenzubringen, ist seiner
Ansicht nach der Kinderzirkus ein einzigartiges Phänomen, das nicht nur auf
Diskussionen und Debatten beschränkt bleibt.
"Es kommt auf die physische Umsetzung an. Wir brauchen nicht über
Frieden, Politik und Genfer Abkommen zu reden ", sagt er. "Das verstehe ich
unter Koexistenz."
Übersetzung: H.Waldenberger
Quelle: Ha'aretz Anglo File, 26. December 26 2003. CGNews hat den Artikel
herausgegeben,
haaretzdaily.com
Text in English
From the Common Ground News Service
hagalil.com 28-01-2004
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